Aya Jaff kann coden – und ist trotzdem gerne Teil der No-Code-Bewegung. Warum diese immer beliebter wird und welche Vorteile sich auch Programierer*innen von ihr versprechen, erklärt uns Aya in ihrer Kolumne.
Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich eine Idee für eine App. Es hieß, ich müsste dafür programmieren können, und alleine dieser Prozess würde mich ein paar Jahre kosten. Also versuchte ich, jemanden zu finden, der mir die App schnell und unkompliziert auf den Markt bringt. Dann hieß es, ich bräuchte mindestens 10.000 Euro, um eine*n Programmierer*in damit zu beauftragen. Ich entschied mich damals dazu, meine Idee fallen zu lassen, da ich weder die Expertise noch das nötige Geld hatte. Ich beschloss, den langen Weg zu gehen – und mir das Programmieren selbst Stück für Stück beizubringen. Um meine Idee in ein paar Jahren selbst umsetzen zu können.Heutzutage sieht die Situation anders aus für Menschen, die weder programmieren noch jemanden bezahlen können: Das sogenannte No-Code-Movement spezialisiert sich darauf, Webseiten und Apps zu erstellen, ohne eine Zeile Code schreiben zu müssen. Man arbeitet quasi mit Bausteinen, die man per Drag-and-Drop einfügt – und designt sich so selbst eine App oder Website. Das Ganze hat viele Vorteile. Berechtigterweise fragen mich also viele Leute, ob es sich überhaupt noch lohne, coden zu lernen – oder ob es nicht einfacher wäre, mit No-Code-Services zu arbeiten.
Eine Seite innerhalb einiger Stunden
Was ich beobachte: Wir erreichen gerade einen Wendepunkt in der Bewegung, an dem die Reife und Akzeptanz von Plattformen, die diese Dienste anbieten, über eine Modeerscheinung hinausgehen und zur nächsten großen Sache werden, die natürlich nur einen Schritt vom Mainstream entfernt ist. Im Moment sehe ich viele Gründer in der Tech-Szene, die bereits selbst eigene erste Versionen ihrer App oder Website basteln, indem sie Seiten nutzen wie Carrd, Bubble oder Table2site, obwohl sie selbst programmieren können. Zwar fordern diese Plattformen von ihren Nutzer*innen ein, dass sie sich eigenständig mit deren Funktionalitäten auseinandersetzen, doch ist den meisten diese Hürde niedrig genug. Den Nutzer*innen gefällt, dass sie unkompliziert innerhalb von ein paar Tagen – vielleicht sogar Stunden – eine Seite zusammensetzen können (Stichwort: „Rapid-Protoyping“) und dass die Services relativ kostengünstig und allen zugänglich sind. Das vereinfacht die Zusammenarbeit mit Designer*innen und Investor*innen, die schnell Ergebnisse und Ideen sehen wollen.Das Potenzial von Entwicklungsplattformen ohne Code ist riesig, aber ihre Funktionen und Möglichkeiten sind immer noch sehr begrenzt: Sie zeichnen sich in bestimmten Bereichen wie Datenmanipulation und API-Integration aus, verfügen jedoch in den meisten Szenarien nicht über die volle Funktionalität.
Der Sprung von No-Code zu Low-Code
Genau hier glänzen die Programmier*innen mit ihren Kenntnissen, denn sie sind unabhängig von den Grenzen der Plattform und können sich selbst optimal auf verschiedenste Szenarien vorbereiten. Genau deshalb würde ich niemandem raten, nicht programmieren zu lernen – oder gar damit aufzuhören. Selbst wenn man nur ein wenig Erfahrung hat, hilft diese ungemein, ein allgemeines Verständnis von Technologie und deren Funktionsweise zu gewinnen. Das Wissen wird helfen, den Sprung von No-Code zu Low-Code zu wagen und Anpassungsstufen zu erreichen, die im Bereich der visuellen Programmierung noch nicht möglich sind. Es wird nämlich immer Einschränkungen geben, wenn etwas in einer visuellen Programmierumgebung erstellt wird.Aber es reicht für viele Funktionalitäten, die man sich typischerweise für eine App oder Website wünscht – und zeigt schnelle Erfolge, wenn man unter Zeitdruck steht. Ich begrüße diese Bewegung, da wir nun viel mehr Leute dazu einladen, Tech weiterzudenken und ihnen Tools bereitstellen, mit denen sie sich selbst helfen können, anstatt auf jemanden warten zu müssen. Ich bin, auch wenn ich coden kann, gerne Teil der No-Code-Bewegung.
November 2020