Humboldt Forum
Schlossbau im 21. Jahrhundert

Humboldt Forum, Westfassade
Humboldt Forum, Westfassade | © SHF / Foto (Zuschnitt): Christoph Musiol

Am 16. Dezember 2020 wurde das Humboldt Forum eröffnet – pandemiebedingt via Livestream. Doch die Diskussionen um die Anlage reißen nicht ab. Die ehemalige Residenz der Hohenzollern, die vom italienischen Architekten Franco Stella neu gestaltet wurde, wirft viele Fragen zur Vergangenheit und Gegenwart der deutschen Hauptstadt auf. Wird sich der Bau als neues Wahrzeichen der Stadt behaupten? In Erwartung der Eröffnung für die Allgemeinheit, die für das kommende Frühjahr geplant ist, erzählt uns Autor Roberto Sassi mehr über die Geschichte und Architektur des neuen Berliner Schlosses.

ARCHITEKTONISCHES MONUMENT ODER BÜHNENBILD?

Betrachtet man das von Franco Stella entworfene neue Berliner Schloss heute, vor dem Hintergrund einer seltsam stillen und von Touristen verlassenen Museumsinsel, fühlt man sich auf anomale Weise in die Vergangenheit zurückversetzt. Aber welchen Eindruck könnte ein mitten im Zentrum einer europäischen Metropole wiedererrichtetes Barockgebäude im Jahr 2021 auch sonst vermitteln?

Einige Kritiker beschreiben das Schloss als „preußisches Disneyland“, andere sprechen in apokalyptischem Tonfall vom „Ende der Architektur“, wieder andere beschränken sich darauf, den symbolischen Wert des Gebäudes in Frage zu stellen. Die Befürworter des Projekts sind hingegen überzeugt, dass das Humboldt Forum eine historische und kulturelle Lücke im Herzen der Stadt schließt, und sehen darin die Wiedergutmachung eines enormen Fehlers des Politbüros der DDR. Dieses hatte im Jahr 1950 beschlossen, die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäudeteile nicht wieder aufzubauen, sondern stattdessen das gesamte Schloss abzureißen. Wie auch immer man darüber denken mag, eines ist sicher: Das Humboldt Forum macht von sich reden – ganz wie es sich für zeitgenössische Architektur gehört.
Der Apotheken-Flügel, der älteste Teil des Schlosses, wird gesprengt. Am 7. September 1950 wurde mit der Sprengung des im Krieg stark beschädigten Berliner Stadtschlosses auf der Spreeinsel begonnen. Aufnahmedatum: 07.09.1950 Der Apotheken-Flügel, der älteste Teil des Schlosses, wird gesprengt. Am 7. September 1950 wurde mit der Sprengung des im Krieg stark beschädigten Berliner Stadtschlosses auf der Spreeinsel begonnen. Aufnahmedatum: 07.09.1950 | © picture-alliance / dpa | dpa Dabei ist es nicht das erste Mal, dass das Schloss den ihm geraubten Platz erneut für sich beansprucht. Am 30. Juni 1993 kehrten seine drei Barockfassaden erstmals zurück, und zwar direkt vor den Palast der Republik, den ehemaligen Sitz des DDR-Parlaments, der 1976 auf dem Gelände errichtet worden war. Allerdings handelte es sich damals nur um eine Installation der französischen Künstlerin Catherine Feff. In Auftrag gegeben hatte diese beeindruckende Kulisse – eine Art modernes potemkinsches Dorf – Wilhelm von Boddien, ein Hamburger Unternehmer mit einer Leidenschaft für preußische Geschichte, der sich entscheidend für den Wiederaufbau des Schlosses einsetzte. Boddiens Ziel war klar: den Berlinern zu zeigen, was sie verloren hatten, aber vor allem was sie, unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel, nun wiederhaben könnten (der Wiederaufbau kostete 677 Millionen Euro, von denen 105 Millionen aus privaten Spenden stammten). Archivfoto / Berlin: Eine Illusion ist das Hohenzollernschloß in Berlin-Mitte. Zwischen dem Kronprinzenpalais (r) und dem Palast der Republik wurde ein Gerüst in der Originalgröße des 1950 gesprengten Bauwerkes errichtet und mit bemalten Stoffbahnen bespannt. Das "Traumschloß" kostete 3 Millionen D-Mark und soll für 100 Tage als Touristenattraktion Besucher in die Bundeshauptstadt locken.  Aufnahmedatum: 30.06.1993 Archivfoto / Berlin: Eine Illusion ist das Hohenzollernschloß in Berlin-Mitte. Zwischen dem Kronprinzenpalais (r) und dem Palast der Republik wurde ein Gerüst in der Originalgröße des 1950 gesprengten Bauwerkes errichtet und mit bemalten Stoffbahnen bespannt. Das "Traumschloß" kostete 3 Millionen D-Mark und soll für 100 Tage als Touristenattraktion Besucher in die Bundeshauptstadt locken. Aufnahmedatum: 30.06.1993 | © picture-alliance / ZB | Bernd Settnik

DIE VERGANGENHEIT IST KEIN DEKOELEMENT

Der Liedermacher Wolf Biermann witzelte über den Luxus des Palasts der Republik und nannte ihn „Palazzo di Protzo“. Doch das Problem, das sich Anfang der 2000er Jahre im Zusammenhang mit dem mittlerweile seit gut zehn Jahren ungenutzten Sitz der Volkskammer stellte, war nicht allein ästhetischer Natur. Im historischen und touristischen Zentrum der Hauptstadt war kein Platz für zwei symbolisch so stark aufgeladene Gebäude, für zwei so unterschiedliche und gegensätzliche historische Epochen. „Für das eine Lager“, erklärt der Autor Friedrich Dieckmann im Kapitel seines Buches Das Humboldt Forum. Die Wiedergewinnung der Idee, „war er [der Palast] ein Stein politisch-ideologischen Anstoßes; er war vor allem im Westen der scheinbar vereinigten Stadt angesiedelt und gedachte den Sieg über den Kommunismus mit dem Abriss des Palastes und der Wiedererrichtung des Schlosses gleichsam zu krönen, verkennend, dass der 1950 verordnete Abriss der Schlossruine keine Spezialität des Sozialismus gewesen war“.

So wurde auch die zunächst angedachte Idee, beide Gebäude in eine neue, gemeinsame Anlage aufzunehmen, letzten Endes wieder verworfen. Fruchtlos blieb diesbezüglich der originelle Einfall des norwegischen Künstlers Lars Ramberg, der im Jahr 2005, wenige Monate vor dem endgültigen Abriss, auf dem Dach des Palasts der Republik den Schriftzug „Zweifel“ anbrachte. Der Palast des Zweifels lud die Deutschen dazu ein, über ihre nationale Identität nach der Wiedervereinigung und in weiterer Folge auch über das Schicksal des Palasts nachzudenken.
Palast der Republik mit Fernsehturm und Dom Berlin Deutschland. Aufnahmedatum: 10.01.2006 Palast der Republik mit Fernsehturm und Dom Berlin Deutschland. Aufnahmedatum: 10.01.2006 | © picture alliance / imageBROKER | Stefan Obermeier Der Tabula-rasa-Aktion der DDR folgte eine weitere. Peter Strieder, Berliner Senator für Stadtentwicklung und Mitglied der Expertenkommission, die über das Schicksal des Areals entscheiden sollte, forderte wiederholt die Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs für einen Neubau und bezeichnete den Wiederaufbau der Barockfassaden als „Stadtdekoration“. Eine, in gewisser Hinsicht, verständliche Kritik, die aber einen wesentlichen Punkt außer Acht ließ: Die Vergangenheit, auch die wiederaufgebaute, ist nie ein reines Dekoelement.
Das Areal am Berliner Schlossplatz, auf dem zu DDR-Zeiten der Palast der Republik stand, aufgenommen am 05.02.2009. Auf dem Platz des am 23. April 1976 nach 32-monatiger Bauzeit feierlich eröffneten Bauwerkes, soll ab 2010 das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum im Schlossareal Berlin entstehen. Das Areal am Berliner Schlossplatz, auf dem zu DDR-Zeiten der Palast der Republik stand, aufgenommen am 05.02.2009. Auf dem Platz des am 23. April 1976 nach 32-monatiger Bauzeit feierlich eröffneten Bauwerkes, soll ab 2010 das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum im Schlossareal Berlin entstehen. | © picture-alliance/ ZB | Arno Burgi Am 12. Juni 2013 wurde der Grundstein für das neue Schloss gelegt, für das inzwischen auch ein offizieller Name, Humboldt Forum, sowie eine Funktion gefunden worden war. Der Bau sollte die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst aus dem Museumszentrum Berlin-Dahlem aufnehmen, das im neuen Berlin zu weit vom Stadtkern entfernt lag. Darüber hinaus sollte er Teile der Zentral- und Landesbibliothek Berlin sowie Laboratorien der Humboldt-Universität beherbergen. Sieben Jahre dauerte der Wiederaufbau der ehemaligen Residenz der Hohenzollern, die ostseitig durch eine moderne Rasterfassade ergänzt wurde. Das Humboldt Forum ist damit der teuerste Kulturbau Deutschlands und versteht sich als Ort der Diskussion über die Kunst und die umstrittene Kolonialgeschichte Preußens, also in gewisser Hinsicht auch über sich selbst. Wenn das Forum dann endlich für alle geöffnet wird, wird es beweisen müssen, dass es trotz seiner monumentalen Barockfassaden Teil der Gegenwart der Stadt ist.