Irina liest, wie sie uns schreibt, weil ein Roman auch ein Lebensratgeber sein kann. „Bücher sind Türen zu anderen Welten und anderen Realitäten“, teilte uns hingegen Katharina mit. Nachdem wir uns wochenlang mit Autoren und Büchern auseinandergesetzt haben, stellten wir den Blog-Leserinnen und -Lesern endlich die Frage aller Fragen: Warum lesen Sie Romane? Und Katharinas Kommentar steht für viele Einsendungen.
Wenn Romane eine Tür zu anderen Welten und Realitäten sind, so fragen manche: Ist diese Tür ein Notausgang? Ist es „eine Flucht oder eine Suche nach anderen Bezügen zur Realität“, wie es Viktoria aus Moskau formuliert? Oder ist ein Roman gar eine „alternative Realität“? Oder, wie es eine andere Teilnehmerin schreibt, Valeria: „Unser ganzes Leben ist unser eigener kleiner Roman.“
Eine Teilnehmerin las zuletzt Uwe Timms Johannisnacht, und ihre Zeilen erklären auch, was einen guten Roman ausmachen kann. „Die Personen, die sehr ausführlich beschrieben sind, schweben mir gleich vor den Augen. Du weißt nicht nur wie sie aussehen, sondern auch wie sie riechen, wie sie atmen!“
Olga aus Moskau sagt das etwas allgemeiner. Sie liest auch, weil sie für „kurze Zeit eine ganz andere Person“ werden kann. „Heute bin Scarlett O’Hara und flirte mit Rhett Butler, morgen kann ich Anna Karenina sein oder Jane Eyre oder irgendjemand sonst.“ Und ein Vorteil dieses Rollentausches: „Man kann von fremden Fehlern lernen und von Fehlern, die deine Lieblingshelden begehen…“ Und manche, wie Daria, die Texte aus der Romantik sehr mag, die gehen einen Kompromiss ein. Wenn man auch nicht selbst zum Helden wird, so kann man „mit den Helden etwas erleben“.
Bei Nadezhda aus Krasnodar hat dieser Rollentausch schon früh begonnen. Sie erinnert sich in ihrem Kommentar an „dicke Bücher, denen das Dicksein sehr gut steht“. Schon ihre Oma las ihr aus solchen Büchern vor und musste beim Vorlesen manchmal geweckt werden.
Das bringt mich zu einem Grund, Romane zu lesen, der von niemandem genannt wurde. Ich kann mit Romanen auch wundervoll einschlafen. Das muss kein schlechtes Buch sein deswegen, doch Literatur hilft mir, Abstand vom Tag, von eigenen Erlebnissen zu gewinnen.
Das Foto dieses Blog-Eintrages zeigt daher Tatiana, meine Übersetzerin. Wir fahren nach dem Besuch des Literaturfestivals von Tambow zurück nach Moskau mit dem Nachtzug. Wir sind die einzigen im Viererabteil und so liest sie mir aus einem Buch vor, das sie vielleicht bald übersetzen muss.
Überhaupt ist Vorlesen eine tolle Sache, auch für Erwachsene. Oder wie es Katharina schreibt: „Viele Erwachsene vergessen, dass sie selbst mal Kinder waren.“ Stimmt. Und es könnte ergänzt werden: Manche gute Romane erinnern einen daran.