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Berlinale 2020
Kein „Vernarben“ ohne Entschädigung

Foto (Detail): „(Outros) Fundamentos“. Regie: Aline Motta. Berlinale Forum Expanded
Foto (Detail): „(Outros) Fundamentos“. Regie: Aline Motta. Berlinale Forum Expanded | © : Aline Motta.

Die visuelle Künstlerin Aline Motta arbeitet mit Video, Fotografie und Installation, um Erinnerung umzudeuten und damit der Gegenwart neue Sinngehalte zu verleihen. Ihre Suche nach der Genealogie ihrer Familie mündete in eine Trilogie, die auf Brasiliens koloniale und von Sklaverei geprägte Vergangenheit verweist.
 

Von Camila Gonzatto

Das Video „(Outros) Fundamentos / (Other) Foundations“, gezeigt im Forum Expanded der Berlinale, ist der dritte Teil einer Trilogie über die Geschichte Ihrer Familie und zugleich die Geschichte Brasiliens. Können Sie uns etwas über die Genese dieses Projekts berichten?

Alles begann mit einem Geheimnis, erzählt von meiner Großmutter. Daraufhin begann ich, mehr über die Geschichte meiner Familie zu recherchieren. Ich war beeindruckt von der verfügbaren Menge an Information, selbst über eine schwarze Familie, denn fälschlicherweise glauben wir, alle Archive seien verbrannt oder existierten gar nicht. Tatsächlich gibt es eine umfassende Dokumentation, etwa über die Sklaverei in der südostbrasilianischen Kaffeeregion des Paraíba-Tals im 19. Jahrhundert. Was fehlt, ist eine eingehendere Beschäftigung mit diesem Material, insbesondere aus einem anderen Blickwinkel, der nicht notwendigerweise die herrschende Elite der „Kaffeebarone“ in den Mittelpunkt stellt, wie bislang oft in der historiografischen Forschung Brasiliens.

(Outros) Fundamentos schließt an meine 32-tägige Künstlerresidenz in Nigeria, 2017 an. Das Video erzählt von Verbindungen, die ich zwischen Lagos in Nigeria und Cachoeira im brasilianischen Recôncavo von Bahia sowie Rio de Janeiro, genauer der Guanabara-Bucht, herstellen konnte. Alle drei Städte sind von Wasser umgeben. Meine Anwesenheit in der Community von Lagos hat mehr Befremden ausgelöst, als ich erwartet hatte, und es ist dieses Gefühl, weder auf den afrikanischen Kontinent zu gehören noch nach Brasilien, worauf dieser Film basiert.
Foto (Detail): „(Outros) Fundamentos“. Regie: Aline Motta. Berlinale Forum Expanded Foto (Detail): „(Outros) Fundamentos“. Regie: Aline Motta. Berlinale Forum Expanded | ©: Aline Motta Die Filme der Trilogie sprechen von Trennung und Begegnung. Wie haben Sie die Sprache der Videos und der Installationen festgelegt? Wie lässt sich diese Geschichte voller Lücken, Begegnungen und Missverständnisse darstellen?

Die Videos der Trilogie wurden aufeinanderfolgend in einem einzigen Raum mit sechs Projektionen gezeigt – eine einmalige und äußerst eindrückliche Erfahrung, alle Arbeiten parallel auf Leinwänden von je fast fünf Metern zu sehen. Die Bilder bekommen tatsächlich Gewicht, treten in Dialog mit dem Raum, mit der Größenordnung des Körpers und mit der traumähnlichen Dimension des dunklen Raums. Wobei das erste Video drei Leinwände hat, das zweite zwei und das dritte nur eine. Als sei die Geschichte am Anfang noch fragmentierter, und im Lauf der Jahre fügten sich die einzelnen Teile zu einer einzigen Projektion zusammen, (Outros) Fragmentos – der Abschluss einer sehr intimen, persönlichen Reise, die aber dem Publikum durch bewegte, großformatige Bilder offengelegt wird.

Welche Rolle spielt Wasser in Ihren Arbeiten? Es ist ja ein wiederkehrendes Element in Ihren Videos.

Wasser ist das Element, das uns alle verbindet, Spiegel des Unbewussten und des eigenen Selbst. Die Porträts meiner Vorfahren in Wasser zu baden, bringt sie zurück zu ihren Herkunftsorten, wo alles anfängt, und endet in ständigen Kreisläufen der Erneuerung und der Transzendenz. In den zentralafrikanischen Kulturen, vor allem der Bakongo, ist Kalunga neben anderen, profunderen Bedeutungen, die feine Wasserschicht, die die Welt der Lebenden von der der Geister trennt. Meine Arbeiten sind sicher von dieser Kosmologie geprägt und auch von derjenigen der Yoruba, wo Wasser das Urelement spiritueller Verbindung ist.

Als Sie nach Nigeria reisten, kehrten Sie auf den Kontinent Ihrer Vorfahren zurück, was viele nicht konnten. Welchen Einfluss hat diese Rückkehr auf Ihr Leben und Ihre Arbeit gehabt? Sind Versöhnung oder ein Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart möglich?

Ich glaube, es ist die Rückkehr einer Person, die nie gegangen ist, von den Ihren aber nicht mehr erkannt wird, weil sie zu lange fort war. Diese Zwickmühle durchdringt die gesamte Arbeit, dieser Zwischenort der Nichtzugehörigkeit. Es ist sicher keine Versöhnung. Aber eine Vergangenheit durch eine Rückkehr zu vergegenwärtigen, kann erklären, dass wir hier sind, dass wir widerstehen und einander nie vergessen.
Foto (Detail): „(Outros) Fundamentos“. Regie: Aline Motta. Berlinale Forum Expanded Foto (Detail): „(Outros) Fundamentos“. Regie: Aline Motta. Berlinale Forum Expanded | ©: Aline Motta Die Suche nach Ihren Wurzeln zeigt uns eine offene Wunde Brasiliens, die Sklaverei, und verweist auf den in der Gesellschaft noch immer stark präsenten Rassismus. Die Aussage „weiß werden, um nicht zu verschwinden“ erscheint in „(Outros) Fundamentos“ als eine essenzielle Überlebensstrategie derjenigen, die versklavt wurden und der auf sie folgenden Generationen. Halten Sie es noch für möglich, dass diese Wunde vernarbt? Welche Rolle kann Kunst in diesem Prozess spielen?

Der Ausspruch „weiß werden oder verschwinden?“ nimmt direkt Bezug auf das Buch Schwarze Haut, weiße Masken von Frantz Fanon. Im Fall von Brasilien hat diese Provokation eine finstere Dimension, wenn man bedenkt, dass dieses „weiß werden“ der brasilianischen Bevölkerung in der Zeit nach der Abschaffung der Sklaverei Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts mit Anreizen der Regierung für die Einwanderung aus Europa offizielle Politik war. Ein „Vernarben“ ist nicht möglich ohne eine Politik der Entschädigung, die in Brasilien noch nie in größerem Maßstab betrieben wurde. Die wenigen existierenden Ansätze werden zudem hart bekämpft. Das zeugt von einem tief sitzenden Rassismus, inklusive der unabänderlichen Fortführung weißer Privilegien sowie einer absichtlichen Unkenntnis oder Auslöschung von historischen Vorgängen.

Kunst ruft möglicherweise bei einem bestimmten Publikum einige tieferliegende Verbindungen wach, was zu einem gewissen Verständnis persönlicher, familiärer und kollektiver Traumata führen kann. Aber vor allem in Brasilien sind die visuellen Künste noch ein sehr eingeschränktes, elitäres Terrain. Ich habe also meine Zweifel, was die Reichweite einer Arbeit wie meiner angeht. Zunehmend versuche ich, das Werk wirklich disziplinübergreifend zu gestalten, so dass es unterschiedliche künstlerische Verfahren und Kenntnisse zusammenbringt. Auf diese Weise kann es auch außerhalb der institutionellen Räume wirksam sein und zum Beispiel als didaktisches Material für Lehrende unterschiedlicher Fächer Verwendung finden.

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