Wassermanagement
Der Regen wird zum gehüteten Schatz
Berlin will Schwammstadt werden: kein Regentropfen soll vergeudet werden. Damit ist die Hauptstadt Vorreiter in Deutschland, was den nachhaltigen Umgang mit Regenwasser angeht.
Von Wolfgang Mulke
Ruhig neigt sich der in Herbstfarben getauchte Schilfgürtel rund um den kleinen Piano-See im Wind hin und her, über Kaskaden rauscht das Wasser in einem künstlichen Flussbett. Das kleine Idyll täuscht darüber hinweg, dass man sich hier mitten im Herzen Berlins befindet – am Potsdamer Platz, wo Grund und Boden so teuer ist, dass für Natur meist kein Plätzchen mehr bereitgehalten wird. Doch die Planer*innen mussten sich bei der Entwicklung des Areals einer Vorgabe beugen, die heute für alle Neubauten in der deutschen Hauptstadt gilt: Das Regenwasser muss aufgefangen werden und darf nicht in die Kanalisation, in Kanäle oder Flüsse gelangen. „Schwammstadt Berlin“ heißt das Konzept, das seit einigen Jahren stadtweit umgesetzt wird.
„Man hat vor acht Jahren erkannt, dass es so nicht weitergeht“, erläutert Stephan Natz, der Sprecher der örtlichen Wasserbetriebe. Denn zuvor hatte sich Berlin noch nicht auf die veränderten Klimabedingungen eingestellt. Die brachten zwar nicht mehr, aber dafür immer stärkere Regenfälle mit sich. Starkregen überforderte die alte Kanalisation immer häufiger – mit gravierenden Folgen. Überflutetet Straßenzüge sind nur eine davon.
Tödlicher Überfluss
Berlin verfügt wie die meisten Großstädte im Zentrum über eine Mischkanalisation. Bei heftigen Niederschlägen fließt das Regenwasser über Gullys mit dem Brauchwasser zusammen. Laufen die Kanäle über, rinnt die Brühe ungeklärt in den nächsten Kanal oder Fluss. Eine Folge ist ein regelmäßiges Fischsterben, weil Mitbringsel wie Blütenstaub den Gewässern den Sauerstoff entziehen. In den Außenbezirken der Stadt wird das Abwasser zwar getrennt, doch auch hier leiten Überlaufkanäle das Regenwasser bei zu großen Mengen in umgebende Gewässer.
Die „Schwammstadt“ soll diese Umweltbelastung beenden, indem sie das überschüssige Wasser regelrecht aufsaugt. Der Aufwand dafür ist beträchtlich. Unter dem Potsdamer Platz zum Beispiel wird das Regenwasser in unterirdischen Zisternen gespeichert, denn allzu tief darf der Piano-See nicht werden, und wird genutzt, um begrünte Dächer oder Rasenflächen auf dem Areal zu bewässern. Das hat auch einen Effekt für das Stadtklima insgesamt: „Es wirkt ausgleichend auf Temperatur, Luftfeuchte und Staubentwicklung“, erklären die Initiator*innen.
Aus der Dusche in die Fischzucht
Ein paar Hundert Meter weiter steht der „Block 6“ im Bezirk Kreuzberg. Hier erproben Wissenschaftler*innen der Technischen Universität, wie sich neben dem Regenwasser das so genannte „Grauwasser“, also Abwasser etwa vom Duschen oder Abwaschen, aufbereiten und für die Nahrungsmittelproduktion verwenden lässt. 250 Haushalte leiten ihr Grauwasser in einen Teich inmitten des Blocks, in welchem Pflanzen das Abwasser reinigen. Daneben züchten die Forscher*innen Pflanzen und Fische mit dem nährstoffhaltigen, aber natürlich schon gereinigten Wasser.
Auf dem Wissenschaftscampus gibt es keine Gullys mehr – stattdessen sorgen begrünte Rigolen, Dächer und Häuserfassaden für Ablauf und Reinigung von Regenwasser.
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Ganze Viertel in Berlin werden inzwischen so entworfen und gebaut, dass möglichst jeder Tropfen Regenwasser wiederverwendet wird. Im Wissenschaftscampus Adlershof gibt es ebenso wie im Wohngebiet Karow Nord keine Gullys mehr. Regen wird gespeichert oder gleich für begrünte Flächen auf dem Dach oder zwischen den Gebäuden verwendet. Auch das geplante neue Stadtviertel auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel wird umfangreiches Regenwassermanagement betreiben.
Riesenspeicher unter der Erde
Die Wasserbetriebe legen außerdem überirdische wie unterirdische Speicher an. Passant*innen bemerken beim neuen Fußballplatz kaum, dass die Anlage 30 Zentimeter unter der Erdoberfläche liegt, um bei Bedarf Regenwasser zu sammeln. An anderer Stelle wird derweil ein Speicher unter der Erde angelegt, der 300.000 Kubikmeter Wasser fassen kann. Das entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von gut 67 Metern. „Berlin liegt in Deutschland bei diesem Thema ganz vorne“, sagt Natz, „jeder Regentropfen, der nicht in den Kanal fließt, ist ein guter Regentropfen.“
Doch ganz so rosig ist die Situation nicht. In der Regenwasseragentur, die das Konzept umsetzt, arbeiten nur fünf Beschäftigte am Umbau der Millionenstadt. Hinzu kommt: Die gesetzlichen Vorgaben, regenwasserneutral zu bauen, betreffen nur einen Teil der Gebäudewirtschaft, und auch dort konkurrieren Zisternen mit „wertvollen“ Tiefgaragenplätzen. Bei bestehenden Gebäuden fehlt eine Handhabe für einen nachhaltigen Umgang mit Regenwasser noch komplett. „Eine Lösung gibt es hier noch nicht“, räumt auch Sprecher Natz ein. So wird es noch dauern, bis der Schwamm das immer wertvollere Wasser vollständig aufsaugen und ökologisch sinnvoll weiterverwenden wird.
Ein Flugzeug startet über dem Tegeler See: Für das neue Stadtviertel, das auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel entstehen soll, ist umfangreiches Regenwassermanagement vorgesehen.
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