Stadtkonturen Bonn
Bonn soll öde sein?
Steht Bonn im Schatten Kölns? Hat es eine Identitätskrise? Unsere Autorin Leonie Gubela erklärt, was Bonn unverwechselbar macht und warum man so manche Assoziation überdenken sollte.
Von Leonie Gubela
Kirschblüten und Kopfsteinpflaster
Ein Dach in Pink: Die Bonner Altstadt zur Kirschblütenzeit. | Foto (Detail): © Adobe Die Bonner Altstadt, das heißt: verwinkelte Gassen, denkmalgeschützte Gründerzeitbauten, Kneipen, Ateliers. Zum Hotspot für Instagrammer wird sie irgendwann zwischen Mitte April und Ende Mai, wenn die zahlreichen Kirschbäume entlang der Heerstraße blühen und ein dichtes rosafarbenes Blütendach bilden. Für kompetitive Fotografen gibt es Kirschblüten-Wettbewerbe – wer das schmale Blütezeitfenster auf keinen Fall verpassen will, kann sogar Newsletter abonnieren. Zu den Attraktionen abseits der pinken Saison gehören die üppige Pizza im Restaurant Tuscolo am Frankenbad und das Frauenmuseum. Fernab des Trubels geht es auf dem Alten Friedhof mit seinen moosbewachsenen schiefen Grabsteinen eher ruhig zu.
Beton für Bonn
Der Bonner Skatepark in der Rheinaue. | Foto (Detail): © Beton für Bonn Vier Jahre lang organisierte der Verein Subculture Bonn mit seiner Initiative Beton für Bonn Spendenveranstaltungen, Tombolas, Konzerte, verkaufte Merchandise und rang um Investoren. Im Sommer 2018 war es dann so weit: In der Beueler Rheinaue eröffnete Bonns erster Skatepark. Bisher hatte es bloß eine Halfpipe auf der anderen Seite des Rheins gegeben, dort zu skaten ist aber nichts für Anfänger. Die Leute von Subculture wünschten sich Größeres für die Stadt, auch damit Bonner Skater*innen nicht länger ins Umland ausweichen müssen.
Hofgarten und Gummibärchen
Auch wenn der Harry Potter Boom vorbei ist – Quidditch wird in Bonn am Hofgarten weiter gespielt. | Foto (Detail): © picture alliance/dpa/ Volker Lannert Schlafende Student*innen zwischen gespannten Slacklines (Balanciergurten, die zwischen zwei Bäumen aufgespannt werden), zwei, drei Typen mit Gitarren und im hinteren Drittel trainiert die lokale Quidditch-Mannschaft neben dem Ultimate-Frisbee-Verein: Der Hofgarten vor dem Uni-Hauptgebäude könnte an einem durchschnittlichen Sommertag nicht sorgloser erscheinen. Das Naherholungsgebiet, das mal zur Residenz des Kurfürsten Clemens August gehörte, hat allerdings eine bewegte Geschichte hinter sich. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte das Gelände als Durchschleusungslager für entlassene Kriegsgefangene. Später, als Bonn Regierungssitz war, trafen sich dort immer wieder Hunderttausende, um zu demonstrieren. Zum Beispiel gegen die Notstandsgesetze von 1968 oder Anfang der Achtziger gegen den Nato-Doppelbeschluss. Heute wird dort gefaulenzt, spaziert und nachts, so sagt man, gedealt. Wahrscheinlich nicht mit Gummibärchen, denn die gibt es ganz legal nur wenige Meter vom Hofgarten entfernt im ersten Haribo-Store der Bundesrepublik. Und es weiß ja jedes Kind, wofür das Bo steht, oder? (Für alle Nicht-Bonner*innen: Der Name setzt sich zusammen aus dem Namen des Gründers HAns RIegel aus BOnn.)
Luxuscamping in der Lagerhalle
Bonns Indoor-Campingplatz: das Basecamp. | Foto (Detail): © Basecamp Die Lagerhalle in Bonn-Dottendorf richtet sich an alle, die Wohnmobile ganz gemütlich finden, mit Campingkocher, Dixi-Klos und Natur aber nichts anfangen können. Auf dem Indoor-Campingplatz stehen über ein Dutzend aufwändig renovierte Retro-Wohnwagen mit ausgefallenen Designs. Gruppenreisende können ausrangierte Schlafwagen der Deutschen Bahn mieten. Ganz wie in einem Hotel gibt es jeden Morgen ein Frühstücksbuffet für die bis zu 120 Übernachtungsgäste und täglich werden die Betten gemacht. Und man kann dort sogar heiraten! Vorausgesetzt, dem Brautpaar ist die Karibik-Fototapete an den Wänden der Lagerhalle nicht zu kitschig.
Politik von gestern bis heute
Lichttürme der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. | Foto (Detail): © picture alliance/ imageBROKER/ Karl F. Schöfmann Selten ist deutsche Nachkriegsgeschichte so nah erlebbar und dicht erzählt wie im Bonner Haus der Geschichte. Binnen Minuten lassen sich dort Jahrzehnte zurücklegen: durch den Laderaum eines Rosinenbombers, vorbei am grüngepolsterten Klappgestühl des Bundestags in den Fünfzigern, hinein in die Nachbildung eines Lichtspielhauses für eine Kurzvorstellung des Heimatfilms Grün ist die Heide. Man kann seine Hand auf den kalten Stein der Berliner Mauer legen und eine steile Rampe zum Mond hinauflaufen. Das Haus der Geschichte ist eines von fünf Museen, die gemeinsam die Bonner Museumsmeile bilden. Sie erstreckt sich entlang der Bundesstraße 9 und behandelt der Reihe nach die Themen Naturkunde (Museum König), Geschichte (Haus der Geschichte), Kunst (Kunstmuseum Bonn), nochmal Kunst (Bundeskunsthalle) und Technik (Deutsches Museum). Auf der anderen Seite der B9 befindet sich der UN-Campus, Zentrum der Vereinten Nationen in Deutschland. In Bonn verläuft das aktuelle Politikgeschehen also parallel zum vergangenen, nur getrennt durch eine vierspurige Straße.
Viva Viktoria!
Nein zur Shopping-Mall: Die Bürgerinitiative „Viva Viktoria!“ initiierte ein erfolgreiches Bürgerbegehren gegen die Baupläne. Dieses Plakat hing 2015 am ehemaligen Viktoriabad. | Foto (Detail): © picture alliance / Oliver Berg / dpa Um die Schönheit des Viktoriaviertels zu begreifen, muss man genauer hinsehen. Im Vorbeigehen fallen sie fast nicht auf – die bunten Mosaiksteinchen, die die Ladeneingänge des Viktoriaviertels umgeben, oder die Kunstharzfenster des stillgelegten Viktoriabads. Das Quartier mit Gebäuden aus den Fünfzigern und Sechzigern verbindet die Innenstadt mit dem Hofgarten. Vor ein paar Jahren kündigte die Stadt an, einige der Immobilien an einen österreichischen Investor verkaufen zu wollen. Der wiederum plante, auf den Grundstücken eine Shoppingmall und eine Universitätsbibliothek zu errichten. Bei zahlreichen Bonner Bürger*innen lösten die Pläne Entsetzen aus und es entstand die Bürgerinitiative Viva Viktoria!.Sie warb fürs „Erhalten statt Ausbeuten“, organisierte Partys im Viertel und initiierte Ende 2015 ein Bürgerbegehren. Mit Erfolg: Die Mall ist vom Tisch. Umgebaut werden soll trotzdem, in welchem Ausmaß ist allerdings noch unklar.
Free-Fall-Tower und Burgruinen
Blick auf Schloss Drachenburg: Der Drachenfels ist das beliebteste Ausflugsziel im Siebengebirge. | Foto (Detail): © Adobe Aus Bonn heraus geht es entweder rheinabwärts oder rheinaufwärts – was einen entlang dieser beiden Wege erwartet, könnte unterschiedlicher nicht sein. Ist die Strecke rheinabwärts gesäumt von Chemiewerken, einer Erdölraffinerie und dem Freizeitpark Phantasialand, beginnt rheinaufwärts das Siebengebirge, ganz ohne qualmende Schornsteine und Free-Fall-Tower. Dafür mit original Burgruinen und jeder Menge Rheinromantik. Beliebtestes Ausflugsziel ist der Drachenfels zwischen Königswinter und Bad Honnef, 320 Meter hoch und, glaubt man der Sage, ehemaliges Domizil eines Ungeheuers. Vor Jahrhunderten soll sich ein Drache dort eingerichtet haben, um die Bevölkerung des Rheintals in Angst und Schrecken zu versetzen. Die sollen dem Tier zur Besänftigung jedes Jahr eine Jungfrau geopfert haben, bis Siegfried (der aus dem Nibelungenlied), auf seinem Gaul herbeiritt, das Vieh tötete und ein Bad in seinem Blut nahm. Mittlerweile sind davon alle Spuren beseitigt und der Drachenfels beliebter Ort für Tagungen oder Landschaftsmalerei. Erreichbar ist er mit der ältesten Zahnradbahn Deutschlands oder per Eselsritt. Oben angekommen kann man bei gutem Wetter sogar den Kölner Dom sehen.
Vielfalt statt VHS
BU: Alte VHS: het gebouw van de voormalige volkshogeschool werd omgevormd tot een links cultureel centrum. | Foto: © Alte VHS Im Gebäude der ehemaligen Volkshochschule ist der Frontalunterricht Vergangenheit. Der Verein Rhizom hat aus den leerstehenden Räumlichkeiten das Kulturzentrum Alte VHS gemacht, in dem Diskussionsveranstaltungen zum Ende des Kohleausstiegs, feministische Workshops oder Jamsessions abgehalten werden. In der Alten VHS, die sich über Spenden und ehrenamtliche Mitarbeit organisiert, gibt es eine Siebdruckwerkstatt, eine Plattentauschbörse und einen Kinder-Chaos-Raum sowie Kursangebote von Lachyoga bis Kickboxen.
Von Beethoven bis Bundeskanzler
Ludwig Beethoven inmitten von 700 Doubles: Die Kunstinstallation wurde anlässlich des 250. Geburtstags des Komponisten aufgestellt. | Foto (Detail): © picture alliance/ Sven Simon Bonn, das ist auch Beethoven. Der Münsterplatz ist sein Revier. Gleich vor dem Postamt steht er auf beeindruckendem Sockel und komponiert grimmig dreinblickend eine Sinfonie auf seinen Block. Auch im Stadtgarten hat man ihn dargestellt, dort allerdings deutlich moderner. Selbstverständlich ist die Konzerthalle am Rheinufer nach ihm benannt und jährlich wird ihm zu Ehren das Beethovenfest mit zahlreichen Konzerten und Events gefeiert. Doch auch andere Persönlichkeiten prägen das Stadtbild, etwa eine Reihe von Bundeskanzlern. Nach dem Zweiten Weltkrieg, vom Jahr 1949 bis 1999, war Bonn Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland. Insgesamt sieben Bundeskanzler haben hier zeitweise gewohnt. Vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt, an der – wie sollte es anders sein – Adenauerallee, steht eine Bronze-Plastik des ersten Kanzlers der Bundesrepublik. Auf dem Hinterkopf sind die Stationen seines Lebens eingraviert. Im Ortsteil Venusberg befindet sich die Willy-Brandt-Villa. Etwas weniger glamourös werden die beiden Kanzler-Helmuts geehrt: Schmidt hat an der B9 einen eigenen Kreisverkehr, der dahinführende 400 Meter lange Straßenabschnitt trägt seit Kurzem den Namen Helmut Kohls.
Nennenswertes Nachtleben
Neben dem Nachtleben in Clubs und Kneipen hat Bonn im Sommer auch mehrere Open-Air-Festivals und -Konzerte zu bieten, wie hier das Green Juice Festival.
| Foto (Detail): © Michael Sondermann / Bundesstadt Bonn
Bonn gilt hämischerweise auch als Akronym für Bundesstadt ohne nennenswertes Nachtleben. Dies rührt auch daher, dass das Bonner Nachtleben häufig an dem des nahegelegenen Kölns gemessen wird – einer Stadt mit dreimal so großer Einwohnerzahl. In Bonn ist das Angebot so angenehm begrenzt, dass man auch tatsächlich vor die Tür geht – und nicht überfordert angesichts der Fülle an Möglichkeiten auf dem Sofa sitzen bleibt. Ein klassischer Freitagabend könnte so aussehen: Mexikaner trinken im Babel, bei Aksoy auf der Vorgebirgsstraße Wegbiere kaufen (kurze Erklärung: das Bier to go, das man am Kiosk – hier auch Büdchen genannt – kauft, um die Wegstrecke zum nächsten Club oder zur nächsten Bar zu überbrücken) und danach ein paar Stunden tanzen: vielleicht im Untergrund, vielleicht im Blow Up und ganz vielleicht im Carpe. Danach zur Pizzeria Cala Dor, stärken für die letzte Station: die Wache in der Altstadt. Die hat garantiert immer auf.
Stadtkonturen
Schrebergärten in Berlin oder Nacktbaden in München: Wir erkunden mit Euch deutsche Städte – auch gegen den Strich. Wir skizzieren klassische Orte, Gruppen und Events, die nicht aus dem Stadtbild wegzudenken sind – und ziehen neue Konturen, indem wir das ein oder andere Klischee ins Wanken bringen.