Aussprache
Wie bitte?
Viele Deutschlernende werden nur schlecht verstanden. Denn das Aussprachetraining kommt im DaF-Unterricht oft zu kurz. Dabei sei eine gute deutsche Aussprache essenziell für die reibungslose Kommunikation und trage zudem zur Identitätsbildung bei, sagt die Aussprachetrainerin Lisa Göbel.
Frau Göbel, kann man Deutsch lernen, ohne das Sprechen aktiv zu üben?
Wenn man nur schreiben möchte, ja. Wenn man allerdings auch mündlich kommunizieren will, muss man das Sprechen und Hören lange und intensiv üben. Ich bekomme oft E-Mails von Deutschlernern, die zwar auf C1-Niveau schreiben, aber beim Sprechen sehr viele Defizite in der Phonetik haben. Das führt dazu, dass sie schlecht verstanden werden.
Was sind die Hauptgründe dafür?
Die Länge der Vokale ist im Deutschen sehr wichtig. Unsere Sprache ist relativ reich an Vokalen, das ist ein komplexes System. Den meisten Nicht-Muttersprachlern bereiten sie Schwierigkeiten. Daraus entstehen viele Missverständnisse. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Wortbetonung. Wenn Sprecher sie falsch oder zu schwach setzen, kann man sie schlecht verstehen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Unterschied zwischen den Wörtern „lahm“ und „Lamm“ etwa ist deutschen Muttersprachler klar. Viele Deutschlernende müssen den Unterschied zwischen dem langen und dem kurzen Vokal jedoch erst hören und sprechen lernen. Oder die Wortbetonung von „Käse“. Sie liegt auf der ersten Silbe „KÄse“ wie es im Deutschen sehr häufig der Fall ist. Wenn jemand „KäSE“ sagt und die zweite Silbe betont, dann denken Deutsche schnell an einen „See“ und fragen sich: „Welchen See?“
Gibt es noch einen weiteren Grund, warum Deutschlerner oft schlecht verstanden werden?
Auch die Verschlusslaute „p“, „t“ und „k“ sind für das Verständnis in der mündlichen Kommunikation sehr wichtig. Wenn diese Laute nicht deutlich und mit viel Druck ausgesprochen werden, klingt das Gesagte schnell undeutlich. Dabei spielt auch die Auslautverhärtung eine Rolle. Im Deutschen werden stimmhafte Plosive, also „b“, „d“ und „g“ am Wort- und Silbenende als stimmlose Plosive „p“, „t“ und „k“ realisiert. Also „lieb“ wird wie „liep“ gesprochen, „Wald“ wie „Walt“ und „Weg“ wie „Wek“.
Aussprache: nur selten Thema im Unterricht
Wenn eine gute Aussprache so wichtig ist, warum spielt das Aussprachetraining im DaF-Unterricht eine so unwesentliche Rolle?Viele Lehrende sagen, dass sie dafür einfach keine Zeit haben. Der Unterricht ist meistens so konzipiert, dass Grammatik und Wortschatz die größte Rolle spielen. Es gibt in den Lehrwerken zwar auch Ausspracheübungen, diese werden jedoch oft nur am Rande behandelt oder übersprungen. Der Grund ist häufig, dass die Phonetik in der DaF-Ausbildung wenig Raum findet, und die Lehrenden demnach selbst nur wenig darüber wissen.
Was fällt Deutschlernenden in Bezug auf die deutsche Aussprache besonders schwer?
Viele finden es ungewohnt, dass man den Mund ziemlich weit öffnen muss, und die Lippen sehr aktiv sind. In vielen anderen Sprachen ist das nicht so. Außerdem braucht man viel Spannung, um die Betonung der Silben zu realisieren. Unbetonte Silben werden im Kontrast dazu sehr locker gebildet. Durch diese Kontraste hat das Deutsche einen besonderen Klang. Russisch und Französisch klingen zum Beispiel viel melodischer. Wenn ein Russe oder eine Französin die Melodie ihrer Muttersprache auf das Deutsche übertragen, haben Deutsche automatisch Probleme, das Gesagte zu verstehen.
Inwiefern verbessert ein Aussprachetraining die Kommunikationsfähigkeit von Deutschlernenden?
Wer zum Beispiel die Vokale und Betonungen richtig realisiert, wird viel besser verstanden und muss nicht mehr erleben, dass Leute nachfragen. Das ist für Lernende eine peinliche und nervige Erfahrung. Außerdem wird die Wahrnehmung geschult: Sie lernen, Unterschiede zu hören, etwa in der Länge der Vokale. Dadurch können die Lernenden gesprochenes Deutsch besser verstehen. Sie erkennen zum Beispiel leichter den Unterschied zwischen „Bahn“ und „Bann“ oder zwischen „wen“ und „wenn“. Hinzu kommt: Wer weiß, wie die Standardlautung im Deutschen klingt, bekommt auch ein Gefühl für abweichende Laute und somit einen besseren Zugang zu den verschiedenen Varianten des Deutschen.
Aussprache stiftet auch Identität
Sie haben in einer Publikation die Aussprache als Teil der Identitätsbildung bezeichnet. Was meinen Sie damit?Mir fällt immer wieder auf, dass manche Lernende beim intensiven Aussprachetraining an eine Grenze kommen. Sie merken dann: Wenn sie richtig Deutsch sprechen möchten, müssen sie während des Sprechens ihre ursprüngliche Identität als Sprechende mit Akzent aufgeben und sich an eine neue Sprechweise und somit Identität gewöhnen. Denn auch der körperliche Vorgang des Sprechens ändert sich. Für ein akzentfreies Deutsch benötigt man eine hohe Sprechspannung: Die Lippen werden aktiv und die Zunge muss mit viel Kraft arbeiten. Somit gestaltet sich das Grundgefühl beim Sprechen um, und die Stimme bekommt oft einen anderen Klang. Da Sprechen und Stimme etwas sehr Persönliches sind, ist die Arbeit daran auch mit der Persönlichkeit und Identität verbunden. Die Lernenden fühlen sich sicherer und wohler beim Sprechen, wenn sie wissen, dass sie Wörter richtig aussprechen. Wer sich sprachlich nicht mehr komplett fremd fühlt, verändert auch sein Identitätsgefühl und seine Beziehung zu dem Land, in dem er oder sie lebt. Das Gefühl der Fremdheit geht zurück.