Deutsche Sommerfilme  Zeit loszulassen

Eine Szene aus dem Spielfilm „Roter Himmel": Leon, gespielt von Thomas Schubert, steht links im Bild, trägt auf seiner rechten Schulter einen schwarzen Rucksack und blickt Nadja an. Nadja, gespielt von Paula Beer, steht im rechten Bildrand mit einem Fahrrad, beladen mit Einkaufstüten. Sie blicken einander an. Beide stehen an der Dünenvegetationszone, im Hintergrund ist die Ostsee zu sehen.
Eine Szene aus dem Spielfilm „Roter Himmel“: Leon und Nadja vor der Ostsee Roter Himmel / © Christian Schulz

Der Sommer bedeutet nicht nur Hitze und lange Nächte, sondern auch Abenteuerlust und neue Erfahrungen. Das spiegelt sich auch in den jüngsten deutschen Filmen wider. Sechs Empfehlungen von Bianca Rauch.

Hitze, Trägheit und lange Nächte. Ferien, Romanzen und Abenteuerlust. Der Sommer. Es ist die Jahreszeit, in der die Schatten unseres Alltags von Sonne durchflutet werden. Die Monate, die jährlich neue Erlebnisse bereithalten. Es ist genau diese besondere Atmosphäre, die Filmbilder so eindrucksvoll einfangen. Gerade im Sommer tauchen Filmfiguren oft in neue Erfahrungen ein. Davon erzählen in jüngster Vergangenheit auch vermehrt deutsche Spielfilme.

Die hier vorgestellten Sommerfilme verbindet vor allem ein zentrales Motiv: die Suche nach Unbeschwertheit. Das Entkommen aus dem Alltagstrott geht entweder in unvorhergesehene Ereignisse über oder liegt zum Greifen nahe. Je jünger die Charaktere, desto mehr spielen Freund*innenschaften und Liebschaften eine Rolle. Mit dem Alter rücken Arbeit, Familie und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den Vordergrund. Außerdem machen alle eines deutlich: Loslassen und sich dem Leben hingeben lässt es sich im Sommer einfach am besten – und bringt einen sich selbst und anderen näher.
 

Roter Himmel

Zwei befreundete angehende Künstler ziehen sich aus Berlin zurück und fahren an die erfrischende Ostsee. Während Felix im idyllischen Ferienmodus an seiner Bewerbungsmappe für die Kunst-Uni arbeiten möchte, klemmt sich Leon ehrgeizig hinter seinen Roman. Ebenfalls im Ferienhaus von Felix’ Familie untergebracht ist Nadja. Gemeinsam mit dem Rettungsschwimmer Devid bringt sie die Pläne des Duos durcheinander. Leon begegnet allem und jedem mit großer Skepsis und ernster Miene. Dem sommerlichen Treiben wird die Unbeschwertheit endgültig genommen, als sich hinter Garten und Dünen ein bedrohlicher Waldbrand anbahnt.
 

Alaska

Ebenso in Richtung Gewässer zieht es Kerstin in Alaska, einem Roadmovie der nasseren Art. Allein im Zweier-Kajak durchkreuzt sie die Mecklenburgische Seenplatte, sucht nach sich selbst und begegnet dabei anderen, die ähnliches tun. Mit jeder Paddelbewegung erfahren wir mehr über diese Figuren, die vor der Vergangenheit fliehen, dabei aber immer wieder mit ihrer Geschichte konfrontiert werden. Gekonnt inszeniert sind die Wasseroberflächen Mecklenburg-Vorpommerns, in denen sich nicht nur die Landschaften widerspiegeln. Sie sind zugleich Reflexionsfläche für die Zuschauer*innen und bieten auf beiden Seiten einen Moment der Befreiung.
 

Niemand ist bei den Kälbern

Mehr über Land als zu Wasser lässt sich die Mittzwanzigjährige Christin durch den Hochsommer in Mecklenburg-Vorpommern treiben. Sie lebt mit ihrem Freund am Hof seiner Eltern, wo sie ab und zu bei der Versorgung der Kühe und Kälber mit anpackt. Dazwischen vertreibt sie sich die Zeit mit Herumlungern. Dabei wirft sie eines Tages ein Auge auf den 46-jährigen Klaus, und plötzlich wird die gähnend-sommerlichen Leere von einer feurigen Leidenschaft abgelöst.

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Eine ebenfalls geheime, sommerliche Liebschaft erlebt die 18-jährige Maria in Irgendwann werden wir uns alles erzählen mit dem ebenso wesentlich älteren Henner. Die Handlung setzt in einem Dorf in Thüringen kurz nach der Wende im wiedervereinigten Deutschland ein. Maria wohnt am Hof der Familie ihres Freundes. Dieser träumt nach seinem München-Roadtrip euphorisiert von einem Kunststudium. Für Maria werden die politischen Umbrüche und neuen Möglichkeiten zur Nebensache, denn sie sehnt sich nur noch nach ihrer schweißtreibenden Liebschaft.
 

Königin von Niendorf

Kühlen Kopf bewahrt hingegen die zehnjährige Lea, als sie beschließt, das Feriencamp zum ersten Mal auszulassen und die Sommerwochen gänzlich in ihrem Heimatdorf in Brandenburg zu verbringen. Während ihre Freundinnen der Pubertät schon näher sind und neue Interessen hegen, sucht Lea woanders nach Abenteuern. Sie erkämpft sich ihren Platz in einer Jungs-Gruppe, um mit ihnen das Dorf und die Umgebung zu erkunden. In Königin von Niendorf wird der Sommer zu jener einmaligen Zeit des Jahres, in der nicht nur Trägheit und Freiheit sich ausbreiten, sondern auch neue Erfahrungen das (Kindheits-)Leben bereichern.
 

Kokon

Zuhause bleibt auch die 14-jährige Nora mit ihrer älteren Schwester Jule. Für sie stecken die heißen Wochen in Berlin vor und während der Schulferien voller Veränderungen. Nicht nur ihre erste Menstruationsblutung überrascht Nora, auch das erste Empfinden von körperlicher Anziehung und Verliebtheit. Sie verknallt sich in die Neue in der Schule, die sich nicht nur hilfsbereit zeigt, sondern auch noch cool, mutig und selbstbewusst agiert. In Leonie Krippendorffs Langfilmdebüt erwecken tagebuchartige Smartphone-Aufnahmen und ein wunderbarer Soundtrack den Großstadtsommer auf authentische Weise zum Leben – mit dem unbeschwerten Gefühl endloser Freibadnachmittage.