„Barbie“ und „Oppenheimer“ in der Ukraine  Atombombenexplosion in Rosa

Atombombenexplosion in Rosa Illustration: © Tetiana Kostyk

Auch in der Ukraine lässt man sich das kollektive filmische Erlebnis der beiden größten Blockbuster des Sommers 2023 nicht nehmen. „Barbie“ und „Oppenheimer“ lockten bereits mehr als eine halbe Million Menschen in die Kinos. Die ukrainische Rezeption von „Barbenheimer“ steht – natürlich – ganz im Zeichen des Krieges und fokussiert auf einige spezielle Aspekte dieser so unterschiedlichen Filme.

Einer in Schwarz, der andere in Rosa: Am 20. Juli 2023 feierten Barbie und Oppenheimer ihre Premieren in den ukrainischen Kinos. Die Kinosäle wimmelten von Kleidern in Barbiepink und dramatischen schwarzen Anzügen. In der Nacht davor meldeten drei ukrainische Großstädte (Sumy, Odesa und Mykolajiw) einen massiven Raketenbeschuss, der über 20 Verletzte und 2 Todesopfer forderte.

Nach wie vor leben wir im Spannungsfeld zwischen vermeintlicher Normalität und den Bedrohungen des Krieges. Einige widmen sich unermüdlich dem Kampf, sei es im Hinterland oder an vorderster Front. Andere konzentrieren sich auf zivile Angelegenheiten: Höhere Einnahmen und mentale Stabilität bedeuten mehr Unterstützung für die Armee. Und trotz der Gefahr gehen wir immer noch ins Kino.

Zwei Filme, ein Sommer. Barbie ist bereits der finanziell erfolgreichste Film von Warner Bros. Pictures, Oppenheimer gilt als der beliebteste Film Nolans in der Ukraine. Beide Blockbuster zusammen lockten bereits über eine halbe Million Zuschauer in die ukrainischen Kinos. Ich war auch darunter.

Margot Robbie als Barbie und Ryan Gosling als Ken Margot Robbie als Barbie und Ryan Gosling als Ken | Still: © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc.

Barbie: Eskapismus und Provokation

Eine metamoderne Geschichte über märchenhafte Länder und Geschlechterrollen ist schwer einzuordnen. Ist das ein Kinderfilm, eine Komödie, ein Fantasyfilm mit gesellschaftskritischer Note? Viele hadern mit der linkspolitischen Agenda, mit der der Film angeblich schwer beladen sei. Die populärste Frage: Ist eine solche Geschichte eigentlich an der Zeit? Und trotzdem fällt es mir schwer, gute Eintrittskarten zu ergattern.

Vieles in Barbie ist nicht an der Zeit. Genau das macht die Geschichte so anziehend. Angesichts des Krieges fühlen wir uns mehr denn je zum cineastischen Eskapismus hingezogen. Wir sehnen uns alle nach Entspannung und Ablenkung. Nicht jede Ablenkung ist jedoch gleich eine Flucht. Im Fall von Barbie geht es vielmehr um eine Hin- und Rückreise, eine Möglichkeit, die Illusion des Friedens zu erleben. Auch wenn wir wissen, dass wir für 113 Minuten eine rosa Brille aufgesetzt haben.

Die Mode in Pink explodierte im 20. Jahrhundert in der Nachkriegszeit. Sie war ein Signal für Frauen, dass sie aus der Militärwelt wieder in ein stereotypisch weibliches Universum zurückkehren durften. Dies markierte das Ende des Krieges und den Beginn einer Zeit, in der nicht mehr die Not, sondern die romantisierte Schönheit herrschen konnte. Auch uns hat es der Krieg beigebracht, die kleinsten Freuden zu schätzen, ob sie real sind oder imaginär. Daher der pinke Barbie-Hype auf ukrainischen Straßen. Und vielleicht ist da unterschwellig noch ein Wunsch: Wir wünschen uns eine neue Nachkriegszeit.

Das ukrainische „She can be everything“ ist sehr weit weg von Barbiepalästen, Sommerparties und verblüffenden Erfolgsgeschichten. Es ist ein Bereich der schweren Lebensentscheidungen.

Ich erinnere mich an meine erste Barbiepuppe. Sie war ein Nikolausgeschenk von Mama und trug schicke Klamotten, die wir zusammen genäht hatten. Seit meiner Flucht aus meinem Elternhaus in Bojarka nach Lwiw liegen 500 Kilometer und 20 Jahre zwischen mir und dieser Erinnerung. In unsicheren Zeiten klammern wir uns an vertraute Dinge, die uns Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Unsere von Spielen und Träumen erfüllte Kindheit kann für immer ein sicherer Anker bleiben. So kommt man zumindest in Gedanken heim.

Allerdings bleibt Barbie ein Film für Frauen und über Frauen. Ich denke an alle Mütter, die ins Ausland geflüchtet sind, um ihre Kinder zu retten. An die, die geblieben sind in einem Land, wo Geburtshäuser und Kindergärten bombardiert werden. Und dann noch an meine Bekannte, die ihre Promotion aufgegeben hat, um zur Armee zu gehen. Und an eine Kriegsjournalistin, die ihren zweijährigen Sohn vielleicht jede zwei Monate sieht. Das ukrainische „She can be everything“ ist sehr weit weg von Barbiepalästen, Sommerparties und verblüffenden Erfolgsgeschichten. Es ist ein Bereich der schweren Lebensentscheidungen.

Und was den Wettbewerb mit Männern angeht, so ist dieser in unserer Realität ausgeschlossen. Es geht vielmehr um den gemeinsamen Kampf gegen toxische und zerstörerische Ideologien. In diesem Sinne ist Barbie aktuell. Es gibt auch Zuschauer*innen, die die vermeintliche Propaganda verabscheuen und sich von Greta Gerwigs Humor provoziert fühlen. Für sie bietet Barbie eine großartige Gelegenheit, ihrer Wut und Empörung freien Lauf zu lassen. Auch wenn sie sich über etwas völlig anderes ärgern.

Poster Oppenheimer © 2023 Universal Pictures

Oppenheimer: Weltschuld und Atomkatharsis

In meiner Tasche habe ich ein paar Ohrstöpsel dabei. Sie sollen mir helfen, die Lautstärke zu regulieren. Ich weiß es noch, als mein Körper vor ersten Kriegsexplosionen zitterte. Hoffentlich wird der akustische Eindruck nicht zu überwältigend. Es fühlt sich jedenfalls gut an, Kontrolle zu haben.

Erst kommt das Licht, dann der Ton der Explosion. Nolans Fake-Atombombe explodiert vor den Kameras ohne Computereffekte. Der Nuklearpilz ist so real, wie es auf Bildschirm geht. Mit den verstummenden Geräuschen lässt die Spannung nach, die ich in mir seit Monaten getragen habe. Die Ohrstöpsel bleiben in meiner Tasche.

Ich atme aus. Diese kathartische Wirkung ist genau das, was ich mir erhofft habe. Doch für viele birgt das auch das Risiko einer erneuten Traumatisierung. „Es gibt genug Horror im Leben: Krieg, Bomben, Explosionen und Tod. Da schaue ich lieber Barbie!“, habe ich in Kommentaren zum ukrainischen Trailer gelesen. Er/sie schützt sich durch die richtige Distanz. Ich versuche, mich durch kontrolliertes Erleben zu heilen. Beides ist in Ordnung.

Mehr als die Explosionen beeindrucken mich die Nahaufnahmen von Oppenheimer. In der zweiten Filmhälfte schwingen sie von Schuld und Ratlosigkeit mit. Ein Mensch großen Talents, wirkt er in vielen Aspekten klein. Sein wissenschaftliches Engagement entspringt jugendlicher Begeisterung. Das Projekt in Los Alamos verwirklichet seinen Jugendtraum, Physik und New Mexico zu verbinden. Und sein Glauben, dass die Politiker mit der Atombombe Kriege verhindern wollen, ist beinahe kindisch naiv.

Vielleicht bleibt das Gefühl, dass wir mit dem Rest der Welt auf dem Laufenden bleiben. Barbenheimer war ein gemeinsames Erlebnis sowie ein Anstoß zum Nachdenken.

Neben Oppenheimers Porträt fehlen mir viele andere Gesichter. Außer verschwommener Zeitungsfotos sind überhaupt keine Kriegsfeinde im Film zu sehen. Der Vielvölkerstaat Sowjetunion wird auf Russland reduziert, japanische Tote auf eine Truman-Rede im Radio, geschweige denn von den ersten Opfern der Atombombenversuche in New Mexico. Das Biopic zeigt uns nur ein Opfer, den einflussreichen US-amerikanischen Physiktheoretiker, der zwangsläufig von Schuldgefühlen gequält wird. Eine tragische, aber undialogische Geschichte.

Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer | Still: © 2023 Universal Pictures

Barbenheimer

Die Verleihperiode für beide Filme wird bald enden. Was bleibt? Die Furcht vor der Atombombe war bereits lange vorher da. Die Begeisterung für Barbies aufregende Abenteuer wird schnell vergehen. Vielleicht bleibt das Gefühl, dass wir mit dem Rest der Welt auf dem Laufenden bleiben. Barbenheimer war ein gemeinsames Erlebnis sowie ein Anstoß zum Nachdenken.

Und ich werde noch lange an den Ukrainer Heorhij Kistjakiwskyj denken, oder George, wie er im Film genannt wird. Kistjakiwskyj entwickelte den Zünder für die Bombe, protestierte später gegen den Vietnamkrieg und warnte vor einer Eskalation des Atomkriegs. Geboren wurde er in meiner Heimatstadt Bojarka. Aber wenn meine Eltern in einem Albtraumszenario einen Atompilz am Horizont sehen würden, gäbe ich nicht ihm die Schuld dafür. Und nicht Oppie.

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