Deutsche Serien  Transatlantic

Hanno Koffler als Hans Fittko, Deleila Piasko als Lisa Fittko, Cory Michael Smith als Varian Fry und Amit Rahav als Thomas Lovegrove in "Transatlantic", Mit freundlicher Genehmigung von Netflix © 2023 © Anika Molnar / Netflix

Transatlantic ist eine deutsche Netflix original Miniserie basierend auf dem Roman „The Flight Portfolio“ von Julie Orringer. Der Roman und die Serie basieren auf der wahren Geschichte des amerikanischen Journalisten Varian Fry und dem Emergency Rescue Committee, welches in Frankreich zur Zeit des Vichy Regimes mehr als 2000 Flüchtlingen, darunter zahlreichen Künstler und Intellektuellen, bei der Flucht vor den Nazis verhalf.

In einem Interview mit Deadline.com sagte Drehbuch Co-Autorin Anna Winger (Deutschland 83/86/89, Unorthodox), dass die Serie von „Casablanca“ inspiriert wurde und sich von Produktionen wie „Schindlers Liste“ abheben sollte und das sieht man ihr an: Marseille 1940: „And now the news from Europe“, die erste Folge beginnt mit der Stimme eines Nachrichtensprechers aus dem Off und ruft sofort Erinnerungen an den Anfang des Klassikers von Michael Curtiz auf.

Der Ausstattung gelingt die Zeitreise: Die Einrichtung des berühmten Hotel Splendid -es wurde am Originalschauplatz gedreht- und die Mode der Zeit erwachen vor der Altstadt von Marseille zum Leben. Varian Freys Assistentin, Mary Jayne Gold, ist weder in ihrer Mission noch stilistisch aufzuhalten. Die Geburtstagsfeier von Max Ernst auf dem Land wird zum farbenfrohen surrealistischen Spektakel, Kostüme und Dekoration werden fantasiereich auf die Spitze getrieben, bis hin zu dem von den Surrealisten inspiriertem, eigens für die Serie entworfenem Tarotset, inklusive einer Motivkarte mit Gertrude Stein als Pudel darauf. Tatsächlich schafft es die Serie vor dem Hintergrund der ernsten Lage und zunehmenden Bedrohung viel Situationskomik in einzelne Szenen einfließen zu lassen. Den Höhepunkt dieser Herangehensweise liefert eine Szene mit Jonas Ney als tanzendem Walter Mehring, der sich alkohilisiert versucht mit Gesang und Tanz die Zeit zu vertrieben, in der er auf seine Helfer wartet. Die Screwball Comedy Effekte sind ein Element, welche die Serie von den meisten anderen Formaten, die sich mit diesem Kapitel der Geschichte beschäftigen, absetzen. Die beschriebene Mehring-Szene mag so nie stattgefunden haben, dennoch trägt sie zur farbigen Wiederauferstehung einer Zeit bei, deren Nebeneinander von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit schwer vorstellbar ist.

Diese Flüchtlinge brauchen Hilfe, und niemand sonst rührt einen Finger. Ich brauche keinen besseren Grund.

Varian Fry in "Transatlantic"


Die Darstellung der Allianz von politisch Verfolgten, Juden und schwarzen Resistancekämpfern, die sich im Kampf gegen Hitler bildet, ist ebenfalls einer der bemerkenswerten Erzählstränge, die bisher wenig Beachtung in Mainstream Mediaformaten bekommen haben.

Problematisch hingegen sind die teilweise schablonenhaft geratenen Charakterdarstellungen: Die Zuschauer erfahren nie auch nur ansatzweise, warum Chagall ein bahnbrechender Künstler war oder warum Hannah Ahrendt und Walter Benjamin philosophische und kulturtheoretische Diskurse für immer verändert haben. Walter Benjamin wird zur Charikatur seiner selbst: ein wirrer älterer Herr, der sich wie ein Kind benimmt und mit dem Leben abgeschlossen hat. Man lernt die Figur zu wenig kennen, um wirkliches Mitgefühl für sein Schicksal zu entwickeln.
Die teils fiktiven, teils aus Versatzstücken der Realität zusammen gesetzten Liebesgeschichten hingegen erhalten in der Serie sehr viel Raum. Diversität spielt eine Rolle und die Serie bemüht sich sichtlich um die Repräsentation verschiedener Perspektiven. Leider wirken einzelne Liebesszenen zum Teil hölzern, plakativ und zu Effekt haschend. Insgesamt gibt es immer wieder Momente, in denen der Eindruck entstehen kann, dass die Serie versucht verschiedene Genres, vielleicht zu viele, zu vereinen.
Netflix

Selten wurde die Geschichte von Varian Frey und dem Emergency Rescue Comittee so schillernd, persönlich und leicht zugänglich erzählt. Die Risiken, die nötig waren, um Menschenleben zu retten werden greifbar. Eine kleine Gruppe Menschen hat es gewagt, durch das Manipulieren bürokratischer Vorgänge, teilweise unter Einsatz ihres Jobs oder gar ihres Lebens, anderen Menschen zur Flucht zu verhelfen. Die ist vor allem vor dem Hintergrund beachtlich, dass sich die Regierung ihres eigenen Heimatlandes in dem Moment ihres Einsatzes noch nicht dem Kampf gegen die Nationalsozialisten angeschlossen hat.

Was es heißt staatenlos zu sein und aus seinem Herkunftsland flüchten zu müssen, sind Themen, die leider für viele Menschen unserer Zeit sehr real sind. Dieser Bezug zur Gegenwart und die künstlerische Verarbeitung eines nicht auserzählten Kapitels des Zweiten Weltkrieges verdienen diese Aufmerksamkeit.
 
Marseille des Jahres 1940, nach dem Fall von Paris, dient „Transatlantic“ als Hintergrundgeschichte für das Amerika der Nachkriegszeit und als Parabel für den Kampf um seine Seele. Die Flüchtlinge, die vom ERC gerettet wurden, gehörten zu den größten Künstlern und Intellektuellen Europas, darunter André Breton, Hannah Arendt, Marcel Duchamp, Max Ernst und Marc Chagall - genug, „um ein großes Land zu beleben“, wie es Victor Serge einmal ausdrückte. Und genau das taten sie auch: Sie halfen dabei, die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg in das kulturelle Herz der Welt zu verwandeln. Noch bemerkenswerter waren die unbekannten Mitglieder des ERC selbst, eine Handvoll junger Menschen, sowohl Amerikaner als auch Europäer, die eine Fluchtroute über die Pyrenäen schmiedeten und dabei ein Minenfeld aus lokaler Polizei, Byzantinischer Bürokratie, britischen Geheimdiensten, amerikanischen Diplomaten und den Anfängen des französischen Widerstands navigierten. 

Transatlantic, Limited Series, 7 Episoden @ 48 - 54 min. each
Regie führten Stéphanie Chuat, Véronique Reymond und Mia Meyer nach dem Drehbuch von Anna Winger und Daniel Hendler.
Ausführende Produzenten: Camille McCurry & Anna Winger;
Hauptdarsteller: Gillian Jacobs, Lucas Englander, Cory Michael Smith, Gregory Montel, Ralph Amoussou, Deleila Piasko, Amit Rahav und Corey Stoll.
Weitere Besetzung: Moritz Bleibtreu, Alexander Fehling, Jonas Nay, Lolita Chammah, Jodhi May, Rafaela Nicolay und Henriette Confurius

 

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