Von Minsk habe ich am Morgen ein bisschen gesehen. Viel monumentale Stalinzeitarchitektur, der extrem breite Unabhängigkeitsprospekt, dann wieder Plattenbauten, die aber selten in so Schuhschachtelform sind wie bei uns, sondern gern auch rund, gedankenlose Investorenarchitektur aus den Neunzigern. Alles sehr gepflegt, die Stadt ist so sauber, dass es schon fast unheimlich ist. Die Herbstblätter scheinen sich auf dem Weg zum Boden aufzulösen. Niemand wirft hier eine Zigarette auf den Boden. Die Innenstadtminsker würden in keiner Großstadt der Welt auffallen. Viel schwarze, graue, beige Kleidung. Eher elegant, als ausgeflippt.
Ich werde mit dem Minibus des Goethe-Instituts nach Baranawitschy gefahren. Sehe ein bisschen was vom Land, das flach ist. Die höchste Erhebung soll 345 Meter hoch sein, aber davon ist nichts zu sehen. Nur: Birken, Kiefern, manchmal ein Dorf. Zum Mittag gibt es Reibekuchen mit Pilzen. Extrem lecker. In Baranawitschy führt mich eine freundliche Bibliothekarin in der Stadt herum. Ein Eisenbahnknotenpunkt. Entstanden auf der Strecke Brest-Moskau. Mehr gibt es über den Ort auch nicht zu sagen. Außer, dass sich auch hier die Baustile munter mischen. Die fünfziger Jahre neben heutigem stehen und dazwischen manchmal auch alte bunt angemalte Holzhäuser, die nur mir gefallen. Die Einheimischen beschweren sich über den dortigen Wohnkomfort. Westliche Romantik gegen östliche Realität.
In der Bibliothek Baranawitschy ist es voll. Deutschstudentinnen und ein paar Mitglieder des belarussischen Schriftstellerverbands. Eine junge Deutsche sagt mir, dass man hier das Wort Weißrussland nicht gerne hört, also bemühe ich mich Belarus zu sagen. Sergej, der mir in dieser Woche alles simultan übersetzt, sitzt neben mir und übersetzt auch das erste Kapitel meines Romans „Was gewesen wäre“ fast simultan ins Belarussische. So was habe ich noch nie erlebt. Irgendwas mit der schriftlichen Übersetzung ist schief gelaufen. Er hat sie noch nicht bekommen und übersetzt so den Text vom Bildschirm aus. Extrem lässig, fast aus der Hüfte, ohne dass das jemandem auffällt. Danach Abendessen mit den Bibliothekarinnen und mit dem Minibus weiter nach Brest. Noch drei Stunden Fahrt durch die Nacht. Rockbandfeeling, draußen alles Dunkel.