Elias Hirschl ist fasziniert von Sprache im öffentlichen Raum. Gebrauchstexte sind für ihn schönstes Lese- und Schreibmaterial – zu finden überall. Und so entwickelt sich aus der Applausordnung vielleicht ein Theaterstück und der Gebäudefluchtplan wird zum Roman.
Vor etwas über einem Jahr habe ich mit dem Wiener Autor Fabian Navarro ein kleines Projekt durchgeführt, für das wir sämtliche Schilder, Hinweise, Richtungsangaben, Flucht- und Brandschutzpläne und sogar die Notizen von Techniker:innen im Wiener Volkstheater abfotografiert, transkribiert und dann daraus neue Texte zusammengestellt haben, die wir an zwei verschiedenen Abenden im Volkstheater präsentieren durften. Auch alle auf dem Grundstück des Volkstheaters klebende Sticker und Graffitis haben wir eingefangen und verschriftlicht. Seitdem (und eigentlich auch vorher schon) lassen mich Gebrauchstexte im öffentlichen Raum nicht mehr los. All diese Texte, die im strengen Sinn nicht künstlerisch wertvoll sind, haben in ihrer oft unfreiwilligen Komik und Schönheit auch einen großen Einfluss auf mein Schreiben.Fundstücke im Volkstheater
Mich faszinieren Gebrauchstexte vor allem deswegen, weil sie einen schönen Einblick in eigene Soziolekte und seltsame Bereichssprachen werfen, die einem normalerweise nicht wertvoll genug vorkommen, um sie in ein literarisches Werk einzubauen. Dabei halten sie eine große Fülle an neuen Wörtern bereit, die man sonst eher selten hört. Im Falle des Volkstheaters waren das so wunderschöne Begriffe wie- Zuschauerhausrauchklappen
- Haltemagnet
- Deckenspots
- Kugellampen
- Gehörschutzstöpselspender
- Applausordnung
Seltsame Wörter gegen Schreibblockaden
In den letzten Monaten fotografiere ich wieder vermehrt Schilder auf meinen Spazierwegen. Gute Wörter der letzten Wochen:- Kugelhahnabsaugung
- Befüllmulde
- Sickerschacht
- Gasrückführung
- Handlasten
- schwebende Fracht
- Nachtsperreneinbau
- Quetschgefahr
- Küchenanlieferung
- Feuerwehrbewegungsfläche
- Notentriegelung
- Befülltrichter
- Blitzschutztrennstelle
Vor einem Dreivierteljahr hab ich, wieder mit Fabian Navarro, einen Schreibworkshop mit Teilnehmer:innen vom Junior Bachmann Literaturwettbewerb im Musil-Haus in Klagenfurt zu „uncreative writing“ gegeben. Dabei handelt es sich um verschiedene Schreibmethoden, die alle mit klassischerweise nicht als künstlerisch empfundenen Mitteln und Tätigkeiten arbeiten: etwa einen Text stupide abschreiben, ein Mikrofon den ganzen Tag lang mitlaufen lassen und das Ergebnis transkribieren, Gedichte aus Google-Ergebnissen zusammenstellen und so weiter. Was beim Workshop am besten funktioniert hatte, war, die Schüler:innen durch das gesamte Musil-Haus laufen zu lassen, um interessante Wörter zu sammeln. Diese sollten dann in einen Text eingebaut werden. Ich glaube, dass vor allem diese Verbindung aus aktiver Tätigkeit, das Suchen nach Wörtern als versteckte, physische Gegenstände, etwas auslöst, was den Schreibprozess sofort interessanter macht. Als kleine Übung zwischendurch, oder als Methode um eine Schreibblockade zu lösen, kann ich es auf jeden Fall nur empfehlen. Und generell kann ich empfehlen, beim Spazierengehen einfach die Augen offen zu halten für ungewöhnliche, seltsame Wörter, die irgendwo an den Wänden warten.
Sprechstunde – Die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
September 2024