Wie macht man Kunst in einem fremden Land, das im Krieg ist? Das fragt sich der deutsch-amerikanische Maler Paul Anton Maciejowski seit er 2016 zum ersten Mal die Ukraine besuchte. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges sieht er sein Selbstverständnis als Künstler mehr denn je herausgefordert. Dennoch stellt er sich den Realitäten des Krieges vor Ort und ermuntert auch andere Künstler*innen aus Deutschland dazu.
Paul Anton Maciejowski (*1980) ist ein deutsch-amerikanischer Maler mit polnischen Wurzeln. 2012 schloss er sein Studium als Meisterschüler an der Kunstakademie Düsseldorf bei Jörg Immendorff und Peter Doig ab. Seit 2016 besucht er regelmäßig die Ukraine und nahm 2018 am Programm Remote Conflict, Imminent Culture des Goethe-Instituts Kyjiw teil.
Von März bis Dezember 2023 schuf er vor Ort in der Ukraine hunderte Aquarelle und Kaltnadelradierungen, die den Krieg zum Thema haben. Im Dezember 2023 verbrachte er drei Wochen in Dörfern nördlich von Charkiw, unmittelbar an der ukrainisch-russischen Grenze, um die Möglichkeiten der Malerei im künstlerisch-journalistischen Kontext auszutesten – immer im Spannungsfeld zwischen der Sinnlosigkeit der Rolle als Außenstehender in einem Land im Krieg und den besonderen Chancen, die sich durch seine Position „zwischen den Gesellschaften“ ergeben.
Der Krieg in der jetzigen Form, das haut einen erstmal um. Ich habe sofort angefangen zu malen. Einen Monat lang bin ich fast nur durch die Stadt gelaufen, habe draußen Denkmäler gemalt und überlegt, „Was ist hier eigentlich los?“. Um das überhaupt zu begreifen. Dann fing ich an, Menschen zu porträtieren, weil so viele interessante Leute hier waren. Besonders die freiwilligen Kämpfer aus dem Ausland haben mich fasziniert.
Wenn du in ein Hostel kommst und da steht ein nackter Texaner mit riesigem Bauch und einer selbstgeschmiedeten Eisenweste, der sich den Schnurrbart rasiert, dich böse anschaut, und neben ihm liegen zwei Handgranaten – dann ist man schon verwirrt.
Was genau fasziniert dich an ihnen?
Dass sie – ähnlich wie Künstler – oft außerhalb der Gesellschaft stehen. Ein Künstler funktioniert nicht in der Gesellschaft, in der er lebt und sucht ein eigenes Leben. Und diese Soldaten haben ein bisschen was von Künstlern. Die Realität, in der sie leben, ist aus „normaler“ Sicht surreal. Oft sind sie verloren in der Welt. Es gibt tausend Gründe, warum sie hier sind.
Plein air zu malen ist eigentlich sehr journalistisch.“
Ja, der Junge ist aus Island. Es gibt hier unendlich viele interessante Geschichten. Dieser Junge kam, um seinen Vater besser kennenzulernen, der für Asow gekämpft hat, aber inzwischen schon wieder zurück in Island war. Der Vater ist wahrscheinlich ein harter Brocken, redet nicht und der Sohn, 21, wollte eine Brücke zu seinem Vater schlagen und verstehen, warum der die Ukraine so liebt. Der Vater schrieb ihm dann während eines Raketenangriffs, „Was machst du da, komm sofort zurück nach Hause!“. Und dieser Vater meinte, er genieße die Freiheit als Soldat – er fühlt sich frei, wenn er kämpft.
Das hört sich fast so an, als ob du nur Leute getroffen hättest, die zum Kämpfen hierhergekommen sind…
Es gibt natürlich auch viele Freiwillige, NGO-Mitarbeiter und Leute, die helfen wollen. Aber für mich waren die ausländischen Soldaten oft die interessantesten. Und in den letzten Wochen kommen diese Sexidioten wieder ein bisschen zurück. „I want Ukrainian wife“. Das ist schon erstaunlich. Ihre Theorie ist vielleicht, dass es jetzt mehr Frauen hier gibt, da viele Männer weg oder tot sind. Also, ich weiß nicht, ob die Ukrainer da vielleicht ein bisschen Prügel verteilen sollten, oder? (lacht)
In den letzten zwei Jahren hast du hunderte Menschen mit Aquarellen porträtiert. War diese Arbeitsweise neu für dich?
Das war das erste Mal. Plein air zu malen ist eigentlich sehr journalistisch, nur eben mit Malerei. Natürlich nicht so präzise, weil Kunst eine offenere Form hat und langsamer arbeitet als Journalismus. Es gibt noch einen anderen bekannten Maler in der Ukraine, Serhij Majdukow, der mit dem iPad an der Front malt. Ich wollte mich aber vom eigentlichen Kampfgeschehen fernhalten und das normale Leben der Menschen zeigen – was sie denken und erleben.
Was passiert zwischen dir und deinem Gegenüber, während du ihn oder sie malst?
Währenddessen interviewe ich den Menschen, und oft bilden sich kleine Gruppen drumherum. Als Maler hat man dann fast die Funktion eines Straßenmusikers – Leute kommen zusammen, Gespräche entstehen, und man kann die Themen steuern. Auch wenn die Aquarelle klein sind, halten sie doch einen lebendigen Moment fest.
Ich saß bei minus zehn Grad im Schnee und malte mit gefrorenen Farben eine von Artillerie getroffene Birke. Da konnte ich einfach nicht mehr. Ich habe gemerkt, dass ich nicht die Nerven habe, um das alles auszuhalten. Die Luft, die Geräusche, alles fühlt sich gefährlich an.“
Das ist eine ganz andere Welt, und ich würde es nicht jedem raten, dorthin zu fahren. Aber ich war nicht allein, sondern mit einer NGO unterwegs. Zum Glück ist niemand gestorben, aber ich wurde einmal von einer Meute Hunde angegriffen und landete im Krankenhaus. Ein anderes Krankenhaus, vor dem ich malte, wurde am nächsten Tag von einer Rakete zerstört. Zwei Wochen später saß ich bei minus zehn Grad im Schnee und malte mit gefrorenen Farben eine von Artillerie getroffene Birke. Da konnte ich einfach nicht mehr. Ich habe gemerkt, dass ich nicht die Nerven habe, um das alles auszuhalten. Die Luft, die Geräusche, alles fühlt sich gefährlich an. Die zerstörten Häuser, in denen Leute leben, zur Hälfte eingestürzt, verschimmelt. Und da habe ich sie dann gemalt.
Wie hast du die Menschen dort erlebt?
Unglaublich stark und freundlich. Sie haben eine beeindruckende Ruhe. Viele der Jungen sind weggezogen, aber die Älteren bleiben. Sie züchten Pflanzen und Blumen, sie lieben einfach ihr Zuhause. Ich bewundere sehr, wie sie überleben. Und wie positiv das alles ist. Das ist überhaupt nicht düster. Natürlich kann ich nicht in sie hineinsehen, aber die haben richtig gute Laune. Dabei ist um sie herum alles vermint, man kann nirgendwo hin, und die Russen lernen auf der anderen Seite der Grenze Panzer fahren und schießen zum Üben ab und zu einfach auf die Dörfer.
Wie haben die Dorfbewohner auf dich reagiert?
Meistens positiv, weil Malerei eigentlich immer etwas Menschliches ist, und Maler werden oft gemocht. Dabei war ich natürlich komplett nutzlos, weil niemand einen Künstler braucht, der fragt, „Wieso kämpft ihr eigentlich?“. Die stärkste und kämpferischste Familie im Dorf nannte mich „Plankton“. Also passiv, schwach und nutzlos. Und dachten erst, ich sei ein Spion. Aber grundsätzlich waren die Reaktionen gut.
Neben den Aquarell-Portraits machst du auch Kaltnadelradierung. Warum hast du diese beiden Formen gewählt?
Ich kann aufgrund einer Behinderung nicht mit Öl malen, was eigentlich mein Wesen wäre. Also musste ich etwas anderes finden, und Kaltnadel hat eine Tradition, die auf Künstler wie Goya und Käthe Kollwitz zurückgeht. Zeichnungen über Krieg waren oft Kaltnadel. Das ist halt Kratzen in Metall. Es ist schwarz-weiß. Und es passt sehr gut zum Kriegsthema. Und das mache ich seit ein paar Jahren.
Vor der Invasion gab es null Interesse an meinen Drucken, die ich ja schon länger mache. Alle haben nur gesagt: ‚Was soll der Scheiß, warum machst du Kunst über Krieg?‘ Seit 2022 hat sich das geändert.“
Die Radierungen basieren auf Geschichten von Freunden, die kämpfen, oder Videos auf YouTube und Telegram. Sie sollen ein Archiv der Hauptereignisse des Krieges schaffen. Meine Ambition ist, eine neue Mythologie auf Basis der Kriegsrealität zu erschaffen. Krieg ist ja auch eine Extremform von normaler Menschlichkeit. Diese Bilder sind momentan oft politisch sehr unkorrekt, mit schwarzem Humor. Viele Soldaten, die ich kenne, kommunizieren nur mit Galgenhumor, weil einfach alles drumherum so ein Horror ist. Wenn ein Soldat das heute macht, ist das okay, aber wenn ich das als Künstler aus Deutschland mache, ist es nicht okay. Deshalb würde ich sie aktuell nicht in der Ukraine zeigen, aber in zehn Jahren könnte das anders sein.
Wie reagieren denn deine ukrainischen Freund*innen und Kolleg*innen auf deine Kunst?
Viele mögen die Radierungen, weil das halt „richtig Kunst“ ist, besonders auf dem hochwertigen, aus Tokio importierten Papier. Die Qualität ist sehr gut. Die Aquarelle hingegen sind für viele keine Kunst, sondern Journalismus, aber Journalisten würden sagen, das ist kein Journalismus, das ist schlechte Kunst. (lacht) Für mich ist das aber extrem spannend und ich mag es sehr.
Gibt es denn Momente, in denen du an der Wirkung deiner Arbeit zweifelst?
Ja, momentan sehr. Ich habe meine Arbeiten gerade an ein paar bekannte ukrainische Künstler geschickt. Aber ich glaube, das ist jetzt nicht die Zeit dafür. Weil jetzt erzählen die Ukrainer die Geschichte, das ist nicht meine Rolle. Ich bin eine Randfigur und mache das einfach still weiter. Ich habe diese Drucke angefangen, um bei Deutschen Emotionalität für Krieg, also für diesen Krieg, aber generell für Krieg zu erzeugen. Um Bilder zu machen, die wirklich emotional etwas auslösen. Was sie bei Ukrainern auslösen, ist eine andere Frage.
Wie reagieren denn die Leute in Deutschland auf deine Kunst?
Vor der Invasion gab es null Interesse an meinen Drucken, die ich ja schon länger mache. Alle haben nur gesagt: „Was soll der Scheiß, warum machst du Kunst über Krieg?“ Seit 2022 hat sich das geändert, plötzlich ist es „in“ und alle sind interessiert. Aber ich schäme mich nicht, weil ich das schon bedeutend länger mache, und früher viel Demütigung ertragen musste (lacht).
Ich denke, als Künstler sollte man sich der Realität stellen, auch wenn es schwierig und unangenehm ist und man dafür angegriffen werden kann. Nicht jeder muss das, und es gibt tausende Realitäten. Aber diese Realität – der Krieg – existiert, und auch Leute, die nicht aus der Ukraine sind, sollten sich ihr stellen.
Du bist einer der wenigen deutsche Künstler, der seit Beginn des Angriffskrieges wirklich langfristig hier in der Ukraine arbeitet. Warum ist das so?
Als ich 2018 ein Stipendium vom Goethe-Institut bekam, wusste ich nichts über die Ukraine und habe dann verwundert nachgefragt: „Ey, ich habe doch keine Ahnung, es gibt doch bestimmt andere, die sich besser auskennen. Wieso habe ich das eigentlich bekommen?“ Die Antwort war, dass es nur acht oder zehn Bewerber in ganz Deutschland gab. (lacht) Und dann denke ich mir heute, das ist aber krass, weil seit der Großinvasion gibt es bestimmt acht Millionen Leute in Deutschland, die glauben, genau über alles Bescheid zu wissen bei diesem Krieg. Alle haben eine Meinung, und die Ukraine-Flagge hängt in allen Institutionen. Und dann frage ich mich: Warum sind die Leute nicht hier? Wieso sind so wenige tatsächlich vor Ort?
Was ist deine Antwort?
Ich weiß es nicht genau. Ein Freund von mir sagte, er habe Angst, hier als Künstler etwas falsch zu machen oder kaputt zu machen. Er ist unsicher, ob das gut wäre. Ich denke, generell wagen sich viele nicht in die Welt. Es ist eigentlich nicht schwer, hierher zu kommen.
Du hast hier eine Residenz auf die Beine gestellt, ein Austauschprogramm für deutsche Künstler. Worum geht es dir damit?
Das ging im März 2023 los. Ich habe gemerkt, dass es viele ukrainische Kulturfördergelder gibt. Also habe ich mich darauf beworben und beschlossen, die Hälfte davon für eine Residenz zu nutzen. Das Konzept ist einfach: Deutsche Künstler hierherbringen, damit sie mit Ukrainern vor Ort arbeiten. Viele ukrainische Künstler haben das Land verlassen und machen Ausstellungen im Westen. Ich wollte den umgekehrten Weg fördern – Künstler hierherbringen, damit sie hier arbeiten, und sehen, was wirklich los ist. Und das habe ich dann auch Ich komme und sehe genannt.
Paul Anton Maciejowski organisierte 2023 mit der Künstlergruppe Nahirna22 eine Residenz am Instytut Avtomatyki in Kyjiw, um trotz des Angriffskrieges deutsche Künstler*innen einzuladen und mit ukrainischen Kolleg*innen vor Ort zusammenzuarbeiten.
Aktuell kuratiert Maciejowski das Projekt Spiegel Hand, das Kooperationen zwischen deutschen und ukrainischen Künstler*innen fördert, mit besonderem Fokus darauf, wie sich aus der Ukraine heraus die Sicht auf westliche Gesellschaften verändert.
Wir werden diese ukrainische-deutsche Kooperation in einem weiteren Artikel auf JÁDU noch ausführlicher vorstellen.
Im Gegensatz zu dieser Willkür in Deutschland geht es hier halt um etwas.“
Sollten sich mehr deutsche Künstler*innen aktiver einbringen und sich stärker mit der Situation der Ukraine befassen?
Austausch ist wichtig und ich glaube, andere Kulturen zu sehen hilft gegen Rassismus und auch gegen diesen Rechtsruck, der ja mitunter auch deshalb entsteht, weil die Realität ausgeblendet wird. Ich glaube, es ist gut, in die Welt zu gehen. Nicht jeder muss das tun, aber es ist gut, auch für Künstler.
Siehst du denn in Deutschland unter Künstlern einen Reflex, das nicht zu tun?
Ich weiß es nicht. Ist es Faulheit? Vielleicht Angst? Hier sind die Leute erwachsen, in Deutschland ist das System oft verblödet. Vor den Ukrainern schäme ich mich manchmal. Sie beschäftigen sich mit realen, existenziellen Dingen.
Wie hat sich in den letzten zwei Jahren dein Verständnis von deinem Leben, vom Krieg und deiner Rolle als Künstler verändert?
Ich schäme mich quasi für alles, was ich tue. Im Studium habe ich mit Mythologien und Landschaften sehr viel Geld verdient. Das war künstlerisch auch ganz gut. Aber jetzt kann ich halt angegriffen werden für meine Kunst. Früher ging das nicht. Hier fühle ich mich manchmal wie ein Nichts, vielleicht ist alles, was ich mache, Schrott. Ich weiß es nicht sicher. Dieses Gefühl kannte ich vorher nicht. Im Gegensatz zu dieser Willkür in Deutschland geht es hier halt um etwas.
September 2024