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Fluxus in der Tschechoslowakei

Beuys wird Beuys
© Eugen Korda

Im Sommer 1952 veranstaltete John Cage im Black Mountain College im amerikanischen North Carolina ein Konzert. In dieses Konzert integrierte er einen improvisierten Tanz von Merce Cunningham, eine Klaviermusik von David Tudor, eine Film- und Dia-Schau, eine Poesielesung auf der Leiter sowie eine Ausstellung von vier weißen Bildern von Robert Rauschenberg. Dieses Werk, das sämtliche Ausdrucksmittel in sich vereinte, ging mit dem Titel Theatre Piece No. 1 als eines der ersten Happenings, die wir heute als Intermedial-Projekt bezeichnen würden, in die Geschichte ein.

Die Intermedialität ist zum Verbindungsglied der amerikanischen Neo-Avantgarde der 1960er Jahre geworden. Diesen Begriff, der die Durchdringung und das Zusammenwirken diverser Kunstbereiche und Zugänge beschreibt, definierte Mitte der 1960er Jahre Dick Higgins, ein Anhänger der Fluxus-Bewegung.

Fluxus, eine freie Gruppierung von Künstlerinnen und Künstlern mit internationaler Reichweite, formierte sich Anfang der 1960er Jahre in Amerika um George Maciunas, einen Künstler litauischer Abstammung. Der Musikinnovator John Cage war unvertretbar an der Entstehung dieser Bewegung beteiligt. Einige Mitglieder wie Dick Higgins, La Monte Young oder George Brecht zählten sogar zu seinen Studenten an der New School for Social Research, wo ihnen bewusst wurde, dass Musik alles sein kann. Dieses Konzept wurde dann durch weitere Persönlichkeiten mit vielfältigem Hintergrund in die bildende Kunst und weitere Kunstgattungen übertragen. Wir können hier Künstlerinnen und Künstler wie Joseph Beuys, Robert Filliou, Allison Knowles, Wolf Vostell, Daniel Spoerri, Ben Vautier, Naim Juin Paik oder Yoko Ono nennen. Die Fluxus-Ideen entsprachen dem Zeitgeist der Künstler mit ihrer Sehnsucht, zu experimentieren, zu provozieren und die Auffassungen darüber, was Kunst ist, aufzulösen.  Das handwerkliche Schaffen der traditionellen Kunst wurde sukzessive durch die Idee, die Aktion im Zeit-Raum, das Erlebnis der Zuschauer, die Erfahrung der Schöpfer ersetzt.

Berichte über die amerikanische Neo-Avantgarde-Bewegung drangen nur langsam in die Tschechoslowakei, Mitte der 1960er Jahre erschienen im Zuge der allmählichen Entspannung des Regimes und der Zensur Texte in der Presse, die über die Happenings, den Neo-Dadaismus und weitere progressive Formen der westlichen Kunst informierten. Noch früher fand jedoch die Aktion von Milan Knížák und seiner Gruppe Aktuelle Kunst statt. Die Gruppe veranstaltete im Jahre 1964 einen Aktuellen Spaziergang durch die Neue Welt - Eine Demonstration für alle Sinne, was wahrscheinlich das erste Happening in der Tschechoslowakei war. Für die Teilnehmer wurde ein Spaziergang voll von unüblichen Überraschungen vorbereitet: eine Begegnung mit einer Skulptur aus eingepackten Kleidern, die von einer Gaslampe herunterhingen, ein spielender Kontrabassist, der rücklings auf dem Pflaster lag, dann wurden die Teilnehmer kurz in einen kleinen Raum eingeschlossen, wo Parfum verschüttet worden war usw. Die Gruppe publizierte ein Manifest, das die traditionellen Vorstellungen von Kunst bewusst erschütterte. Nachfolgend begann Knížák den heute beinahe ikonischen Text zu formulieren Aktual – Anders leben (1965 − 1966). Am 1. Mai 1965 folgte das Manifest Was ist HAPPSOC? von Alex Mlynárčik, Zita Kostrovská und Stano Filko und die Umsetzung der ersten Happenings in der Slowakei Happsoc I. (1965) sowie Happsoc II. und III. (1965 − 1966). Julius Koller verkündete sein Antihappening (1965). Die Positionen der slowakischen Künstler zeichneten sich durch die verbale Demonstration des Konzeptes und den Fokus auf das subjektiv-objektive Schaffen der Realität aus, mit anderen Worten: Die Aktion spielte sich eher im Kopf des Zuschauers ab, als dass sie eine Gestalt einer direkten kollektiven Aktion gehabt hätte. Ihre Invasion in die künstlerische und soziale Realität ist jedoch faktisch. So dringen zur künstlerischen Öffentlichkeit in der Tschechoslowakei allmählich Ideen durch, die man hinsichtlich ihrer Radikalität mit den progressivsten künstlerischen Strömungen weltweit vergleichen könnte.

Gerade Mitte der 1960er-Jahre (konkret im Jahre 1965) werden die ersten Kontakte der tschechoslowakischen Künstler mit der Fluxus-Bewegung dokumentiert. Vermittelt wurden sie von Jindřich Chalupecký, der George Maciunas per Brief über die Aktivitäten der Knížák-Gruppe informierte. Maciunas nahm nachfolgend Kontakt zu Knížák auf und begann mit ihm und mit Jindřich Chalupecký, das erste Fluxus-Festival hinter dem Eisernen Vorhang vorzubereiten, was letztendlich im Herbst 1966 in Prag gelang. Es bleibt zu erwähnen, dass die Fluxus-Festivals seit Beginn der 1960er Jahre in Wiesbaden, Kopenhagen, Stockholm, Amsterdam, London und selbstverständlich in New York stattfanden. Es waren Ereignisse, die von progressiven Galerien und Universitäten gefördert wurden und als Modeerscheinungen der aktuellen Kunst beträchtliche Aufmerksamkeit durch ihre unverdeckt anti-künstlerische und anti-kommerzielle Provokation weckten. Ein derartiges Ereignis im damals totalitären Prag zu veranstalten, bedeutete ohne Zweifel eine große Herausforderung. Die erhaltene Korrespondenz belegt, dass Maciunas und seine Mitarbeiter eine genaue Vorstellung davon hatten, welche „Pieces“ in Prag umgesetzt werden sollten; sie listeten präzise auf, welche Requisiten, wie viele Musiker mit welchen Instrumenten, wie viele Eimer, Leitern, Batterien, Tonbandgeräte etc. gebraucht würden. In der kommunistischen Tschechoslowakei war es schon schwierig genug, Räumlichkeiten zu finden, wo diese ungewöhnliche Produktion ohne Eingriff der Zensur stattfinden sollte. Obwohl wir die 1960er Jahre als Periode der Freiheit empfinden, herrschte doch im Jahre 1966 in der Tschechoslowakei ein repressives Regime. Knížák selbst ist kurz vor dem Festival Opfer eines ideologischen Einsatzes gegen die Langhaarigen, die sog. Máničkas, geworden und sein Harr wurde „polizeilich“ kurzgeschnitten. Die Fluxus-Künstlerinnen und -Künstler, die aus vielen Ländern in Prag eingetroffen waren, begrüßte er glatzköpfig. Das Klima des Prager Fluxus-Festivals zeichnete sich durch einen starken Improvisationscharakter aus, nichtsdestotrotz fanden drei Abende statt, an denen neben Knížák auch Dick Higgins, Alison Knowles, Ben Vautier, Serge Oldenbourg und Jeff Berner partizipierten. Es wurden gemeinsame wie auch individuelle Aktionen veranstaltet, außerdem wurden auch Pieces gezeigt von Kollegen, die nicht anreisen konnten, zum Beispiel Zen for Head (1962) von Nam June Paik, Disappearing Music for Face (1964) von Mieko Shiomi oder Three Lamp Events (1961) von George Brecht. Im Zusammenhang mit dem Festival erschienen in der Kulturpresse mehrere Artikeln, die bemüht waren, das tschechische und slowakische Publikum über die Geschichte und Gegenwart dieser Kunstströmung zu informieren. Diese hatte in der Tschechoslowakei in der Aktions- und Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre eine starke Resonanz, doch ihren Einfluss können wir auch in den folgenden Epochen sehen, und über die Performance und weitere intermediale künstlerische Darstellungen ist sie auch in unserer aktuellen Kultur zu finden.

Autor: Pavlína Morganová

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