Ich kann nicht einfach kein Wort zur Situation zwischen Armenien und Aserbaidschan verlieren. Aber weder kann ich richten, noch kann ich Position beziehen. Es mag nicht allen bei uns bewusst sein, aber diese beiden Länder befinden sich seit Jahrzehnten im Krieg. Offiziell herrscht zwar Waffenstillstand, aber davon kann in der Realität nur mit sehr viel gutem Willen die Rede sein. Armenien hat die Aserbaidschaner vertrieben, Aserbaidschan die Armenier, alle haben sich gegenseitig abgeschlachtet und wehgetan und jetzt scheint es keinen Weg mehr zurück zu geben. Das Trauma ist auf beiden Seiten enorm und der Hass geht inzwischen so weit, dass es quasi unmöglich geworden ist auch nur den Namen des Feindeslandes auszusprechen. Wenn wir in Baku über Jerewan redeten, sagten wir Paris, in Jerewan nannten wir Baku die andere Hauptstadt. Nur, damit niemand diese Reizworte versteht. Nicht mal in unseren deutschen Kneipengesprächen.
Es ist eine Tragödie. Und es bricht einem das Herz, wenn man mit diesen wunderbaren, herzlichen Menschen diesseits und jenseits der Grenze zusammensitzt. Man kann (und will) es sich eigentlich nicht vorstellen. Dieser Krieg ist so traurig wie jeder Krieg traurig ist. Wofür? Am Ende bleiben nur geschundene Seelen, zerstörte Landschaften und kaum Hoffnung. Dabei ist der Kaukasus so weit, so schön, so alt und er hätte Platz für alle. Mir sind mehr als einmal die Tränen gekommen.
Doch es gibt andere Geschichten. Die armenischen und aserbaidschanischen Deutschlehrerinnen erzählen mir, sie setzen sich bei den Kaukasustreffen immer extra zusammen. Um ein Zeichen zu setzen.
Als wir Anfang Oktober nachts Georgien erreichten, ist direkt hinter der Grenze die Straße gesperrt. Ein Auto mit Totalschaden. Nichts geht mehr. Quer auf der Fahrbahn. Das halbe Dorf ist auf den Beinen (und jener Straße), sicher 25 Männer, alle aufgeregt und bemüht. Sie beschwichtigen den unverletzten, aber erschrockenen Fahrer fürsorglich, umarmen ihn, trösten ihn. Ich halte ihn für einen aus dem Dorf. Die Männer versuchen den Wagen, den jede Sekunde die georgische Polizei einkassieren könnte (und dann wär er weg), zu schützen. Also beiseite zu bringen. Der Stau ist ihnen relativ egal. Ein wackliger Kleintransporter (der aussieht als sei er das Gegenstück des Crashes) wird von den Nachbarn geholt. Das Abschleppseil (vorsichtig formuliert, nicht ganz deutsche Industrienorm) reißt natürlich auf der Stelle und so wird der zerknallte PKW kurzerhand von den Männern per Muskelkraft (!) auf die Seite gehoben. Hauruck. Ich bin schwer beeindruckt.
Dann höre ich von unserem Fahrer (der natürlich auch Hinweise beisteuern konnte), dass der Unfallpilot ein Armenier ist, der in Georgien ein neues Auto gekauft hat. Die Helfenden aber sind alle Aserbaidschaner, die in diesem Dorf in Georgien leben. Unser Fahrer (selbst Halb-Armenier) seufzt und sagt traurig: „Es geht doch, schauen Sie, hier geht es doch auch. Wir können es.“