Alhierd Bacharewitsch und Yulia Tsimafeeva zeigen mir das literarische Minsk. Aber schon auf dem Weg zur belarussischen Sektion des internationalen PEN-Clubs, deren stellvertretende Vorsitzende Yulia ist, beschließen wir uns lieber anzusehen, was uns am Wegrand auffällt. Und da sind gleich in der Nähe des Goethe-Instituts die fünf Hochhäuser, die aussehen wie Maiskolben und von der Bevölkerung auch genauso genannt werden. Alhierd und Yulia arbeiten als Autoren und Übersetzer und zeigen mir Minsk mit jener großen Freundlichkeit, die mir hier überall begegnet. Offenheit, Freundlichkeit, Höflichkeit. Wir gehen in einen Fischladen noch aus der Sowjetzeit, der innen mit handtellergroßen silbernen Scheiben ausgekleidet ist, wie ein Ballkleid. Am besten gefällt mir die Markthalle, gebaut in Spannbetonbauweise, wie in der DDR. Es gibt eine Empore, über die man einmal um die Halle laufen kann. Unten wird fast ausschließlich Fleisch verkauft. Stand an Stand. Vom Schwein bis zur Ente, vom Lamm bis zum Hahn. Alles sehr frisch, für diese Mengen Fleisch ist es hier erstaunlich geruchlos. Ich mache ein Foto und werde von einem der vielen Sicherheitsleute angemacht. Das hat er gar nicht gern und plötzlich sind der Staat und seine Sicherheitsdienste sehr präsent. Ich sage unsinnigerweise „danke“ auf Russisch, gehe weiter und komm damit durch. Alhierd und Yulia haben das nicht bemerkt. Wir reden über die politische Situation in Belarus, die sehr schwer zu verstehen ist, aber beide sind müde von der immer gleichen Sicht des Westens auf das Land. Diktatur, Lukaschenko, Punkt. Sie würden die Feinheiten dieses Systems immer wieder ausländischen Journalisten erklären, aber geschrieben würde immer wieder dasselbe. Es ist immer noch der kalte Kriegblick, mit dem wir auf dieses Land schauen. Würde Belarus in Südamerika liegen und nicht zwischen Russland und Polen, wäre unsere Wahrnehmung vermutlich eine ganz andere. In Brest erzählte mir jemand, dass Lukaschenko die von ihm eingesetzte Regierung im Fernsehen ausgeschimpft hätte. Sie würde sich treiben lassen. Er würde sich mehr wirtschaftliche Erfolge wünschen. Mir fällt die völlige ideologische Leere dieser Diktatur auf. Solange die Menschen den Präsidenten nicht in Frage stellen, können sie relativ viel machen. Wenn sie das Geld haben, auch ganz gut leben oder das Land verlassen. Niemand hält sie auf. Der Durchschnittsverdienst liegt allerdings bei 400 €. Ein Visum für die EU kostet 60 €.
Belarus lebt auf Kredit und das ist zu sehen. Eine Mischung aus Planwirtschaft und Kapitalismus. Überall arbeiten zu viele Menschen. In einem Geschäft für Leinenstoffe zähle ich acht Verkäuferinnen auf drei Kunden. Wie lange kann sich das ein relativ rohstoffarmes Land leisten?