Ein Krankenhaus im Krieg  Fünfzig Patientinnen und kein Wasser

Blick auf Slowjansk aus dem Fenster des Krankenhauszimmers der Autorin
Blick auf Slowjansk aus dem Fenster des Krankenhauszimmers der Autorin Foto: © Jana Čavojská

Draußen vor den Fenstern ist Krieg und auf der gynäkologischen Station des Krankenhauses in Slowjansk kämpfen Frauen ihre eigenen Kämpfe. Die Reporterin Jana Čavojská war einige Tage als Patientin bei ihnen.

Das Krankenhaus in Slowjansk in der Ostukraine hat seit fünf Tagen kein Wasser mehr. Fast fünfzig Frauen liegen in zehn Zimmern auf der gynäkologischen Station. Es gibt drei Toiletten. Hier wird mit gelbem Wasser aus Plastikfässern gespült. Wasser zum Händewaschen, Zähneputzen und zum Trinken müssen Verwandte den Frauen bringen. Glücklicherweise scheint fast rund um die Uhr Besuchszeit zu sein. Jemand hat mir erzählt, etwa bis 21 Uhr am Abend. Nur Männer sind hier nicht gern gesehen, schließlich ist es eine Frauenstation. Aber eine evakuierte Patientin aus der Stadt Pokrowsk, die in die Hände der Russen gefallen war, darf ihre beiden kleinen Kinder mit hierbehalten.
 
Im Krankenhaus gibt es kein fließendes Wasser. Jede Patientin muss ihr eigenes Wasser zum Waschen und Trinken mitbringen.

Im Krankenhaus gibt es kein fließendes Wasser. Jede Patientin muss ihr eigenes Wasser zum Waschen und Trinken mitbringen. | Foto: © Jana Čavojská

 

Hatten wir...

Es gibt eine einzige Dusche. Für fünfzig Frauen mit gynäkologischen Komplikationen, zu denen in vielen Fällen Gebärmutterblutungen gehören. Die Dusche ist abgeschlossen. Den Schlüssel muss ich mir geben lassen. „Bloß wozu, wenn es seit fünf Tagen kein Wasser mehr gibt?“ Die Krankenschwester schaut mich verständnislos an. Ich erkläre, dass ich mich darin mit Wasser aus einer Flasche waschen will. Von meinen Reisen in Krisengebiete und in die Ukraine bin ich das gewohnt: Nach russischen Angriffen auf die Infrastruktur passiert es häufig, dass es kein Wasser mehr gibt, und manchmal übernachten wir mit Soldaten in Häusern in Dörfern, in denen es kein fließendes Wasser gibt. Scheinbar haben sich noch nicht alle Patientinnen daran gewöhnt. Aber ich muss zugeben, dass das Personal ihnen so gut es geht, entgegenkommt. Eine Frau aus meinem Zimmer zum Beispiel durfte über Nacht nach Hause gehen. Um sechs Uhr abends packte sie ihre Sachen und ging, und um acht Uhr morgens saß sie wieder auf ihrem Bett und wartete auf die Ärzte.

Es gibt nur einen einzigen Mülleimer auf der ganzen Station. Besser gesagt einen Karton. Er ist etwas unglücklich platziert, in einer der drei Toiletten. Die Toiletten lassen sich nicht abschließen.

Die Patientinnen wissen, dass sie sich alles selbst mitbringen müssen, einschließlich Toilettenpapier, Seife, Einwegunterlagen für Untersuchungen und für das Bett, und momentan auch Wasser zum Waschen. Dafür steht in jedem Zimmer eine Klimaanlage. Die Frauen, die keine Bezüge und Bettlaken mitbringen, bekommen ein Kopfkissen, zwei selbst umsäumte Stoffstücke – eins als Bettlaken und das andere zum Zudecken – und eine Decke mit einem UNHCR-Aufnäher.
 
Die Autorin mit einer Decke des UNHCR: Wer keine eigene Decke von zu Hause mitgebracht hat, bekommt eine solche Decke.

Die Autorin mit einer Decke des UNHCR: Wer keine eigene Decke von zu Hause mitgebracht hat, bekommt eine solche Decke. | Foto: © Jana Čavojská


Es ist überall sauber, obwohl das Wasser in Eimern aus der Zisterne draußen die Treppe hinaufgetragen werden muss. Als die Sirenen einen Luftangriff ankündigen, rührt sich niemand. Alle gehen weiter ihrer Arbeit nach.

„Es ist das erste Mal, dass wir so lange kein Wasser haben“, entschuldigt sich der Arzt, der seit mehr als 24 Stunden im Dienst ist. Das Krankenhaus hat kein Wasser, weil die Russen es bombardiert und die Wasserversorgung beschädigt haben. Auch wenn die Angreifer behaupten, sie würden mit chirurgischer Präzision nur militärische Ziele angreifen... In Kramatorsk, einer anderen Großstadt im Donbas, können die Menschen eine andere Version dieser Geschichte erzählen. Zufälligerweise sind zwei Einwohnerinnen dieser Stadt mit mir im Zimmer. „Warum seid ihr hier im Krankenhaus? Habt ihr in Kramatorsk kein gynäkologisches Krankenhaus?“ frage ich, und sie lachen auf eine Art und Weise, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Antwort nicht sehr lustig sein wird. „Hatten wir...“

Medizinische Wüste

Eine andere Frau auf meinem Zimmer kommt aus Dobropillja bei Pokrowsk – rund 70 Kilometer von hier. Ihre Schwester brachte sie mit starken Blutungen hierher. Slowjansk war das nächstgelegene Krankenhaus für sie. Pokrowsk wird seit Monaten von den Russen zerstört. Als wir am Tag vor meiner Aufnahme ins Krankenhaus von Nikopol nach Slowjansk fuhren und die Straße nehmen wollten, die wir wenige Wochen zuvor noch gefahren waren, wurden wir am Kontrollpunkt zurückgeschickt. „Seit die Russen Schewtschenko bei Pokrowsk besetzt haben, wird diese Straße beschossen, es fliegen Drohnen und viele Autowracks liegen bereits herum. „Hier kommt ihr nicht durch“, sagte der Polizist. Dann wurde im Radio gemeldet, dass die Gaszufuhr nach Pokrowsk unterbrochen wurde. Die Menschen wurden aufgefordert, ihre Gasanschlüsse an den Häusern zuzumachen. Denn selbst unter solchen Umständen harren einige Menschen hartnäckig dort aus. Einige von ihnen können sich nicht vorstellen, ihre Häuser zu verlassen, viele sind alt und sind noch nie woanders gewesen. Einige von ihnen warten auf den russischen „Frieden“, weil sie aus irgendeinem Grund der Meinung sind, dass er ihnen etwas Besseres bringen wird.

Im Donbas gibt es nicht mehr viele Krankenhäuser und Ärzt*innen. Im Englischen gibt es einen Begriff für solche Regionen: healthcare desert. Medizinische Wüste. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist extrem schwierig. Viele Krankenhäuser sind zerstört, weil die Russen sie absichtlich beschießen. Viele Ärzt*innen haben ihre Praxen geschlossen und die Region verlassen. Um Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten, müssen die Menschen weit fahren, aber es gibt kaum Busse, und je näher die Frontlinie ist, desto schlechter sind die Verbindungen. Nur die Glücklichen haben ein Auto. Ein Taxi zu bezahlen, ist für die meisten Bewohner*innen ohne Arbeit und Einkommen nahezu unmöglich.
 
Behandlung

Behandlung | Foto: © Jana Čavojská


Draußen vor den Fenstern ist Krieg, und die Frauen kämpfen ihre eigenen Kämpfe. „Das lastet alles sehr schwer auf uns. Menstruation, Schwangerschaften, Geburten und nach den Wechseljahren wieder nur Probleme“, seufzt eine grauhaarige Dame, die mehrmals am Tag betet… für uns alle und dafür, dass ihre Operation gut verläuft und nicht zu sehr wehtut. „Wir gebären nur auf eigenes Risiko“, zuckt eine junge Patientin angesichts der Zustände auf der Entbindungsstation mit den Schultern. In diesem Moment denke ich an unsere Entbindungsstationen und die Frauen, die dort in den Sommermonaten entbinden - was würden sie für die Klimaanlagen geben, die es hier überall gibt.

„Sind Abtreibungen in eurem Land erlaubt?“ Die erste Frage einer weiteren Zimmergenossin, eine Frau in fortgeschrittenem Alter, eine unglaublich gute Seele, die kaum allein laufen kann. Vor ihrer morgigen Untersuchung bekommt sie Darmreinigungspräparate und einen Einlauf, es muss schrecklich für sie sein, auf einer Station ohne Wasser und mit nur drei Toiletten, zu denen sie immer die Hälfte des langen Korridors zurücklegen muss. Außerdem ist ihr mein Bett im Weg. Das Zimmer war ursprünglich nur für vier Betten gedacht. Ein fünftes wurde an die Wand gestellt, aber jetzt ist der Gang zwischen diesem und den anderen Betten nicht mehr breit genug, um einen Rollstuhl hindurchzuquetschen. Als die Patientin aus dem Bett unter dem Fenster aus dem OP gebracht wurde, musste sie, noch benommen von der Narkose, aufstehen, sich auf die Pflegerin stützen und zu ihrem Bett geführt werden.
   

Urlaub auf der Krim

Meine Bettnachbarinnen erzählten mir zwischendurch, wie viele Frauen aufgrund von Stress durch den Krieg ihre Periode nicht mehr haben. Die Männer sind an der Front, die Frauen sind geflohen. Die Geburtenrate ist im ganzen Land stark zurückgegangen. Maria aus Dobropillja hat nur noch geweint. Wegen wiederholter starker Blutungen wurde ihr eine Hysterektomie empfohlen. Sie hatte Angst vor der Operation und wollte sich ihre Gebärmutter noch nicht herausnehmen lassen, auch wenn sie 48 Jahre alt war und keine Kinder mehr wollte. Vor allem aber hatte sie Angst davor, was passieren würde, wenn sie flüchten müssten. „Wie sollte ich das schaffen, mit meinen Kindern und meiner 83-jährigen bettlägerigen Mutter im Auto irgendwo weit weg zu fahren, wenn ich genau dann so starke Blutungen bekommen würde?“

Sie erzählt mir, dass ihre Kinder an der Universität sind, in einem Internat in Charkiw. Ihrer Meinung nach sind sie dort sicherer als in der Stadt, die nur einen Steinwurf von Pokrowsk entfernt ist. Sie und ihr Mann haben ein Geschäft in Dobropillja, sie wollen nicht weggehen, vor kurzem haben sie ein altes Haus gekauft und angefangen, es zu renovieren, aber dann kam der Krieg und sie haben es als Unterkunft für Soldaten zur Verfügung gestellt. Sie bleiben in ihrer Wohnung und hoffen, dass der Krieg nicht noch näher kommt.

Und sie beschreibt mir auch noch andere Situationen. Wie sie im Sommer 2014 mit ihrem Mann und ihren Kindern Urlaub auf der Krim machen wollte. Sie fuhren jedes Jahr dorthin ans Meer, sie liebten es, das Hotel hatten sie schon bezahlt, noch bevor die Russen die Krim besetzten. Irgendwie hatten sie sich überhaupt nicht bewusst gemacht, dass die Halbinsel annektiert wurde. Schließlich war es ja „ihre Insel“. Eigentlich fuhren sie immer mit dem Auto, aber in jenem Jahr gab es zufällig Freikarten für den Zug, also dachten sie sich, dass sie dieses Mal den Zug nehmen könnten. „Die Reise war großartig. Mein Mann brauchte nicht die ganze Zeit am Steuer sitzen, wir konnten uns während der Fahrt mit den Kindern beschäftigen, wir spielten Spiele, mein Mann und ich tranken jeder einen Cognac. Wir hatten wirklich nicht damit gerechnet, dass wir über eine echte Grenze fahren würden. Wir hatten überhaupt nicht daran gedacht, dass unser Sohn ein paar Tage vorher 16 geworden war und deshalb einen Reisepass brauchte. Die russischen Grenzbeamten sagten uns, sie würden ihn auf die Krim reisen lassen, aber damit er von der Krim zurück in die Ukraine käme, müssten wir die Rückführung über die ukrainische Botschaft organisieren.“

Die Familie zog es vor, aus dem Zug auszusteigen. Sie waren nicht die Einzigen. Auf dem abgesperrten Bahnhofsvorplatz warteten bereits einige Menschen. Es war Nacht, und mit jedem weiteren Zug kamen weitere Passagiere, die nicht weiterreisen durften hinter das Absperrband. Darunter auch mehrere Familien mit Kindern, die gerade 16 geworden waren und deren Eltern keine Pässe für sie dabei hatten. Es gab aber auch Menschen, die aus anderen Gründen nicht auf die Krim durften. Zum Beispiel diejenigen, die von der Verbüßung einer Haftstrafe nach Hause zurückkehrten. „Sie hatten nur ein Entlassungspapier. Einen Reisepass hatten sie natürlich nicht. Ihr ständiger Wohnsitz war zwar auf der Krim, aber die Russen ließen sie ohne Pass nicht einreisen.“
 
Krankenhausflur

Krankenhausflur | Foto: © Jana Čavojská

 

Ohne Versicherung

Die Ärzt*innen, das Pflegepersonal und die anderen Mitarbeiter*innen des Krankenhauses in Slowjansk tun alles, um ihren Patientinnen zu helfen. Die Behandlung ist gut, obwohl die Geräte älter sind und die Ärzt*innen weniger Ausrüstung haben als in der Slowakei. Es interessiert niemanden, dass ich in der Ukraine nicht krankenversichert bin und meine Reisekrankenversicherung hier nicht gilt. Alle winken bloß ab. Ich wurde lediglich darauf hingewiesen, dass sie mich nicht offiziell im Computer eintragen können.

Der Entlassungsbericht wird von der Ärztin handschriftlich verfasst. Für meinen Arzt schreibt sie auf eine Seite aus einem Notizbuch noch eine Liste von Blutwerten, die noch ermittelt werden sollten. Wenn ich länger bei ihnen geblieben wäre, hätten sie die Tests auch hier durchgeführt. „Danke, dass Sie zu uns gekommen sind und über die Geschehnisse in der Ukraine berichten“, sagt sie, als ich gehe, und schüttelt mir die Hand.
 

Perspectives_Logo Die Veröffentlichung dieses Artikels ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES

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