Jazz und Popmusik in der Slowakei #1  Blumen hinter dem Eisernen Vorhang

Die Band Collegium Musicum 1971 im V-Club in Bratislava. Schlagzeuger Dušan Hájek, Bassgitarre Fedor Frešo, im Hintergrund an der Hammond-Orgel Marián Varga.
Die Band Collegium Musicum 1971 im V-Club in Bratislava. Schlagzeuger Dušan Hájek, Bassgitarre Fedor Frešo, im Hintergrund an der Hammond-Orgel Marián Varga. Foto: © Peter Stanley Procházka

Jazz, Rock und Popmusik stellten in den sozialistischen Ländern spätestens seit den 1960er Jahren häufig Inseln der „positiven Abweichung“ dar. In unserer zweiteiligen Miniserie reflektiert der Musikjournalist Marian Jaslovský, wie sich die slowakische Populärmusik im tschechoslowakischen Kontext entwickelt hat.

Wenn wir über Jazz und Popmusik sprechen, meinen wir Genres, die sich bereits in den modernen Staaten des 20. Jahrhunderts herausbildeten. Es ist klar, dass die Musik eines jeden Landes ihre eigenen Besonderheiten hat, die von der Geschichte der Region, den kulturellen Überschneidungen und – im Falle der postkommunistischen Länder, das heißt der sowjetischen Satellitenstaaten – auch von den Besonderheiten der Kulturpolitik bestimmt wurden. Die Kultur war in allen sozialistischen Ländern die Dienerin der Politik, aber trotzdem gab es einige Unterschiede. So konnten ganz verschiedene Phänomene entstehen, die wir auch Jahrzehnte später noch als qualitativ hochwertig ansehen: Der polnische Jazz und Progressive Rock, der slowakische Pop, der ungarische (Hard-)Rock und die tschechische Fusion entstanden, obwohl die kulturelle Regulierung allgegenwärtig und auf allen Ebenen vorhanden war.

Die Tschechoslowakei (Tschechien plus Slowakei) existierte von 1918 bis 1938 und dann nochmals von 1945 bis 1992. Trotz aller kulturellen Wechselwirkungen (wir waren schließlich ein Staat), können tatsächlich erhebliche Unterschiede, aber auch gemeinsame Impulse festgestellt werden.

Historischer Exkurs

Wenn wir die Identität der slowakischen Musik erkunden wollen, kommen wir natürlich nicht umhin, einen tieferen Blick in die Geschichte zu werfen, denn es ist wichtig, in welchem Ökosystem sich die Entwicklung vollzogen hat. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, war der slowakische Pop sehr kosmopolitisch und auch der slowakische Tango ist im globalen Kontext eine Ausnahmeerscheinung. In Bratislava und Košice entstanden in den 1920er Jahren bereits Cafés im westlichen Stil, und Shimmy, Two-Step, Tango, Charleston und Samba waren populäre Tänze. Andererseits erfreuten sich „Zigeunerkapellen“ und Operetten (eigentlich eher historische Musicals) großer Beliebtheit. Jazz, Swing, Country & Western und andere populäre Genres verbreiteten sich schon Ende der 1930er Jahre in den ausländischen Medien, doch in Böhmen und Mähren wurde diese populäre Musik unter dem Druck der NS-Propaganda verboten. Das Protektoratsregime nahm somit also Einfluss auf die normale Entwicklung der Musik. Einige Jazzkünstler wurden sogar in Konzentrationslager gebracht, da es sich nach Ansicht der Nazis um Musik „unreiner Rassen“ (Juden und Schwarze) handelte. Wo sie diese Juden unter den Jazzmusikern gefunden haben wollen, ist schwer zu sagen. In dem anderen Teilstaat, der Slowakei, blieb die kontinuierliche Entwicklung mehr oder weniger ungestört und bereits Ende der 1940er Jahre entstanden die ersten Jazzgruppen.

Big Beat-Welle

In der Tschechoslowakei war der Begriff Rock (vor allem in den Anfängen) nicht sehr oft zu hören, da man hier im Allgemeinen den Begriff Big Beat verwendete, was ein wenig rätselhaft ist. Der Begriff Big Beat bezeichnet nämlich im Rest der Welt ein Genre der elektronischen Musik. Die Invasion des Rock, oder eben des Big Beat, wenn man so will, war in den 1660er Jahren sehr stark. Allein in Bratislava gab es zu dieser Zeit mindestens 50 Bands, und da sind die kommerziellen (Unterhaltungs‑)Ensembles noch gar nicht mitgerechnet.

Bratislava ist eine sehr spezielle Hauptstadt, im Dreiländereck Slowakei-Ungarn-Österreich gelegen, und gerade diese Nähe zu Österreich sollten wir im Hinterkopf behalten. Denn dadurch konnte man in Bratislava auch später noch österreichische Radio- und Fernsehsender empfangen, auch wenn es nicht immer eine „westliche Norm“, das heißt Frequenz, auf den Empfangsgeräten gab, konnte man diese Sender irgendwo finden. Die besagten Bands hatten meist eine klassische Zusammensetzung, wie sie auch im Swing und im zeitgenössischen Pop vorherrschend war: Eine Begleitband mit Sängerinnen und Sängern, von denen es auch mehrere geben konnte. Sie spielten natürlich gecoverte Sachen. Und es war ausgerechnet die slowakische Band Slovak Beatmen mit Dežo Ursiny, die auch in Prag rockte. „Als wir uns allmählich von den Solosängern verabschiedeten und anfingen, etwas andere Musik zu machen, kamen die Beatmen aus Bratislava und zeigten uns, wie das geht“, sagt Petr Janda, der Leader der bis dahin konkurrenzlosen tschechischen Gruppe Olympic. „Damals hat uns das sehr aufgeregt. Ich habe gesehen, dass sie viel weiter waren als wir, auch wenn ich das damals nie zugegeben hätte. Als dann Jiří Černý einen Artikel mit der Überschrift Besser als Olympic? über sie schrieb, war das für uns eine Art erster Schlag. Und so sagten wir uns, dass wir direkt unsere eigenen Songs machen würden.“
 

Normalisierung

Die Normalisierung begann ein Jahr nach der russischen Okkupation im Jahr 1968. In der Slowakei lief in der Zeit alles etwas anders, als im tschechischen Landesteil, denn während in Tschechischien das Kulturministerium und staatliche Agenturen wie Pragokoncert von linientreuen und einfach gestrickten „Kulturträgern“ geleitet wurden, waren die Bestrafung progressiver Strömungen in der Slowakei nicht so drakonisch, und wenn ein Künstler ein Berufsverbot erhielt, so war dies meist nicht so streng. Zum Beispiel konnte der Musiker dann vielleicht eine Zeit lang nicht im Fernsehen auftreten, aber er gab Konzerte und nahm ein Album auf und so weiter. Ich will diese Zeit keineswegs verharmlosen, aber in den 1970er Jahre gab es eben in der Slowakei mehr Vielfalt als bei unseren strenger überwachten tschechischen Brüdern.

Eine positive Rolle spielte dabei der Kulturminister Miroslav Válek, selbst ein bekannter Dichter und auch eine umstrittene Persönlichkeit, zweifellos ein glühender Kommunist, der aber auch die Kunst verstand und die Künstler und der einige von ihnen auch persönlich unterstützte (zum Beispiel Marian Varga). Ohne jede Idealisierung kann man sagen, dass Válek war eine wichtige Figur für die Normalisierung der Kulturpolitik gewesen ist. Das soll nicht heißen, dass die slowakischen Musiker während der Normalisierung frei atmen konnten, aber diese Zeit der Einschränkungen war in Tschechien viel schwerer zu ertragen, da die Kulturpolitik dort von einem primitiven Apparatschik, dem in Moskau ausgebildeten Miroslav Müller, gelenkt wurde.

Das Ökosystem passt sich an

Ein wichtiges Phänomen der tschechischen Musik sind Underground-Bands. Solch offen gegen die Normalisierung gerichtete und systemfeindliche Bands wie zum Beispiel die Plastic People of the Universe oder DG307 gab es in der Slowakei nicht, aber dazu muss gesagt werden, dass es in der Slowakei generell sehr wenig Dissidenten gab. Auch gab es in der Slowakei nie einen Prozess gegen die Mitglieder einer Musikgruppe, während die Mitglieder der Plastic People 1976 in einem fingierten politischen Prozess verurteilt wurden.

Als 1971 das rein slowakische Musiklabel Opus gegründet wurde, war seine „Pilot“-Veröffentlichung das legendäre Doppelalbum Konvergencie der Gruppe Collegium Musicum, von dem 140.000 Exemplare verkauft wurden. Der Progressive Rock (oder auch Art Rock) entwickelte sich in einer Nische, wo er von den Normalisierungsbeauftragten nicht bemerkt wurde. Denn für die kommunistischen Kader waren eher die Texte wichtig und die waren im Progrock eher abstrakt, nicht narrativ, und störten daher die Kulturbeauftragten nicht.

In Tschechien gab es einige bemerkenswerte Bands dieser Musikrichtung (Modrý Efekt / Blue Effect, Bohemia, Progress Organisation, Projekte von Jan Spálený et cetera). Ein benachbartes Genre, in das die Zensoren ihre Nase nicht hineinsteckten, weil sie eigentlich keinen Grund dazu hatten, war Fusion oder Jazz-Fusion, was bei uns wiederum den eigentümlichen Namen Jazzrock erhielt. In den Westen schwappte diese Welle mit dem Mahavishnu Orchestra, einer der bedeutendsten Jazzrock- oder Fusion-Bands, während in Tschechien diese Musik ebenfalls sehr weit verbreitet war (man denke nur an Jazz Q, Energit, Impuls, Jana Koubková und so weiter). Die Ausdrucksmittel dieses Musikstils gingen auch in die Folkmusik ein (Vladimír Mišík, Marsyas und weitere). In der Slowakei scheint Fusion nur einen bedeutenden Vertreter gehabt zu haben, nämlich die Gruppe Fermáta, wenn man das erste Album von Dežo Ursinys Band Provisorium, die Gruppe GATTCH sowie einige Gelegenheitsbands nicht mitzählt.

In der Slowakei haben sich der Jazz und das Jazz-Festival Bratislavské jazzové dni (Bratislaver Jazztage), dessen erste Ausgabe 1975 stattfand, fest etabliert. Wenige Jahre nach den amateurhaften Anfängen kamen dann auch die großen amerikanischen Stars aus dem Bereich Jazz-Fusion (Stanley Clarke, Michael Brecker), und das liebevoll von den Einheimischen auch „Džezáky“ genannte Festival wurde zu einer Oase der Freiheit und der Jazz war und ist in der Slowakei sehr beliebt. 2025 Jahr wird die 50. Ausgabe stattfinden.

Im zweiten Teil dieser Miniserie geht es um die 80er Jahre und den Rock, der den Apparatschiks ein Dorn im Auge war.

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