LGBTQ in der Ukraine  Queers im Krieg

Viktor Pylypenko: Gesicht der „LGBT-Militärs“ in der Ukraine. Seit Februar wieder an der Front, bloggt und berichtet er regelmäßig in sozialen Netzwerken von der Kriegsrealität.
Viktor Pylypenko: Gesicht der „LGBT-Militärs“ in der Ukraine. Seit Februar wieder an der Front, bloggt und berichtet er regelmäßig in sozialen Netzwerken von der Kriegsrealität. Foto: © privat

In der Ukraine kämpfen Queers in der Armee, sammeln Spenden für Militär, Vertriebene und Flüchtende, organisieren spezielle Schutzräume und sichere Unterkünfte. Ihre Forderungen nach Gleichberechtigung verstummen nicht. Im Gegenteil. Überraschende Erfolge zeigen aktuelle Studienergebnisse, Einschätzungen von Aktivist*innen und eine Online-Petition für die gleichgeschlechtliche Ehe, die nun Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu veranlasste, Stellung zu nehmen.

„Der Krieg hilft der Ukraine dabei, queere Menschen zu akzeptieren. Das ist auch für uns eine riesige Überraschung“, freut sich Rostyslaw Milewskyj, Direktor der LGBTQ-NGO Gender Zed in Saporischschja. „Aktivist*innen arbeiten seit Jahren daran, aber jetzt starten einfach irgendwelche Leute erfolgreiche Petitionen“, wundern sich Tymur Lewtschuk und Tetiana Kasian von der ukraineweit tätigen Organisation Fulcrum. „Schade, dass erst dieser Krieg kommen musste, damit wir uns in Richtung Europa bewegen“, meint Nika Wenhelowska von der Jugend-NGO Partner in Odesa. „In diesem Krieg haben wir alle die gleichen Sorgen, wir halten jetzt besser zusammen“, sagt Oleh Kryschtschenko von Alliance.Global in Kyjiw.
 

„Kiew“ ist die deutsche Version des russischen Namens der ukrainischen Hauptstadt. Auf Ukrainisch heißt es Київ (Kyjiw). Spätestens seit der Invasion ist die Bezeichnung „Kiew“ zu einem symbolischen Überbleibsel der russisch-sowjetischen Kolonialisation geworden. Respektvoller ist es, die Hauptstadt der Ukraine als „Kyjiw“ zu transkribieren. Dasselbe gilt für Lwiw − ukrainisch Львів, russisch Львов | Anm. d. Red.

Während im Osten und Süden der Ukraine brutale Kämpfe um Gebietsgewinne geführt werden, noch immer etwa ein Fünftel des Landes von russischen Truppen okkupiert ist, Millionen Menschen auf der Flucht sind und täglich unvorhersehbare russische Raketenangriffe das ganze Land terrorisieren, erlebt die LGBTQ-Community in der Ukraine eine positive Überraschung nach der anderen.

So ergab eine Studie des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) und der NGO Nasch Swit im Mai 2022, dass bereits mehr als die Hälfte der befragten Personen LGBTQ gegenüber grundsätzlich positiv oder immerhin gleichgültig eingestellt sind. Dieser Anteil ist seit den Ergebnissen von 2016 von 34 Prozent auf 57,6 Prozent gestiegen. Der Anteil mit einer negativen Einstellung gegenüber queeren Menschen sank von 60,4 auf 38,2 Prozent. Die Verteilung hat sich also in sechs Jahren nahezu umgekehrt. Noch deutlicher wird diese Entwicklung bei der Frage, ob LGBTQ-Personen die gleichen Rechte wie andere Ukrainer*innen haben sollten: Hier verdoppelte sich fast die Zustimmung von 33,4 auf 63,7 Prozent, die Ablehnung schrumpfte von 45,2 auf 25,9 Prozent.

Buchstäblich erkämpfte Anerkennung

Ein Grund für die zunehmende Offenheit gegenüber der LGBTIQ-Gemeinschaft in der Ukraine ist sicher die jahrelange Öffentlichkeitsarbeit queerer Soldat*innen. Wohlwollend äußerten sich dazu in der KISS-Studie immerhin 81,2 Prozent der Befragten. Seit 2018 outen sich immer mehr Militärs als schwul, lesbisch, bisexuell oder Transpersonen. Der Verband LGBT military macht sie sichtbar.

Ich fühle nur Unterstützung von meinen Brüdern an der Waffe!“

Viktor Pylypenko | LGBT military

Sein bekanntestes Gesicht ist Viktor Pylypenko, Veteran eines Freiwilligenbataillons während der Antiterroroperation im Osten der Ukraine 2014-2015. Damals verheimlichte er noch, dass er schwul ist, wie viele queere Soldat*innen erfand er Geschichten, um sein Geheimnis zu verbergen. Nach seinem Coming-out 2018 durch das Fotoprojekt Wir waren hier von Anton Shebetko erlebte er meist Unterstützung von Kamerad*innen, aber auch körperliche Angriffe. Ziel der LGBT-Militärs ist es klarzumachen: „Wenn wir selbst einzelnen Gruppen ihre Grundrechte verweigern, sind wir nicht besser als die Besatzer des Putin-Regimes.“ Dafür erzählten sie ihre Geschichten, machten Ausstellungen und Filme.

Seit Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 großflächig überfallen hat, ist Viktor Pylypenko wieder zurück in den Reihen der Armee, als Sanitäter einer Einheit, die zunächst die Hauptstadt Kyjiw gegen den versuchten Sturm der russischen Truppen Anfang März verteidigte und mittlerweile in den schwer umkämpften Gebieten im Osten eingesetzt wird. Entsprechend kurz angebunden antwortet er per Messenger von der Front. Im Unterschied zu damals kann er jetzt sagen: „Ich fühle nur Unterstützung von meinen Brüdern an der Waffe!“

Dann schickt er stolz Fotos mit seiner Truppe im Einsatz. Die Gesichter der Kamerad*innen müssen unkenntlich gemacht werden: „Die russische Propaganda klaut die Bilder sonst und missbraucht sie für ihre Zwecke.“

Viktor Pylypenko als Armee-Sanitäter mit seiner Einheit unterwegs. Viktor Pylypenko als Armee-Sanitäter mit seiner Einheit unterwegs. | Foto: © privat Ein bisschen kritischer äußert sich Pascha Lajhojda, der sich nur durch Zufall vor seinen Armeekameraden outete. Er schreibt auf seinem Instagram-Kanal: „Es gibt sehr viele LGBT-Leute in der Armee! Aber leider kommt es immer noch vor, dass du, wenn du schwul bist, automatisch ein Niemand wirst! Aus irgendeinem Grund stellen viele Leute diesen Fakt an erste Stelle!!“ Einen Monat später erzählt er in einem Video für Gender Zed von der Front: „Ich habe leichtes Bullying erlebt, das dauerte lange, so drei-vier Monate.“ Aber mittlerweile sei das besser geworden.

   

Queerfeindlichkeit gilt als Teil der „russischen Welt”

Seit Ende Juni ist die Ukraine nun auch EU-Beitrittskandidat. Einen Tag zuvor ratifizierte das Land die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt. Bereits wenige Wochen zuvor sorgte eine kleine Online-Petition für viel Aufmerksamkeit: Die in Aktivist*innen-Kreisen völlig unbekannte Anastasija Sowenko fordert die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. In der Begründung schreibt sie: „Gegenwärtig kann jeder Tag der letzte sein. Geben Sie Menschen gleichen Geschlechts die Möglichkeit, eine Familie zu gründen und ein offizielles Dokument, um dies zu beweisen. Sie brauchen die gleichen Rechte wie traditionelle Paare.“ Auslöser waren für sie wohl tragische Geschichten gleichgeschlechtlicher Paare, in denen Menschenihre im Krieg gefallenen Partner*innen nicht beerdigen durften, weil sie keine verwandtschaftliche Beziehung nachweisen konnten. In wenigen Tagen ging die Petition im Netz viral, die nötigen 25.000 Unterschriften waren schnell gesammelt. Nun musste das Präsidialamt von Wolodymyr Selenskyj eine Rückmeldung dazu erarbeiten.

Bisherige Versuche ähnlicher Kampagnen in den letzten Jahren hatten vor dem Krieg nie mehr als 5000 Unterschriften erhalten, erinnert sich Rostyslaw Milewskyj von Gender Zed aus Saporischschja. „Aber jetzt gibt es da viel Bewegung in den Köpfen der Menschen.” Einerseits sei das ein Zeichen dafür, dass die Menschen verstehen, dass Homo- und Transphobie ein Teil der brutalen russischen Ideologie sind. Andererseits erhofften sich viele einen schnelleren EU-Beitritt von solchen Initiativen. „Momentan gibt es ja keine anderen Protestformen als Petitionen, weil Demonstrationen durch das geltende Kriegsrecht verboten sind“, räumt Milewskyj ein. „Besser wäre es, solche Gesetze nach dem Krieg zu verabschieden, damit sie später nicht wegen fehlender Transparenz bemängelt werden können.“
 

Geben Sie Menschen gleichen Geschlechts die Möglichkeit, eine Familie zu gründen und ein offizielles Dokument, um dies zu beweisen. Sie brauchen die gleichen Rechte wie traditionelle Paare.“

aus der Online-Petition

Milewskyjs NGO Gender Zed versorgt seit Kriegsbeginn Binnenflüchtende und Queers in der südostukrainischen Großstadt Saporischschja mit Corona- und HIV-Tests, mit Geld, Lebensmitteln, Hygieneprodukten und Medikamenten. „Etwa 2000 Personen haben wir jetzt mit finanziellen Nothilfen und Evakuierungen aus den besetzten und umkämpften Gegenden geholfen“, so Milewskyj. „Auch die Militärtruppen vor Ort unterstützen wir.“ Zwei Monate verbrachte er mit seinem Partner und dessen Familie in einem Dorf in der Zentralukraine, dann kehrten sie wieder zurück − aus Heimweh und der Zuversicht auf ausreichend Schutz der Stadt durch die ukrainische Armee. Eine Stunde nach dem Online-Gespräch meldet der Generalstab Raketenbeschuss in Saporischschja. „Physisch ok, zwei Explosionen in einem anderen Stadtviertel“, antwortet er – dann doch wieder erschreckt – auf die Nachfrage nach seinem Wohlergehen.

Schutzräume gegen Diskriminierung und Bomben

Die jahrelange Entwicklung zahlreicher LGBTQ-Organisationen in der Ukraine, die neben dem eigenen staatlichen Gesundheitsfond auch durch ausländische Stipendien unterstützt wird, erweist sich angesichts des Krieges als flexibles und wirkungsvolles Netzwerk, das lange nicht mehr nur queere Personen versorgt, betreut und unterstützt. Neben den Spendenaktionen entstanden vielerorts eigene Shelter, spezielle Schutzräume für queere Menschen, die durch den Krieg vertrieben wurden, ihre Angehörigen, Wohnungen und Jobs verloren haben.

In Kyjiw beispielsweise bestehen zwei solche Shelter, eines von der NGO KyivPride, ein zweites − das schon vor dem Krieg Opfer von häuslicher Gewalt, Diskriminierung und Verfolg aufnahm − organisiert von Alliance.Global Ukraine, die mit finanzieller Unterstützung der Aidshilfe-NGO 100% Life außerdem noch zwei weitere Shelter in Dnipro im Osten sowie Tscherniwzi im Westen der Ukraine eröffneten.

Oleh Kryschtschenko (Mitte)  koordiniert das Zusammenleben im Queer-Shelter in Kyjiw und bemüht sich um eine familiäre Atmosphäre. Oleh Kryschtschenko (Mitte) koordiniert das Zusammenleben im Queer-Shelter in Kyjiw und bemüht sich um eine familiäre Atmosphäre. | Foto: © Peggy Lohse Im Kyjiwer Shelter leben derzeit 14 Personen in einer Zweiraumwohnung im Erdgeschoss zusammen. Die Bewohner*innen kommen aus Sumy, Charkiw, Kyjiwer Vorstädten und sogar ursprünglich aus Russland. „Wir sind hier wie eine kleine Familie”, sagt Shelter-Koordinator Oleh Kryschtschenko. Viele sind traumatisiert, haben Heim und Angehörige verloren. Kryschtschenko selbst hat am Vormittag des Treffens noch Verwandte in Wynnitsja verloren, dessen Stadtzentrum von russischen Raketen beschossen wurde. Aber er arbeitet weiter, im Krieg gibt es keine Zeit zur Erholung.

Die Adresse des Shelters wird aus Sicherheitsgründen geheim gehalten, das war auch vor dem Krieg so. Wie in einem Hostel bestehen die Zimmer aus Doppelstockbetten und Schränken. Küche und Bad werden zusammen genutzt. Sex, Drogen und Alkohol sind verboten, geraucht wird draußen. Die Unterbringung ist kostenlos, Lebensmittel gibt es für alle − zusätzlich angeboten werden Arzttermine, psychologische, juristische Betreuung und Unterstützung bei der Jobsuche. Einen Platz bekommt man erst nach individuellen Gesprächen mit den Organisator*innen. Dann kann man bis zu drei Monate kostenfrei hier leben. Im KyivPride-Shelter können LGBTQ-Personen für bis zu zwei Wochen unterkommen.

Kriegsflüchtlinge aus den östlichen Regionen haben es oft schwer bei uns, Transpersonen sind besonders vulnerabel.“

Nika Wenhelowska | Sozialarbeiterin für die Organisation MOD Partner in Odesa

In der Schwarzmeerstadt Odesa eröffnete im August die Jugendorganisation Partner eine neue sichere Unterkunft speziell für Transpersonen. Finanziert wird die NGO mit all ihren Büros in Transkarpatien (geflohen aus dem russisch besetzten Cherson), Charkiw, Mikolajiw, Dnipro und Lwiw sowie das neue Trans-Shelter vom ukrainischen Gesundheitsfond. Während des Wohnens im Shelter bekommen die Transleute psychologische, juristische und bürokratische Unterstützung beim Ändern der Dokumente, können zu trans-freundlichen Ärzt*innen vor Ort vermittelt werden und sich auf HIV, Hepatitis und Covid-19 testen. Unzählige Kisten mit Tests stapeln sich im Büro der Organisation, gelegen im Souterrain, wo man fast wie in einem Luftschutzraum mit relativ sicherem Bauchgefühl auch Luftalarm-Zeiten überstehen kann.

„Viele Menschen kommen zu uns aus dem umkämpften Charkiw und der besetzten Region Cherson“, erzählt die Partner-Sozialarbeiterin Nika Wenhelowska. „Kriegsflüchtlinge aus den östlichen Regionen haben es oft schwer bei uns, Transpersonen sind besonders vulnerabel.“ Gleichzeitig kommen trotz des Kriegszustandes im Land und des geltenden Badeverbots an den Stränden Odesas weiterhin Leute zum Erholen in die Stadt.

Gemeinsam mit ihrem Kollegen bearbeitet sie im Monat rund 100 Anfragen nach Unterstützung. Alle Anfragen betreffen aktuell Transitionen von Männlich zu Weiblich. Nur ein Trans-Mann bekomme jetzt entsprechend neue Papiere. Für diejenigen, die in der Ukraine neue Papiere als Mann erhalten, gilt dann auch die allgemeine Mobilisierung von Männern zwischen 18 und 60 Jahren. Da der einzige queere Club der Stadt wegen des Kriegs aktuell geschlossen ist und mehrere Mitarbeiter als Soldaten an die Front gegangen sind, organisiert Wenhelowska in unregelmäßigen Abständen Trans-Online-Partys für mehr Austausch innerhalb der Community.

Nika Wenhelowska ist Sozialarbeiterin in der Jugend-Organisation MOD Partner in Odesa. Sie berät, begleitet und unterstützt Transpersonen bei der Transition, bei Wohnungs- und Jobsuche. Nika Wenhelowska ist Sozialarbeiterin in der Jugend-Organisation MOD Partner in Odesa. Sie berät, begleitet und unterstützt Transpersonen bei der Transition, bei Wohnungs- und Jobsuche. | Foto: © Peggy Lohse Im westukrainischen Lwiw haben sich die Organisator*innen der NGO Fulcrum derweil entschlossen, ihr festes LGBTQ-Shelter wieder zu schließen. „Wir bieten weiterhin individuelle finanzielle Unterstützung an für Leute, die hier für eine bestimmte Zeit eine Unterkunft benötigen”, erklärt Tymur Lewtschuk. Die zwei hostel-ähnlichen Gruppenunterkünfte, die Fulcrum in den ersten vier Kriegsmonaten unterhielt, hätten sich aber als nicht nachhaltig genug erwiesen.

Die ersten Shelter-Räume hatten sie noch von einer queer-freundlichen Firma kostenlos bekommen. Rund sechs Wochen später mussten sie jedoch eine Wohnung dafür anmieten. „Damals waren die Mieten hier in Lwiw extrem gestiegen, für die Räume zahlten wir im Monat umgerechnet knapp 8000 Euro, nochmal so viel für Strom und Wasser. Dazu kamen die Ausstattung, Lebensmittel. Das war zu viel.“ Außerdem hätten viele queere Menschen den Westen der Ukraine schon wieder in Richtung Kyjiw oder weiter verlassen, weil sie den traditionell eher konservativen und queerfeindlicheren Westregionen der Ukraine nicht vertrauten. Zusätzlich habe die Rund-um-Versorgung die Bewohner*innen passiv werden lassen. „Aber wir wollen sie ja unterstützen, ihre Probleme wie Jobsuche und Wohnsituation bald selbst lösen zu können“, so Lewtschuk. „Darum schwenken wir jetzt um von der Nothilfe hin zu nachhaltigeren Sprach- und Online-Bewerbungstrainings. Zum Empowerment also.“

Was bleibt nach dem Krieg?

Damit wollen sie auch den langfristigen Kriegsfolgen, die die Ukraine allmählich schon jetzt ereilen, zuvorkommen. „Die Leute sehen die echten Konsequenzen noch nicht. Noch sehen wir nur die Toten. Aber da kommt noch viel mehr: Wir erwarten eine riesige Wirtschaftskrise!“, betont Lewtschuks Kollegin Tetiana Kasian. „Die Wechselkurse gehen auseinander, die Preise steigen. Firmen schließen, weil Inhaber ins Ausland gehen oder ihre Gebäude zerstört wurden. Angriffe stören die Arbeit der öffentlichen Dienste. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Kriminalität wird das auch tun und ebenso die psychischen Probleme der Menschen.“

Und auch für die LGBTQ-Community selbst sind noch viele Schwierigkeiten zu erwarten, meint Lewtschuk: „Viele Aktivist*innen sind ins Ausland gegangen. Viele kommen sicher nicht wieder. Und wenn sie dann dort selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen, werden sie weniger Zeit und Kraft für die aktivistische Arbeit für Queers in der Ukraine haben. Viele andere Aktive werden mobilisiert oder gehen freiwillig an die Front. Einige von ihnen werden dort sterben. Wer wird dann eigentlich nach dem Krieg noch vor Ort sein, um die Community weiter zu entwickeln?“

Tetiana Kasian und Tymur Lewtschuk von der NGO Fulcrum hatten zwei Queer-Shelter in Lwiw organisiert, jetzt verändern sie ihr Hilfeformat zu nachhaltiger Weiterbildung und Selbst-Empowerment. Tetiana Kasian und Tymur Lewtschuk von der NGO Fulcrum hatten zwei Queer-Shelter in Lwiw organisiert, jetzt verändern sie ihr Hilfeformat zu nachhaltiger Weiterbildung und Selbst-Empowerment. | Foto: © Peggy Lohse Dazu kommt, dass die Organisation Fulcrum aktuell zwar noch bis Jahresende Stipendien und Fördergelder bekommt. Neue Programme würden gerade entstehen, aber der Krieg zerstöre eben auch alle Planungssicherheit − für Geldgeber und Organisationen. Für Kasian ist es schon jetzt „ein Privileg, überhaupt die Zukunft zu planen. Am Anfang konnten wir nicht einmal den nächsten Tag vorhersehen.“

Aber entschlossen fügt sie hinzu: „Krieg ist ja an sich gegen Menschenrechte. Aber das heißt nicht, dass wir aufhören, für sie zu kämpfen!“

Überraschungen unterm Regenbogen

Dass sich das Engagement auszahlt, zeigte sich nun auch in Selenskyjs Antwort auf die Online-Petition zur Ehe für alle: „In der modernen Welt misst man das Niveau einer demokratischen Gesellschaft auch an der auf Gleichberechtigung ausgerichteten, staatlichen Politik für alle Bürger. Jeder Bürger ist ein untrennbarer Teil der Zivilgesellschaft, alle Rechte und Freiheiten gelten für sie, wie es in der Verfassung der Ukraine verankert ist. (…) Das Familiengesetzbuch der Ukraine definiert, dass die Familie primärer Mittelpunkt der Gesellschaft ist. Eine Familie besteht aus Individuen, die zusammen leben, durch das gemeinsame Leben verbunden sind und gegenseitig Rechte und Pflichten übernehmen.“ Da jedoch gemäß der Verfassung „die Eheschließung auf der freien Zustimmung von Frau und Mann (Artikel 51)“ basiere und diese während des Kriegszustandes nicht verändert werden darf, soll nun die Regierung immerhin ein Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft erarbeiten. Und das, während das Land noch den russischen Angriffskrieg abwehren muss.

Und am Tag, als die KyivPride wegen dieses Krieges in diesem Jahr in Polen als eigener Block auf dem solidarischen Warschauer Marsz Równości (Marsch der Gleichheit) vertreten ist, tanzen am 23. Juli auf dem Kontraktowa-Platz in Kyjiw-Podil am selben Tag Regenbogen-und-Ukraine-Flaggen zusammen für eine offene, freiheitliche Zukunft.

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