Die chilenische Schriftstellerin schreibt über ihr kindliches Schielen und wie dieses ihr die Tür zu einer „anderen Perspektive“ geöffnet hat: wunderbare Bilder und Ideen, die für den Rest der Menschen unsichtbar waren.
Rebellion der Augen. Das ist Strabismus. Die Augen weigern sich, gleichzeitig auf denselben Punkt zu schauen. Abgelenkt, trotzig, weicht das linke Auge aus. Und wenn es endlich schafft, sich zu zentrieren, ist es das rechte Auge, das abdriftet. Bilateraler Strabismus. Zwei launische Augen.Die Augenklappe war in meiner Kindheit eine Gemeinschaftsaufgabe. Manchmal kniete meine Mutter nieder, manchmal mein Vater. Die Anweisung war einfach: stillhalten, das Auge schließen und mein Schicksal als Pirat annehmen. Ein Auge blieb blind, hinter der Klappe eingeschlossen. Wohingegen das andere, wachsam, gezwungen war, sich zu konzentrieren. Mein Problem war zwar nicht selten, aber seltsam. Bei schielenden Kindern unterdrückt das Gehirn das Bild des schwächeren Auges. Obwohl dieses Auge sieht, leugnet das Gehirn, was es sieht. In meinem Fall hingegen waren beide Augen schwach. Oder mein hartnäckiges Gehirn nahm die Bilder gleichermaßen wahr. Das verzerrte Bild des linken Auges wurde gut aufgenommen. Und das korrekte Bild des rechten Auges kam ebenfalls zum Tragen. Das war die Welt für mich, ohne ein Zentrum, ohne Fokus. Und aus meiner verlorenen Perspektive erweiterte sich eine andere Realität: Da stand mein Bruder und aus seiner Brust wuchs ein Jasminstrauch, da war meine Mutter, die durch eine geschlossene Tür ging; und mein Vater etwas weiter weg, mit einem offenen Fenster in der Stirn. Eine einzigartige Welt, abwegig, wundersam und nur meine. Ein Szenarium, das mit der an meinem Auge befestigten Klappe auseinanderfiel. Mit dem geschlossenen Auge war es unmöglich, sich zu flüchten, während das freie Auge sich damit begnügen musste, die traurige Realität zu sehen.
Ich hasste es, scharf zu sehen. Mir war meine Sichtweise viel lieber. Wenn also niemand hinsah, entfernte ich die Augenklappe und habe sie erneut aufgesetzt, diesmal aber etwas lockerer. Und erst dann, im Geheimen würde ich ein weiteres meiner Lieblingsspiele beginnen: mein freies Auge schließen, das verdeckte Auge öffnen und durch dieses Auge zu Hause jene weiß gestärkte Landschaft sehen. Ein anderes Mal mit beiden Augen geöffnet, überlagerten sich die widersprüchlichen Bilder der beiden Augen, meine Mutter in Watte gehüllt, mein Bruder in Watte gehüllt, die Straße in Watte gehüllt. Mein Gehirn wollte nie oder konnte nie das verschobene Bild unterdrücken. Oder ich bin einfach immer lieber abgedriftet, die Realität in Watte gepackt.
Vielleicht nahm mein kindliches Schielen einen frühzeitigen Wunsch, wegzulaufen, voraus. In eine unmögliche Landschaft flüchten. Anders schauen, weiter hinaus. Und in meinem Gesicht einen Ausdruck schaffen, dem man nicht standhalten kann. Denn wer dem Schielenden gegenübersteht, weiß nie, in welches Auge er gucken soll und muss mit der Ungewissheit leben, ob sein Blick wohl erwidert werden wird.
Wenn es auch hartnäckig war, wurde mein Schielen mit den Jahren besser. Augenklappe, Übungen und das Beharren meiner Familie: „Alia, das Auge“. Dieses geistesabwesende Auge. Die faulen Muskeln haben mit der Zeit gelernt, zu fokussieren. Ich kann jetzt einem Blick standhalten. Ihm ausweichen. Ihn herausfordern. Aber wenn ich müde bin, wenn ich krank werde, und vor allem, wenn ich mich zum Schreiben hinsetze, verlässt mich mein linkes Auge, der Rebell, und bricht aus. Da, in weiter Ferne, wartet immer noch die andere Perspektive. Das Schreiben. Das Verlangen. Das verneinte Bild. Und ich gebe mich sofort dieser Flucht und dieser glückseligen Rückkehr in die weite Vision meiner Kindheit hin.