Seit dem 15. April 2023 tobt im Sudan ein unerbittlicher kriegerischer Machtkampf zwischen der sudanesischen Armee (SAF) und der paramilitärischen Miliz Rapid Support Forces (RSF). Dieser folgenschwere Konflikt stürzte das Land in eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit und zwang bzw. zwingt Millionen von Sudanes*innen ihre Heimat zu verlassen. Während die internationale Berichterstattung seit Kriegsbeginn kontinuierlich abgenommen hat, ist kein Ende der Gewalt in Sicht. Fehlende Versorgung, Infrastruktur und die fortlaufende Gefahr für Leib und Leben prägen weite Teile des Landes. Das Goethe-Institut Sudan musste in Anbetracht der prekären Sicherheitslage seine Präsenz in Khartum schließen. Zwischen dem Präsidentenpalast und dem Militärhauptquartier befand sich das Institutsgebäude inmitten eines der umkämpftesten Gebiete der Stadt. Eine Weiterführung der Arbeit vor Ort wurde somit bis auf Weiteres unmöglich.
Seit Kriegsausbruch koordiniert das Goethe-Institut Sudan seine Kulturarbeit aus Kairo. Gerade weil der internationale und mediale Fokus auf den Krieg im Sudan stark gesunken ist, ist es von großer Bedeutung, weiterhin sichtbar und präsent zu bleiben. Das Goethe-Institut fördert aktiv sudanesische Kulturschaffende, insbesondere in der Diaspora und vernetzt sie mit lokalen Kulturszenen. Neben der Fortführung von einzelnen Projekten wurden auch neue Initiativen ins Leben gerufen, darunter der "Hub for Artists from Sudan" mit der Martin Roth-Initiative, der Stipendien an sudanesische Kulturschaffende vergibt. Veranstaltungen mit der sudanesischen Kulturszene wurden bereits in Ägypten, Kenia, Äthiopien, im Sudan selbst und in Deutschland organisiert. Das Goethe-Institut im Exil stellt hierbei die Verbindung nach Deutschland dar.
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Das Goethe-Institut Sudan öffnete 1964 in Omdurman seine Türen. Nur wenige Jahre später zog es in die Hauptstadt Khartum. Zwischen 1997 und 2007 war das Goethe-Institut Sudan geschlossen und agierte am gleichen Standort als Kulturgesellschaft mit Sprachkursen, einem integrierten Dialogpunkt und einem kleinen Kulturprogramm. 2008 fand die Wiedereröffnung des Vollinstituts statt.
Über Jahrzehnte war das Goethe-Institut ein fester Bestandteil der Kulturlandschaft in Khartum und bis zum Kriegsausbruch zunehmend aktiv auch in anderen Teilen des Landes. Durch seine langjährige Präsenz und sein weites Netzwerk war das Institut ein beliebter Treffpunkt der Szene und galt insbesondere während der Herrschaft des Langzeitdiktators Omar al-Baschir als ein Ort der freien Begegnung.
Mit der friedlichen Revolution 2018/19 und der damit einhergehenden zivilgesellschaftlichen Demokratiebewegung blühte eine lange Zeit unterdrückte Kunst- und Kulturszene auf, die das Land in den Folgejahren stark prägen sollte. Neu gewonnene Freiheiten führten zu einer Vielzahl kreativer Initiativen und Projekte, die auch das Goethe-Institut fortan unterstützte oder mithilfe von lokalen sowie internationalen Partner*innen umsetzte.
Der Militärputsch im Herbst 2021 und die damit verbundene Absetzung der zivilgeführten Übergangsregierung führten zu einem herben Dämpfer in der Demokratiebewegung. Die Bemühungen und die Hoffnungen der Gesellschaft – gerade auch der Kunst- und Kulturschaffenden – ließen aber nicht nach.
Sudanesische Kulturakteur*innen im Gespräch mit dem Goethe-Institut Exil
Das Goethe-Institut im Exil hat mit drei sudanesischen Kulturakteur*innen gesprochen, die sich seit dem Ausbruch des Krieges mit neuen und unterschiedlichen Realitäten auseinandersetzen müssen. Die Kulturmanagerin Hadeel Osman, der Kurator Rahiem Shadad und die langjährige Mitarbeiterin des Goethe-Instituts Sudan Sahar Salah berichten von ihren Erfahrungen in Ägypten, Kenia und Sudan und beleuchten dabei unterschiedlichen Perspektiven, Herausforderungen und Strategien.
Hadeel Osman ist Creative Director und Gründerin des multidisziplinären Medienstudios „DAVU Studio“ sowie Kulturmanagerin. Seit 2023 lebt und arbeitet sie in Kairo, wo sie u.a. am Goethe-Institut bereits zum zweiten Mal den „Hub for Artists from Sudan“ umsetzt.
Viele Sudanes*innen sind nach Ägypten geflohen, besonders nach Kairo, darunter viele Künstler*innen und Kulturschaffende. Welche Chancen und Herausforderungen begegnen ihnen dort?
Wenn wir von Chancen reden: Kairo ist eine sehr lebendige Stadt mit einer gut etablierten Kunst- und Kulturszene, die großen Einfluss auf die arabischsprachige Region hat. So gesehen bietet die Stadt sudanesischen Künstler*innen eine wunderbare Möglichkeit, ihre Arbeit auf ein neues Niveau zu heben und ihre Produktivität zu steigern. Was im Sudan oft fehlte – bezahlbare und verfügbare Materialien, Arbeits- und Ausstellungsräume, Mentoring, unterstützende Communities und ein neugieriges sowie interessiertes Publikum – ist in Kairo reichlich vorhanden. Es gibt zahlreiche Galerien, Kulturzentren, Theater, Musikstudios, Kunstinstitute und Treffpunkte in der ganzen Stadt, sodass sudanesische Künstler*innen und Kulturschaffende aller Disziplinen Gemeinschaften und Veranstaltungen aus ihrem Bereich finden können, egal wo sie wohnen. Alles, was sie eigentlich tun müssten, ist auf die Suche gehen, diese Orte ansteuern und ihre Netzwerkfähigkeiten nutzen, um sich dort zu integrieren.
Dabei können sie allerdings auch auf Herausforderungen stoßen. Einige Einrichtungen und Personen konzentrieren sich ausschließlich auf die Förderung ägyptischer Künstler*innen, sei es aus dem Wunsch heraus, lokale Talente zu fördern – ein nachvollziehbarer Grund -, oder leider aufgrund von Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber Sudanes*innen oder Schwarzen im Allgemeinen. Es gibt auch andere kleinere Herausforderungen, wie die Unterschiede in den Dialekten, das schnellere Arbeitstempo in Kairo im Vergleich zum Sudan und die Tatsache, dass Kunst hier im Allgemeinen stark kommerzialisiert ist, während sie im Sudan oft eher als Hobby denn als tatsächlicher Beruf oder Vollzeitkarriere angesehen wurde und wird.
Welche sudanesischen Initiativen im Bereich Kunst und Kultur entstehen derzeit in Kairo und welche Ziele verfolgen sie?
Seit letztem Jahr gibt es eine offizielle Organisation, die sudanesische Künstler*innen aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringt: die Union der Sudanesischen Künstler*innen in Ägypten.
Sie bietet einen Ort für Begegnungen, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen sowie Proberäume für Musiker*innen und Schauspieler*innen. Dann gibt es noch das Ali Zain Center, ein Musikstudio, das Musikunterricht für diejenigen anbietet, die verschiedene Instrumente lernen möchten. Zu den neuen Räumen gehören auch private Galerien mehrerer sudanesischer bildender Künstler*innen, die von ägyptischen Künstler*innen häufig genutzt werden, um ihre Kunst professioneller ausüben zu können und in Ägypten ernster genommen zu werden.
Auch einige Musiker*innen und Filmemacher*innen haben private Studios, die sie zu Produktionshäusern ausbauen, um ein nachhaltigeres Einkommen zu erzielen, da eine Nachfrage nach diesen Dienstleistungen von potenziellen sudanesischen, ägyptischen oder anderen in Ägypten lebenden Kund*innen besteht.
Rahiem Shadad ist ein Kurator aus Khartum, der seit 2015 in der sudanesischen Kunstszene aktiv ist. Er gründete 2019 die Downtown Gallery, um die aufstrebende Kunstszene nach der Revolution zu stärken. Seit dem Ausbruch des Krieges 2023 initiierte er mehrere Unterstützungskampagnen und betreibt „The Rest Residency“ für sudanesische Exilkünstler*innen in Nairobi.
Seit letztem Jahr leben Sie in Nairobi, einer Stadt, die inzwischen als Zentrum der sudanesischen Kunst- und Kulturszene gilt. Warum ausgerechnet Nairobi?
Ich glaube, dass es einen tieferen Grund gibt, warum es viele Kunst- und Kulturschaffende nach Nairobi zieht, der nicht mit dem Krieg zusammenhängt. Nach fast einem Jahr hier ist mir klar geworden, dass die meisten, die nach Nairobi gezogen sind, im kreativen Bereich arbeiten, direkt oder indirekt. Es ist wichtig sich daran zu erinnern, wofür diese Kreativen standen, als sie noch unter den restriktiven Regimen und Machthabern im Sudan lebten. Die Kulturpolitik von den späten 80ern bis 2019 hat absichtlich einen Teil der sudanesischen Vielfalt ausgelassen, der den Sudan mit Subsahara-Afrika verbindet. Die kulturellen Ausdrucksformen, die den „Afrikanismus“ der Communities darstellten, durften sich nicht auf den öffentlichen Bildflächen des Landes zeigen. Die aktive Arabisierung wurde gezielt auf institutioneller Ebene betrieben, sichtbar in den Motiven der Währung und im Logo des nationalen Fernsehens.
Als Kreative haben wir uns nach Wissen über unsere afrikanische Herkunft und unser verlorenes Archiv gesehnt. Ich glaube, wir sind unbewusst Richtung Süden gekommen, um dieses Archiv zu finden oder einen Ort, an dem wir uns mit unserem afrikanischen Erbe auseindersetzen können. Und speziell nach Nairobi, weil sich die Stadt in den letzten Jahren als schnell wachsende Kreativwirtschaft und mit seinen Galerien, Kunstkollektiven, Residenzen und seiner Musikszene als Inkubator für die Kunstszene präsentiert hat.
In den letzten Jahren war die Kunst- und Kulturszene maßgeblich an der friedlichen Revolution und der Demokratiebewegung im Sudan beteiligt. Wie ist der aktuelle Stand der Bewegung im Exil und im Sudan?
Der Widerstand der sudanesischen Kulturschaffenden ist eine lange unerzählte Geschichte. Sie haben unter den Risiken von Verhaftung, Ausgrenzung, Gewalt und Armut gearbeitet. Der Krieg stellt somit keinen völlig neuen Kontext dar, aber sein Ausmaß ist schockierend und beispiellos. Er stellt die größte Herausforderung für Künstler*innen heute dar, da die meisten von ihnen keinen Zugang mehr zu ihren früheren Gestaltungsmitteln haben. Dies zwingt sie, größer und konzeptueller zu denken, anstatt sich auf das Konventionelle und Klassische zu verlassen. Das ändert natürlich nichts daran, dass sie sich aufgrund der besonderen Umstände auf das bloße Überleben konzentrieren müssen. Die meisten dieser Künstler*innen - wie auch der Rest der sudanesischen Bevölkerung - haben keine ausreichenden Informationen, wie es ihren Angehörigen oder Kolleg*innen geht und haben keinen regelmäßigen Kontakt, besonders da die Kunstszene im Sudan sehr gemeinschaftlich und (weitgehend) lokal geprägt ist.
Als Kulturförderer müssen wir sehr sensibel und verständnisvoll sein, wenn es darum geht, was wir von den Künstler*innen erwarten. Angesichts des Ausmaßes des Krieges und der massiven Vertreibung sollte jede Form von Kreativität hoch geschätzt werden. Wir sollten uns bewusst sein, dass sie zu den Ersten gehören, die den Verlust eines Ortes wie Khartum erlebten, und dieser Verlust prägt die Ausdrucksformen, deren Zeuge wir werden.
Sahar Salah hat über zehn Jahre am Goethe-Institut Sudan gearbeitet, zuletzt in der kulturellen Programmarbeit. Nach dem Ausbruch des Kriegs musste sie ihre Heimatstadt Khartum verlassen und setzt seitdem eigenständig verschiedene Kulturprojekte, vor allem im Norden und Nordosten des Landes, um.
Welchen Einfluss hat der Krieg auf die Kunst und Kultur im Sudan?
Die katastrophalen Auswirkungen dieses schrecklichen Krieges, verursacht durch zwei militärische Mächte, haben das gesamte Leben im Sudan durcheinandergebracht und vollständig verändert. Der Konflikt bedeutet Verlust von Menschenleben, von Eigentum sowie die Zerstörung von Infrastruktur. Die Kultur des Landes leidet. Viele Künstler*innen und Kreative, besonders diejenigen, die auf informeller Ebene arbeiten oder auf eigene Kosten produzieren, können ihre Ausgaben nicht mehr decken und keine neuen Werke schaffen. Der Krieg hat aber auch Einfluss auf viele immaterielle kulturelle Praktiken, auf Traditionen, Rituale und Feierlichkeiten. Das beeinträchtigt das soziale und kulturelle Leben der lokalen Gemeinschaften erheblich.
Viele Kultureinrichtungen wurden geplündert und niedergebrannt, einige vollständig zerstört. Manuskripte, seltene Bücher und intellektuelle Sammlungen, religiöses und kulturelles Erbe, das die Geschichte und Identität des Landes bewahrt, wurden zerstört. Wichtige kulturelle Institutionen im Sudan, wie das Goethe-Institut, das sehr aktiv in der Unterstützung von Kultur- und Kunstprojekten war, mussten viele ihrer Projekte vor Ort einstellen und konnten ihre Arbeit im Sudan aufgrund des Krieges nicht fortsetzen. Der Zustand dieser kulturellen Zentren und die Schäden, die sie erlitten haben, sind oftmals unklar.
Seitdem ich im Kulturbereich arbeite, habe ich noch nie einen solchen Verfall von Kunst, Kultur und Menschlichkeit erlebt, wie ich ihn jetzt sehe und erlebe. Gleichzeitig hat der anhaltende Krieg im Sudan, wie Krisen es oft tun, die Notwendigkeit von Kunst und Kultur für Menschen und Gemeinschaften deutlich gemacht. In einer Zeit, in der es viel Gewalt und Ungerechtigkeit gibt und Tausende, ja Millionen von Menschen aus ihren Häusern, Städten und Dörfern vertrieben werden, braucht es Kunst und Kultur, um die Menschen zusammenzubringen. Kultur bringt Harmonie, Inspiration und Hoffnung. Künste schaffen einen Raum für Begegnung und Heilung in einer Zeit voller Sorgen und Unsicherheit.
Wie stellt sich die Situation für Künstler*innen und Kulturschaffende im Sudan dar?
Der seit dem 15. April andauernde Krieg im Sudan hat viele Kreative und Kulturschaffende zur Flucht gezwungen. Sie sind auf der Suche nach sicheren Zufluchtsorten und befinden sich in einem Zustand zwischen Flucht und Vertreibung. Dabei mussten sie ihre kulturellen und intellektuellen Projekte, an denen sie jahrelang gearbeitet haben, zurücklassen – einige fertiggestellt, andere noch mitten in der Entstehung oder im Feinschliff. Viele Musiker*innen, Künstler*innen und Sportler*innen sind zudem leider verstorben, darunter der Sportler Fawzi Al-Mardi, der Musiker Mohamed Al-Amin, der weltbekannte Musiker Hafiz Abdul Rahman, der Komponist Omar Al-Shaer und viele andere.
Und doch gibt es auch Kulturschaffende, künstlerische Initiativen und ehrenamtliche Organisationen in einigen Gegenden des Landes, die trotz der Auswirkungen des grausamen Krieges weiterhin aktiv sind. Sie setzen sich für die Wiederbelebung der nationalen Kulturlandschaft ein, organisieren öffentliche Veranstaltungen und Festivals, Weiterbildungsmaßnahmen und Formate für den Erfahrungsaustausch unter Kulturschaffenden.
Dieser sinnlose Krieg ist für Künstler*innen und Kulturschaffende besonders schmerzhaft, da sie sensibel und besonders empathisch sind. Künstler*innen wird in Zeiten von Veränderung und Leid eine große Rolle zuteil, die ihnen viel Energie abverlangt. Wenn die zerstörerische Kriegsmaschinerie zum Stillstand kommt, wird es auf die Künstler*innen ankommen, das vielfältige Erbe, das den Sudan auszeichnet, mithilfe von Theater, Gesang, bildender Kunst, Literatur und Film neu zu gestalten.
Port Sudan, Juni 2024
Interviews
Künstler*innen, die am Sudan-Programm des Goethe-Institut im Exil mitgewirkt haben, geben hier Einblicke in ihr künstlerisches Werk und teilen persönliche Erfahrungen.
Im Interview erzählt die bildende Künstlerin Amna Elhassan, wie sich ihre künstlerische Arbeit seit dem Kriegsausbruch im Sudan verändert hat und welche Inspirationsquellen sie für ihre aktuellen Projekte findet.
Der Künstler Mazin Satti spricht über Repräsentation durch Kunst und Kultur sowie über die Rolle von Musik als Element der Vernetzung und Verbindung im Exil.