Das Mädchen K - Die Würde des Menschen ist unantastbar
Aufruf zu Bild-Kurzgeschichten

Weiße Kugeln © © Franca Bartholomaei Weiße Kugeln © Franca Bartholomaei

Zeichnungen zur Aktualität von Nguyen Dus "Truyen Kieu".

Das Goethe-Institut lädt Cartoonisten, Karikaturisten, Zeichner und Animationszeichner aus Vietnam dazu ein, eine Kurzgeschichte in 3 Bildern oder eine Bewegt-Zeichnung oder Animation zur Aktualität der KIEU einzureichen. Die Frage lautet:

Wie deuten wir, wie lesen wir KIEU heute? Wie sieht unsere KIEU heute aus?

Aus den Einreichungen werden sechs ausgewählt prämiert und mit einer Prämie von 15 Mio. VND (net) honoriert.
Format | 983 px (B) x 427 px (H)

Abgabefrist | 31. Oktober 2019

Einsendungen an Wilfried.Eckstein@goethe.de

Erklärungen zum Verständnis der Aufgabe:

Nguyen Dus Versepos Truyen Kieu ist große Literatur und gehört zum kulturellen Erbe Vietnams. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts fand es Eingang in den nationalen Bildungskanon. Bis heute gilt es als Schatz lebensweltlicher Erfahrungen für Mann und Frau in vietnamesischer Sprache. Das Epos hat zu Gemälden, Nacherzählungen, Theaterinszenierungen und Verfilmungen angeregt. Bis heute lebt diese Geschichte in Zitaten und Bonmots weiter, spendet Trost und gibt Hoffnung. Während des einhundert Jahre währenden Befreiungskampfes Vietnams hielt das Epos ein künstlerisches Versprechen bereit, nämlich dass alles menschliche Leiden zu etwas Positivem führt. Denn am Ende der Odyssee Kieus steht nicht ihr Tod, sondern ihre Rettung und ein neues selbstbestimmtes Leben.

Am Ende ihrer unheilvollen Geschichte nimmt Kieu eine würdevolle Position sich selbst, ihrer Familie, ihrer Stadt und dem ganzen Land gegenüber ein. Sie entscheidet autonom, wie sie ihr Leben weiterführen wird. Ihre Entscheidung setzt ein Zeichen für den Willen der Frau zu einem selbstbestimmten Leben, zu einem Leben in Würde.

Warum beschäftigt sich das deutsche Kulturzentrum mit diesem sprachlichen Meisterwerk, das höchste Verehrung in Vietnam genießt? Dieses Werk ist übersetzt und hat durch die Übersetzung neue Leser gefunden. Wenn immer ein großes literarisches Werk in eine andere Sprache übersetzt wird, - wie von Cervantes, Shakespeare, Tschechow, oder Goethe - wird seine Tiefe und Breite von neuen Lesern ausgelotet. Dann stellt sich die Frage, ob dieses Werk auch Menschen in anderen Kulturen anspricht und ins seinen Bann zieht, ob es in dem anderen kulturellen Kontext relevant wird und neue Deutungen zulässt. Es ist wie mit der Musik, zum Beispiel der Ode an die Freude aus Beethovens Symphonie No 9. Immer steht ein großes Kunstwerk von der Herausforderung, ob es Menschen auch in anderen Ländern und Sprachen anspricht. Wenn das gelingt, erweitert das Werk seine Aussagekraft über die Grenzen seiner Heimat hinaus. Wenn sich das Goethe-Institut Nguyen Dus Truyen Kieu annähert, dann mit dem Ergebnis, seine Relevanz und seinen Ruhm jenseits der nationalen, sprachlichen und kulturellen Grenzen Vietnams zu steigern.

Allerdings wird für einen westlichen Leser die Kieu heute kaum als Metapher für das nationale Leiden und die Resilienz Vietnams gelesen. Viel schlichter erkennt man darin eine Erzählung, die sich wie ein roter Faden seit Jahrhunderten durchzieht, die Unterdrückung der Frau und der Handel mit Menschen. Aus dieser Warte wirkt die Truyen Kieu wie Märchen voller grauenhafter und mancher zarter Bilder, in deren Mitte eine bedrängte Frau steht. Sie macht viel Furchtbares und wenig Schönes durch. Gegen sie werden Verbrechen verübt, ihr Körper und ihre Seele werden gequält. Wie jeder Mensch sucht sie Glück, will leben, lieben und geliebt werden. Aber sie wird unterdrückt und ständig auf Abwege geführt. Eine solche Geschichte weckt heute zwangsweise die Frage nach dem Fortschritt in der Geschichte, nach dem Stellenwert von Menschlichkeit und Würde in unserer Welt. Welches Menschbild vertreten wir? Welches Frauenbild machen wir zum Kern unserer Kultur? Und schließlich die Frage: Wie deuten wir, wie lesen wir KIEU heute? Wie sieht unsere KIEU heute aus?

Das Goethe-Institut hatte im Juli ein Symposium organisiert, bei dem verschiedene Deutungen von Nguyen Dus Truyen Kieu vogeführt wurden. Zu hören war vom tiefen Wissen um die historischen Verbindungen zum ursprünglichen chinesischen Stoff bis zu Fragen nach der Rolle der Frau heute. Wie steht es um die alleinstehende, verheiratete, geschiedene Frau mit oder ohne Anhang? Welche kulturellen Muster haben sich erhalten, die Frauen dem Willen einer von männlichen Werten und Herrschaftsgewohnheiten zu beugen? Wo lassen neuen Freiheiten und ein neues Selbstbewusstsein der Frau ein neues Bild, eine neue Deutung der Kieu zu? Wie deuten wir, wie lesen wir KIEU heute? Wie sieht unsere KIEU heute aus?
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