Wie können Gesellschaften dem scheinbar unausweichlichen Dilemma der Übernutzung natürlicher Ressourcen entkommen? Die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom zeigt in ihren Studien, dass dies sehr wohl gelingen kann – und zwar ohne zentralstaatliche Regelungen oder Privatisierung, sondern rein durch die Selbstverwaltung lokaler Gruppen.
Die Debatte um die „Tragik der Allmende“ begleitet die Sozialwissenschaften seit Jahrzehnten. Ursprünglich von Garret Hardin formuliert, beschreibt dieses Konzept das Phänomen, dass frei zugängliche, gemeinschaftlich genutzte Ressourcen – ob Weideland oder Fischgründe– oft in einem Wettlauf zur Übernutzung enden. Der einzelne Akteur habe den Anreiz, die natürliche Ressource so intensiv wie möglich zu nutzen, denn tue er dies nicht, würden die anderen seinen potenziellen Nutzen einstreichen. Die Konsequenz dieser Logik sei deren unvermeidliche Übernutzung. Um die Nutzung zu beschränken, schlug Hardin zum einen die Vergabe privater Nutzungsrechte oder die Verstaatlichung der Ressource vor.Lokale Selbstverwaltung – Die Kraft der kleinen Gemeinschaft
Die Arbeiten von Ostrom zeigen jedoch einen dritten Weg aus dem vermeintlichen Dilemma. In ihrem Hauptwerk Governing the Commons hat sie in anhand von zahlreichen Beispielen nachgewiesen, dass es Gemeinschaften gelingt, durch kooperative Selbstverwaltung ihre Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften.Ein gelungenes Beispiel aus dem Bereich der Wassernutzung ist das Bewässerungssystem in Huerta, Spanien. Hier existiert seit Jahrhunderten das Tribunal de las Aguas, ein Wassergericht, das von lokalen Bauern gebildet wird und eigenständig über die Nutzung und Verteilung des Wassers entscheidet. Das System funktioniert auf Basis gemeinschaftlicher Regeln und Transparenz: Konflikte über Wasserrechte werden öffentlich und effizient gelöst, ohne staatliche Bürokratie. Durch den gemeinschaftlichen Charakter dieser Institution konnten nachhaltige Nutzungspraktiken entwickelt werden, die Übernutzung verhindern und die Wasserversorgung für alle sichern.

Das Wassergericht von Valencia - jeden Donnerstag entscheiden die acht Richter letztinstanzlich über Streitigkeiten bei der Bewässerung der Plantagen und das seit über 1000 Jahren. | By Carlesmari - Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7942672
Die Grenzen von Ostroms Theorie – wirtschaftliche Interessen vs. Gemeinwohl
Während Ostroms Theorie gemeinwohlorientiertes Handeln in kleinen Gruppen erklären kann, gerät die Theorie an Grenzen, wenn kurzfristigere Interessen ins Spiel kommen. Die Bauern in Spanien halten sich auch deshalb an die Regeln zur Entnahme von Wasser, weil sie ein langfristiges Interesse an der Bewirtschaftung ihrer Plantagen haben. Werden Nutzungsrechte jedoch an Konzerne verkauft oder geraten in das Spannungsfeld spekulativer Märkte, steht ein kurzfristigeres Profitstreben im Vordergrund. Diese Akteure agieren zudem außerhalb der lokalen Gemeinschaften und entziehen sich so den sozialen Mechanismen der Kontrolle und Reziprozität.Ein Beispiel für die Vergabe von Wasserrechten, bei der die lokale Selbstverwaltung ausgehebelt wurde, ist die Privatisierung der Wasserressourcen in Chile. Seit den 1980er-Jahren wurden dort Wasserrechte als handelbare Güter eingeführt, die oft an große Agrar- und Bergbauunternehmen vergeben wurden. Der Fall der Region Petorca in Zentralchile ist besonders prominent: Während Avocado-Plantagen international exportieren und dabei enorme Mengen Wasser verbrauchen, leiden lokale Gemeinden unter Wasserknappheit und müssen auf Tankwagenversorgung zurückgreifen.

Schädel toter Rinder, die aufgrund der Wasserknappheit in der Region verendet sind, wurden am 23. Juni 2024 in Petorca, Chile, am Straßenrand positioniert, um gegen die Untätigkeit der Behörden zu protestieren. | © picture alliance / Anadolu | Lucas Aguayo Araos
Selbstverwaltung als Teil der Lösung
Die genannten Beispiele zeigen, dass die Lösung in vielen Fällen nicht allein in lokaler Selbstverwaltung liegen kann, gerade bei globalen Allmendeproblemen. Die Herausforderung besteht also eher darin, die Kraft der regionalen Selbstverwaltung in größere politische und wirtschaftliche Strukturen, wie internationale Klimaabkommen, zu integrieren.Gerade staatliche Akteure sind gefragt, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Erfolg lokaler Selbstverwaltung zu ermöglichen – sei es durch das (Zurück-)geben von Nutzungsrechten oder gezielte Maßnahmen zum Aufbau solcher Gemeinschaften. Dies setzt aber eines voraus: Die Einsicht bei den politischen Handelnden, dass das Allgemeinwohl nicht dem kurzfristigen Profitstreben geopfert werden darf.