Zeitgenössische Musik im Museum
Musiker bei der Arbeit

„Haben Sie ‚modern‘ gesagt?“
„Haben Sie ‚modern‘ gesagt?“ | © Jörg Baumann

Im Januar 2017 zeigten Xavier Le Roy, Tiziano Manca und Christophe Wavelet eine ungewöhnliche Ausstellung in Frankfurt: Die Künstler arrangierten die Musiker des renommierten Ensemble Modern, aber auch ihre Mitarbeiter, Instrumente und Arbeitsgeräte zu einer begehbaren, sich ständig verändernden Ausstellung und schufen so ein besonderes Porträt. Ein Gespräch mit Xavier Le Roy über „Haben Sie ‚modern‘ gesagt?“.

Xavier Le Roy, „Haben Sie ‚modern’ gesagt?“ ist ein Porträt des Ensemble Modern, eines renommierten Ensembles für zeitgenössische Musik, das jedoch in Form einer Ausstellung daherkommt. Warum?
 
Ich würde sagen, es ist eher eine Ausstellung als ein Porträt des Ensemble Modern. Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, um die Musik des Ensembles auf eine ungewöhnliche Art und Weise erfahrbar zu machen. Außerdem ist die Ausstellung eine Form, mit der ich in letzter Zeit experimentiere. Mich interessieren ihre Möglichkeiten, denn die Art, wie Kunst öffentlich gemacht wird, unterscheidet sich stark von den Formen des Theaters, des Konzerts oder Kinofilms. Die Einladung an das Publikum folgt anderen Konventionen. Sie beinhaltet andere Vorschläge, mit Zeit umzugehen und schafft auf diese Weise eine andere Beziehung zwischen der Öffentlichkeit und der Kunst. Im Theater wird jedem Zuschauer sein eigener Platz zugewiesen und es ist meist eine Zuschauer-Gruppe erforderlich. Es ist eine Erfahrung, die Menschen zusammenbringt, aber in einer Ausstellung bewegst du dich eher allein. Du kannst dir aussuchen, wann du gehst, wohin du gehst, in welchen Raum du zuerst gehen möchtest. Im Kino oder im Theater ist die Dauer der Vorstellung etwas, das für dich entschieden wird.
 


 
Die Ausstellung zeigte nicht nur die Musiker und ihre Instrumente, sondern beispielsweise auch Schreibtische, Mitarbeiter der Verwaltung und der Technik. Warum?
 
Anfangs haben wir Interviews mit allen Musikern geführt. Dabei wurde uns klar, dass wir so viele Elemente wie möglich einbeziehen müssen, die an der Produktion dieser Musik beteiligt sind – also nicht nur die Musiker, ihre Instrumente, Noten und so weiter, sondern auch die Beteiligten der Produktion und Verwaltung. In den Gesprächen über ihre Arbeitspraxis bezogen sich die Musiker stets direkt darauf, wie das ganze Ensemble und die ganze Organisation arbeiten. Es war also war es sehr wichtig für uns, dass es sich auch in unserer Ausstellung zeigt.
 
Die Ausstellung bestand aus einer Reihe verschiedener Szenen, die gleichzeitig und unabhängig voneinander in zwei Räumen aufgebaut wurden und dann wieder verschwanden – wie beispielsweise eine Aufnahmesituation, in der Techniker erst die erforderlichen Geräte aufstellten und dann drei Musiker immer wieder bestimmte Phrasen wiederholten. Wie haben Sie diese Szenen entwickelt?
 
Tiziano Manca, Christophe Wavelet und ich diskutierten die Fragen, die wir vor und nach den Interviews gesammelt haben. Viele dieser Fragen wurden in künstlerische Verfahren übersetzt, die es erlaubten, mit den Mitgliedern des Ensemble Modern zu experimentieren. Die Gemeinsamkeit zwischen den Szenen war die Idee, dass die Ausstellung etwas „bei der Arbeit“ sei – also Arbeitsprozesse des Ensembles zeigen sollte. Wir wollten nicht die Art und Weise reproduzieren, wie die Musiker gewöhnlich arbeiten: Sie bekommen Noten, arbeiten einzeln daran und treffen sich dann mit den anderen, um zu proben und das Stück schließlich bestmöglich aufzuführen. Wir wollten keine Konzertsituation schaffen. Stattdessen stellten wir beispielsweise ein Verfahren aus, das wir „Aufnahme“ nennen und benutzten die Handlungen, die hierfür gebraucht werden: an einem Ausschnitt arbeiten, wiederholen und zuhören, kommentieren, erneut spielen und so weiter. Aufgrund der hohen Kosten war es nicht möglich, lange mit dem Ensemble zu proben. Das war eine unserer Grenzen. Aber sie ließ sich auch für uns nutzen: Denn diese Dinge können in einer sehr kurzen Zeit geprobt werden, da es primär darum ging, mit den Musikern unsere Vorschläge zu diskutieren und zu teilen. Die Sequenzen mussten nicht im Vorfeld vollständig festgelegt werden, bevor sie mit dem Publikum aufgeführt wurden. Weil das Ensemble Modern sich als Ensemble von Solisten bezeichnet, wollten wir außerdem vor allem mit einzelnen Musikern arbeiten. So konnten wir auch mit der begrenzten Anzahl von Proben umgehen. Das veränderte ihre übliche Methode, zu proben und erforderte von uns dreien viel Vorbereitung im Vorfeld.
 
Ich denke, dass zeitgenössische Musik immer noch elitär ist in dem Sinne, dass sie ein spezifisches, kenntnisreiches Publikum hat. Ihr Zugang dazu verändert auch die Rezeption, er stellt die Musik in einen anderen Kontext.
 
Aus meiner Perspektive erlauben die Verfahren, die wir vorschlagen, einen Zugang zu dieser Musik, der kein bestimmtes Vorwissen des Publikums erfordert. Es wurde vom Publikum nicht unbedingt erwartet, Teil dieser „elitären Welt“ zu sein, wie Sie es sagen. Es gab viele Momente, in denen etwa das Publikum mit den Musikern diskutieren konnte. Beispielsweise wenn sie ein Stück ihrer Wahl übten; es konnte sehr nahe kommen. Die Tätigkeit, sich ein bestimmtes Stück Musik zu erarbeiten, ermöglichte einen anderen Zugang, weil das Publikum immer wieder dieselbe Sequenz hören konnte. So wird es möglich zu lernen, zu differenzieren und zu diskutieren, wie man zuhört und was man hört. Die Ausstellung als Format gestattet es also im buchstäblichen Sinne, die Zuschauer näher an die Musiker heranzubringen, an die Noten, die Instrumente.
 
Woher kommt der Titel der Ausstellung? Was bedeutet „modern“ für Sie?
 
Offensichtlich bezieht sich der Titel auf den Namen des Ensemble Modern. Und er steht für den Wunsch, zu befragen, was wir unter „modern“ verstehen. Modern für dieses Ensemble, aber auch in unserer Kultur: Der Titel ist eine Einladung, darüber nachzudenken, was wir heute für modern halten.