Paweł Zarychta empfiehlt
Stern 111
Währenddessen bricht Carl, anstatt wie versprochen nach Gera zurückzukehren und sich dort um das Elternhaus zu kümmern, mit dem alten Shiguli des Vaters nach Berlin auf, das sich gerade zur Welt öffnet. Ohne einen Pfennig in der Tasche taucht er ein in die bunte Halbwelt der Hausbesetzer und der Künstlerszene um die Kultkneipe „Assel“, um nach schweren Anfängen immer fester in dieser besonderen Stadt mit ihrem ganz eigenen Klima Fuß zu fassen. Carls Geschichte wird damit gewissermaßen zu einer persönlichen Chronik der ersten Jahre des sich nach 1989 vereinigenden Berlin, einer Randnotiz zum großen historischen Wandel.
Lutz Seilers neuestes Buch ist hervorragende, reife Prosa, die sich ganz wie bei Fontane durch langsame epische Abbildung, ironische Distanz, aber auch eine deutlich wahrnehmbare Sympathie für seine Figuren auszeichnet. Dazu kommt die Kenntnis der Verhältnisse, Orte und Menschen im damaligen Berlin, die auf überaus sinnliche Weise heraufbeschworen werden. Trotz der Situierung in einem konkreten geschichtlichen Kontext kommen Aktualität und Überzeitlichkeit dieses Werks gerade heute besonders zum Tragen – angesichts der uns von überall her umgebenden Krise und der immer fließender werdenden Wirklichkeit.
Suhrkamp Verlag
Lutz Seiler
Stern 111
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020
ISBN 978-3-518-42925-9
528 Seiten
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Rezensionen in den deutschen Medien:
Perlentaucher
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zeit Online