Ausstellung Fragile Spuren: Archive im Konflikt

Suddenly TV © Roopa Gogineni

Di, 04.06.2024 –
So, 09.06.2024

OPEN SPACE - Kurzfilm Festival Hamburg

Zeitgenössische sudanesische Kunst

Der Sudan. Ein Land im Krieg. Eine Nation, die von großer Hoffnung während der gewaltlosen Revolution in große Hoffnungslosigkeit in der aktuellen Krise gestürzt wurde. Der Sudan – beim Kurzfilm Festival Hamburg im Fokus.

Künstler*innen besitzen die Fähigkeit, historische Ereignisse und kulturelle Nuancen in visuelle, auditive und haptische Formen zu übersetzen. Im komplexen Geflecht von Geschichte, Politik und Kultur treten sie als Archivist:innen des kollektiven Gedächtnisses und oft auch der Oral History einer Nation hervor. In dieser Rolle als Archivar*innen hinterfragen Künstler*innen die herkömmlichen Vorstellungen von Geschichte und Erinnerung und erweitern den Geltungsbereich archivarischer Praktiken, um vielfältige Perspektiven, unerzählte Geschichten und marginalisierte Stimmen einzubeziehen. Sie verstärken Stimmen, die zum Schweigen gebracht wurden, beleuchten vergessene Geschichten und konfrontieren mit unbequemen Wahrheiten, die durch die Arbeit traditioneller Archive oft übersehen werden.

Durch diese verschiedenen Ausdrucksformen erfassen Künstler*innen Narrative und bewahren Emotionen und Erfahrungen, die unser kulturelles Erbe prägen und spannen eine Brücke in die Zukunft. Geschichte wird in seiner Komplexität erlebbar. Der Widerspruch ist Teil des Ganzen. Erst durch den Widerspruch eröffnen sich neue Wege zum Verständnis der Geschichte. Damit regen sie zum Dialog, zur Reflexion und zum kritischen Umgang mit historischen Narrativen an. Manipulation, Revisionismus und Auslöschung sind Teil von Geschichte. Umso wichtiger ist es, dass die Geschichten der Vergangenheit lebendig, relevant und für alle zugänglich bleiben.

Besonders in Zeiten politischer Instabilität und gewaltsamer Konflikte spielen Künstler*innen deswegen eine entscheidende Rolle bei der Bewahrung von Geschichte(n). Als Reaktion auf den Ausbruch des Krieges im April 2023 im Sudan haben viele Künstler*innen ihre Arbeit intensiviert, um die dramatische Situation zu dokumentieren und für die Zukunft zu sichern. Im Sudan selbst und später im Exil in Kairo, Katar, Nairobi oder Kampala nutzen sie diverse Medien, um auf sich und die gewaltsame Zerstörung aufmerksam zu machen, zu erklären, wie es dazu kommen konnte, oder Zukunftsperspektiven zu schaffen. 

Es sind fragile Spuren, denen die Künstler*innen mit ihren Arbeiten folgen. Sie greifen zurück auf ihre privaten Archive, auf Momentaufnahmen, auf das kollektive Gedächtnis, um uns als Zuschauenden einen Einblick zu geben in ein Land im Krieg.
 
  • "Circa Now" von Rund Alarabi © Circa Now, Rund Alarabi, Courtesy of the Artist
  • "Circa Now" von Rund Alarabi © Circa Now, Rund Alarabi, Courtesy of the Artist
  • "Postcards from Khartoum" von André Lützen und Ala Kheir © Faiz Abubakr
  • "Postcards from Khartoum" von André Lützen und Ala Kheir © Mosab Abushama
  • Projekt "SIKKA" © SIKKA_streetart
  • Projekt "SIKKA" © SIKKA_sitins
  • "Suddenly TV" von Roopa Gogineni © Roopa Gogineni
  • "Suddenly TV" von Roopa Gogineni © Roopa Gogineni, Courtesy of the Artist
  • "This Is Not a False Alarm" von Metche Jaafar © Metche Jaafar, Courtesy of the Artist

Fotografie spielt eine große Rolle in der Ausstellung. Mit dem Projekt Postcards from Khartoum haben die Fotografen André Lützen und Ala Kheir eine Plattform geschaffen, über die Momentaufnahmen aus Khartum, aus dem Sudan geteilt werden können. Ala Kheir, der die Situation vor Ort nach Ausbruch des Krieges dokumentiert hat, unterstützt nun aus dem Exil andere Fotograf*innen.

Die Fotografin Metche Jaafar hat den friedlichen Widerstand der Zivilbevölkerung 2019 begleitet. Ihre Arbeit fängt das emotionale Gewicht des Aufstandes ein, ohne einen Anspruch auf Objektivität zu erheben. Es sind Bilder vom Leben, von Hoffnung und Solidarität. Rund Alarabi, Mitglied des Künstlerinnenkollektivs Locale, lädt die Besucher:innen ein, einen Auszug ihres persönlichen Fotoarchivs zu betrachten. In der Arbeit Circa Now verknüpft sie die Geschichte ihres Landes über die Bilder ihrer Familie mit der Gegenwart.

Die filmische Arbeit Suddenly TV von Roopa Gogineni zeigt eine Gruppe junger Revolutionäre, die während eines Sitzstreiks einen imaginären Fernsehsender gründen und damit einer Vision eines neuen Sudan Ausdruck verleihen. Neben ihren individuellen künstlerischen Praxen beteiligen sich viele sudanesische Künstler*innen auch aktiv an institutionellen Archivierungsprojekten.

Ein großes Projekt ist das vom Goethe-Institut Sudan initiierte SIKKA-Projekt. Sikka ist der Weg auf Arabisch. Eine in der Diaspora lebende Autor*innenschaft von Künstler*innen und Kulturschaffenden sammelten Dokumente, Fotografien und Aufnahmen, die während der Revolution 2019 entstanden sind. Die Energie, die damals von der Straße ausging, die Kraft der Vielen, die Veränderung möglich gemacht hat, alles, was jetzt im Krieg begraben ist, hat so wenigstens einen Ort. Staatliche Kulturinstitutionen spielen im Sudan eine zentrale Rolle bei der Archivierung des nationalen Erbes. Das Nationalmuseum in Khartum beherbergt eine beeindruckende Sammlung von Artefakten und Dokumenten, die die jahrtausendealte Geschichte des Landes widerspiegeln. Die nationale Rundfunk- und Fernsehanstalt verfügt über umfangreiche Ton- und Bildaufnahmen, die wichtige Ereignisse und Persönlichkeiten der sudanesischen Geschichte festhalten. Doch der Ausbruch des Krieges im April 2023 hat verheerende Folgen für diese staatlichen Archive gehabt. Viele Einrichtungen wurden gezielt angegriffen und zerstört, wodurch unersetzbare Kulturgüter unwiederbringlich verloren gingen. Auch private Sammlungen in Privathaushalten fielen den Kämpfen zum Opfer, als Soldaten Häuser plünderten und Familienerbstücke raubten. In dieser bedrohlichen Situation erweisen sich die in den letzten Jahren vorangetriebenen digitalen Archivierungsprojekte als wahrer Rettungsanker für das kulturelle Erbe des Sudan. Verschiedene private und institutionelle Initiativen konnten zumindest einen Teil der gefährdeten Materialien sichern, indem sie diese in digitaler Form erfassten und online zugänglich machten. Durch diese Bemühungen gelang es, wertvolle Zeugnisse der sudanesischen Vergangenheit und Gegenwart vor der Zerstörung zu bewahren. Durch ihre kreativen Praktiken, ihr Engagement in individuellen und institutionellen Projekten und ihre Zusammenarbeit mit staatlichen Kultureinrichtungen tragen Künstler:innen maßgeblich dazu bei, die vielfältigen Narrative und Traditionen des Sudan für zukünftige Generationen zu sichern. Gerade angesichts der Zerstörung durch den aktuellen Krieg erweisen sich diese Bemühungen als unschätzbar wertvoll, um das reiche Erbe des Landes zu bewahren und seine Identität auch in Zeiten des Konflikts lebendig zu halten.

Kuratiert von Larissa-Diana Fuhrmann, Maike Mia Höhne und Qutouf Elobaid (Künstlerinnenkollektiv Locale).

Weitere Details zu den partizipierenden Künstler*innen und ihren Werken können Sie der Programmübersicht des Kurzfilm Festival Hamburg entnehmen. 
 

begleitProgramm

Austellungseröffnung: Dienstag, 04.06., 19:00 Uhr

Die Kuratorin Larissa-Diana Fuhrmann eröffnet gemeinsam mit der Künstlerin und Aktivistin Eythar Gubara sowie Maximilian Röttger, Projektmanager Goethe-Institut im Exil, die Ausstellung Fragile Spuren: Archive im Konflikt mit Arbeiten sudanesischer Künstler*innen.

Öffnungszeiten: Mittwoch, 05.06. – Sonntag, 09.06., täglich ab 11:00 Uhr

Guided Tours: Freitag, 07.06., 13:00 Uhr & Sonntag, 09.06., 15:00 Uhr

Im Rahmen der Ausstellung findet am Samstag, den 08.06. um 13:00 Uhr die Diskussion Preserving Sudan's Archives: Herausforderungen bei der Bewahrung von analogen und digitalen Sammlungen im Forum statt.

Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen dem Kurzfilm Festival Hamburg, dem Goethe-Institut im Exil und dem Goethe-Institut Sudan.
 

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