Sweet Beginnings in Chicago hilft ehemaligen Häftlingen, sich mit Bienenzucht eine Existenz aufzubauen – und bewirkt damit auch ein Umdenken über Umweltschutz und Strafvollzug.
Das Bodenpersonal am O’Hare Airport in Chicago ist es gewöhnt, sich mit der Natur auseinanderzusetzen: Im Winter enteist man Flugzeuge, im Sommer rollt man über kochendheiße Pisten. Man ist auf alles gefasst, was die Natur zu bieten hat. Bis eines sonnigen Nachtmittags ein Bienenschwarm beschloss, sich an einem Flugsteig anzusiedeln. Die Flughafen-Mitarbeiter ließen sich verschiedene Ideen, wie mit der summenden Bienenschar zu verfahren sei, durch den Kopf gehen und wollten ihr etwa mit einem Wasserschlauch oder Pestiziden zu Leibe rücken. Doch bevor einer der Pläne in die Tat umgesetzt werden konnte, tauchte das Sweet-Beginnings-Team auf, schnappte sich den Schwarm samt der Königin und brachte ihn eilends zu einem neuen Bienenstock. Das Team unterhält 75 Bienenstöcke auf einem abseits gelegenen Feld auf dem O’Hare-Gelände. Das ist der größte auf einem Flughafen angesiedelte Bienenstand der USA.
Obwohl sich später herausstellte, dass der Schwarm gar nicht aus den Beständen von Sweet Beginnings stammte, bereute das Team den Ausflug nicht. „Wir leisteten gleich Öffentlichkeitsarbeit vor Ort“, erinnert sich Brenda Palms Barber, Gründerin und Geschäftsführerin von Sweet Beginnings. „Während wir den Schwarm einsammelten, unterhielten wir uns mit dem Bodenpersonal über Honigbienen, deren Verhalten und die ökologische Bedeutung der Blütenbestäubung.“ Auch wenn Sweet Beginnings schon viel dafür unternommen hat, dass Bienen als natürliche Ressource und nicht als Plage wahrgenommen werden, ist das nicht das vorrangige Ziel der Organisation. Doch es ist ein wertvolles Resultat ihrer Bemühungen, ebenso wie Honig ein wertvolles Produkt der unschätzbaren Arbeit von Blütenbestäubern ist.
Eine ungewöhnliche Ausbildungsinitiative
Sweet Beginnings ist ein Ausbildungsprogramm für ehemalige Häftlinge und Menschen, deren Zugang zum Arbeitsmarkt aus anderen Gründen eingeschränkt ist. Das soziale Unternehmen ist ein Ableger des North Lawndale Employment Network NLEN (übersetzt etwa North Lawndale Beschäftigungsnetzwerk), einer Sozialorganisation im westlichen Teil Chicagos. NLEN „unterstützt Einwohner von North Lawndale durch innovative Erwerbsinitiativen, die zu wirtschaftlichem Aufschwung und einer verbesserten Lebensqualität führen.“
2004 rief NLEN die Sweet Beginnings GmbH als Ausbildungsprojekt ins Leben, das gleichzeitig finanzielle Erträge erwirtschaften sollte. Unterstützt von einem lokalen Imker und verschiedenen Umwelt- und Sozialorganisationen lernten die Schützlinge von NLEN, wie man Bienen versorgt, Honig erntet und verpackt sowie daraus Seifen und Lotionen herstellt.
2014 besaß das Unternehmen dann 131 Bienenstöcke in ganz Chicago und hatte insgesamt 383 Auszubildende in Bienenzucht sowie der Verarbeitung von Honig, in Verpackungs- und Vertriebslogistik und Marketing unterwiesen. Die beeloveTM-Serie mit Honig und honigbasierten Produkten findet sich in einigen großen Lebensmittelketten der Region und in Läden auf den Hauptflughäfen von Chicago. 2014 erwarb Sweet Beginnings 50 neue Bienenstöcke, erntete mehr als 1600 Pfund Honig und stellte 19 Mitarbeiter an – von denen kein einziger erneut straffällig wurde. NLEN überprüft die Rückfallquote sorgfältig und konnte nachweisen, dass ehemalige Beschäftigte von Sweet Beginnings eine Rückfallquote von weniger als 10 Prozent aufweisen. Dem gegenüber stehen eine Rückfallquote von 40 Prozent in ganz USA und von 55 Prozent im Bundesstaat Illinois.
Schwierigkeiten bei der Jobsuche bekämpfen
In den USA ist es schwierig, Arbeit zu finden, wenn man eine Haftstrafe verbüßt hat oder einen kriminellen Hintergrund hat. Besonders seit den Ereignissen vom 11. September 2001 stellen Arbeitgeber nur ungern ehemalige Strafgefangene an. Nach 9/11 konnte NLEN der gestiegenen Nachfrage nach der Vermittlung von Arbeitsplätzen nicht mehr nachkommen. So entsteht ein Teufelskreis, bei dem jede Form der Inhaftierung ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem geregelten Einkommen darstellt. Die ehemaligen Häftlinge kehren damit häufig zu Drogenhandel oder anderen illegalen Methoden der Geldbeschaffung zurück. Zudem richtet sich die US-amerikanische Justiz überproportional gegen Angehörige nichtweißer Ethnien und Mitglieder einkommensschwacher Gemeinden.
Während kürzlich erschienene Bücher wie The New Jim Crow dieses Thema in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, stehen NLEN und Sweet Beginnings an vorderster Front und schaffen ein positives Beispiel dafür, wie man ehemalige Straftäter fördern und stereotype kriminelle Biografien aktiv durchbrechen kann. Auch andere Klischees werden auf den Prüfstand gestellt. „Ich bin Afroamerikanerin“, sagt Geschäftsführerin Palms Barber über sich. „Man würde uns auf den ersten Blick nicht für Imker halten. Und doch kümmern wir uns um Bienenstöcke, diagnostizieren Probleme und gewinnen Honig!“
Zudem weist Palms Barber darauf hin, dass Umweltschutz und urbane Landwirtschaft oft als Luxusaktivitäten gelten. „Dafür habe ich keine Zeit. Ich brauche einen Job“, hört sie immer wieder. Sweet Beginnings umgeht diese Einstellung, indem die Organisation bei der Erwerbsmöglichkeit und den dafür nötigen Fähigkeiten ansetzt und dann das Umweltbewusstsein als Teil dieses Prozesses entstehen lässt. Die Beschäftigten von Sweet Beginnings merken rasch, dass ihre Bienen auf eine grüne Umwelt und einen pestizidfreien Lebensraum angewiesen sind. Die Auszubildenden erfahren etwas über die Biologie der Honigbienen, die Bedeutung von Blütenbestäubern und die negativen Gesundheitsfolgen von raffiniertem Zucker und chemischen Hautpflegeprodukten. Diese Konzepte fügen sich harmonisch in das Geschäftsmodell von Sweet Beginnings ein und kommen auch bei der Vermarktung der beeloveTM-Serie zum Tragen.
Von den süßen Anfängen zu einer neuen Lebensgrundlage
Das Unternehmen bringt sogar neue Umweltaktivisten hervor. Zwei ehemalige Angestellte haben kürzlich unter dem Namen West Side Bee Boys einen Laden für Imkerbedarf und Honig eröffnet. Gründer Thad Smith wandte sich an Sweet Beginnings, um seine eigene kriminelle Vergangenheit und Probleme bei der Arbeitssuche in den Griff zu bekommen. Er entwickelte schnell eine Faszination für Bienen und stieg innerhalb der Organisation zum Imker-Assistenten auf. Nun beschreitet er mit West Side Bee Boys eigene Wege und möchte die Zucht von Holzbienen in ganz Chicago vorantreiben. „Holzbienen produzieren zwar keinen Honig, aber sie gehen vor Ort auf Nahrungssuche und bewirken Wunder in Ihrem Garten“, erklärt er den Kunden seines Bauernmarktes. Neben Honig aus eigener Produktion vertreibt West Side Bee Boys preiswerte und einfach im Garten aufzustellende Bienenstöcke für diese Bienenart.
Brenda Palms Barber fasst den Erfolg von Sweet Beginnings und seiner Schützlinge mit einer passenden Metapher zusammen: „Bienen unterscheiden nicht zwischen ‚Unkraut’ und ‚Blumen’. Sie sind auf den Nektar im Inneren aus.“ NLEN und Sweet Beginnings folgen bei ihrer Klientel dem gleichen Prinzip und konzentrieren sich auf das Potential des Menschen, durch Arbeit zu erblühen. In Chicago wächst die Population der Honigbienen und mit ihr eine umwelt- und gesundheitsbewusste Erwerbsbevölkerung, der nach einem süßen Anfang eine glänzende Zukunft bevorsteht.