Deutsche Serien  Das Schweigen der Mitläufer: „Deutsches Haus”

Titelmotiv aus der Disney+ Originalserie "Deutsches Haus" zeigt die Protagonisten der Serie vor der Sillhouette eines Konzentrationslagers
Deutsches Haus © Disney+

Wie bringt man jungen Menschen die Schrecken des Holocaust näher? Die preisgekrönte Serienmacherin Annette Hess zeigt dies in ihrer Bestseller-Adaption „Deutsches Haus“, die NS-Verbrechen und den Beginn der Auschwitz-Prozesse 1963 thematisiert. Eine Geschichte, die in Zeiten von wachsendem Antisemitismus und politischem Rechtsruck aktueller denn je ist.

Als kurz vor Weihnachten 1963 bei Familie Bruhns, den Wirtsleuten des „Deutschen Hauses“, das Telefon klingelt, ahnt niemand, dass dieser Anruf ihr gutbürgerliches Nachkriegsleben aus den Fugen bringen wird. „Das war mein Chef“, sagt die junge Eva (Newcomerin Katharina Stark) ihren Eltern. „Die brauchen mich.“ Die Wirtschaftsübersetzerin soll in einem Gerichtsverfahren mit ihren Polnisch-Kenntnissen aushelfen. Dass es sich dabei um den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess handelt, erfährt sie erst kurz vor Beginn – und wird zum ersten Mal mit den nationalsozialistischen Gräueltaten in den polnischen Konzentrationslagern konfrontiert.

Lernen Sie schon mal das notwendige Vokabular: alle erdenklichen Worte, wie man Menschen töten kann.

US-Staatsanwalt David Miller


Mit ihrer Naivität und ihren anfänglich gestammelten Übersetzungen zieht sie sich den Zorn des jüdischen US-Staatsanwalts David Miller (Aaron Altaras) auf sich, der Eva für eine „von den Millionen dummen Fräuleins“ hält und ihr an den Kopf knallt: „Lernen Sie schon mal das notwendige Vokabular: alle erdenklichen Worte, wie man Menschen töten kann.“ Die junge Dolmetscherin lernt schnell, nicht nur grauenhafte Vokabeln, sondern auch erschütternde Familiengeheimnisse.

Gegen das Verdrängen

Holocaust, Kriegsverbrechen, Nachkriegssünden: Harten Tobak hat sich US-Streaming-Anbieter Disney+ für seine dritte Serienproduktion „Made in Germany“ ausgesucht. Deutsches Haus setzt sich mit den Anfängen der deutschen Erinnerungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg auseinander und beleuchtet den Beginn der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt am Main, die von 20. Dezember 1963 bis 20. August 1965 dauerten.

Auf der Anklagebank: 22 ehemalige SS-Angehörige, 211 KZ-Überlebende sagten aus. Eines der größten Strafgerichtsverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte sollte den Mord an mindestens 1,2 Millionen Menschen im polnischen Konzentrationslager Auschwitz und den Völkermord an den europäischen Juden als Gesamtverbrechen systematisch aufarbeiten. Die Gerichtsverhandlungen zwangen die deutsche Nachkriegsgesellschaft, sich endlich ihrer Vergangenheit zu stellen, die Gräuel des Nationalsozialismus nicht länger totzuschweigen – und veranlasste viele junge Deutsche, in ihren Familien unbequeme Fragen zu stellen. In der englischen Fassung heißt die Serie treffenderweise The Interpreter of Silence, die Übersetzerin des Schweigens.
 
Drehbuch und Idee stammen von Erfolgsautorin Annette Hess, die bereits für Serienhits wie Weissensee und die Ku’damm-Reihe verantwortlich zeichnete. Mit Deutsches Haus verfilmte die Grimme-Preisträgerin erstmals eine eigene Romanvorlage, ihren gleichnamigen Bestseller aus dem Jahr 2018. Allein in Deutschland verkauften sich bislang über 130.000 Bücher und rund 35.000 Hörbücher, ihr Debütroman wurde in 26 Sprachen übersetzt und in 33 Ländern veröffentlicht. Für die Adaption arbeiteten sich die Skriptschreiberin und ihr Team durch 400 Stunden Tonbandmaterial, bestehend aus 319 Zeugenaussagen.

In fünf Episoden erzählt Deutsches Haus den Beginn des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses aus der Perspektive von Dolmetscherin Eva, die durch die Aussagen der Überlebenden und der angeklagten SS-Leute von den unfassbaren Gräueltaten im Vernichtungslager und dem vollen Ausmaß der NS-Vernichtungsmaschinerie erfährt. Nach und nach durchschaut sie das verlogene Heile-Welt-Spiel ihrer Eltern Edith (Anke Engelke) und Ludwig (Hans-Jochen Wagner), die während der Nazi-Zeit schwere Schuld auf sich geladen haben. Gegen viele Widerstände beginnt sie, Fragen zu stellen und zu recherchieren – und hilft so, den Opfern eine Stimme zu geben. Ihr besitzergreifender Verlobter Jürgen (Thomas Prenn), ein Versandhauserbe, ist wenig begeistert.

Brandaktuelle Geschichtslektion 

Einmal mehr beweist Serienschöpferin Annette Hess mit Deutsches Haus, dass Umbruchszeiten in der deutschen Geschichte ihre Spezialität sind. „Wir nehmen hier die große Herausforderung an, sensibel, aber auch schonungslos von einem Jahrhundertprozess zu erzählen“, so die Autorin im Zuge der Serien-Premiere. Der Mut hat sich gelohnt. Deutsches Haus überzeugt mit viel Zeitkolorit, fördert erschütternde Wahrheiten zutage, die in allzu vielen spießig-gemütlichen Nachkriegsstuben unter die Teppiche gekehrt worden ist. Zwar hätte der Fünfteiler seinen Finger getrost noch tiefer in die Wunde legen dürfen, trotzdem ist die Miniserie eine wichtige, einmal mehr brandaktuelle Geschichtslektion. Dass Hess’ Werke auch international auf positive Resonanz stoßen, ist daher nur konsequent. Beim Seriencamp 2024 in Köln wurde die Showrunnerin mit den erstmals vergebenen „German TV Disruptor Award“ des US-Branchenmagazins „Deadline“ ausgezeichnet.

Deutsches Haus
Disney + Miniserie, 5 Folgen à ca. 60 Min.
Regie: Isa Prahl, Randa Chahoud
Idee & Drehbuch: Annette Hess
Darsteller: Katharina Stark, Heiner Lauterbach, Anke Engelke, Hans-Jochen Wagner, Max von der Groeben, Henry Hübchen, Iris Berben, Sabin Tambrea, Aaron Altaras

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