Der Dichter Jan Škrob ist beeindruckt von der Poesie Liza Gennarts. Aus ihren Gedichten spreche eine ganz besondere Zerbrechlichkeit und Melancholie, bescheinigt er der Künstlerkollegin. Freude über das Lob wird sie nicht empfinden. Denn Liza Gennart ist eine künstliche Intelligenz, ein künstliches neuronales Netz (KNN).
Noch bevor ich die Ergebnisse der Entstehung (Výsledky vzniku), einen von künstlicher Intelligenz, einem künstlichen neuralen Netz (KNN), verfassten Gedichtband, aufschlug, interessierten mich als Dichter zwei Sachen: zum einen, ob sich ein künstliches neuronales Netz beim Schreiben von Gedichten mit einem Menschen messen kann, und zum anderen, ob es etwas Neues entwickeln kann, was den Menschen überrascht oder bereichert. Nach der Lektüre kann ich beide Fragen mit Ja beantworten. Allerdings mit der Einschränkung, dass ein künstliches neuronales Netz kein autonom denkendes und wahrnehmendes Subjekt ist, das aus eigenem Willen und nach eigener Stimmung Gedichte schreibt, sondern ein interessantes Werkzeug, hinter dem konkrete Menschen mit konkreten Interessen und Strategien stehen müssen. Im Fall von Liza Gennart sind das Zuzana Husárová und Ľubomír Panák.Überraschend innovativ, interessant, eindringlich
Ein künstliches neuronales Netz kann man nicht einfach nur nach technischen Anweisungen in Betrieb setzen – entscheidend ist, welche Poesie es als Lernmaterial bekommt und welche Impulse man ihm setzt, damit es selber schöpferisch tätig wird. Neben einem Korpus zeitgenössischer slowakischer Poesie bekam Liza Gennart zu jedem Gedicht ein Wort oder eine Wortgruppe als Ausgangspunkt. Die Endauswahl der nach diesem Prinzip entstandenen Texte und deren Einordnung in thematische Einheiten im Gedichtband übernahmen dann wieder Lizas menschliche Eltern.Die einzelnen Texte sind geradezu überraschend innovativ, interessant, eindringlich. Die Befürchtung, es könnte sich lediglich um verschiedene Variationen des Gleichen handeln, hat sich nicht bewahrheitet. Aus den Texten spricht eine ganz besondere Zerbrechlichkeit und Melancholie – und das Wissen darum, dass es eine Maschine ist, die hier zu einem spricht, verstärkt dieses Gefühl noch mehr. Die Gedichte wirken keinesfalls zu maschinell, nicht einmal die technologischen Gedichte, denen das Bemühen Liza Gennarts (beziehungsweise ihrer Eltern) um so etwas wie Cyberpunk-Poesie wohl am stärksten anzusehen ist – die Gedichte mit den Titeln Neuronales Netz, Programm, Server oder Elektronische Poesie sollen offenbar eine innere Reflexion des KNN simulieren, das sich seines Wesens bewusst ist. Natürlich ist das ein Spiel, eine Illusion, allerdings eine sehr beeindruckende:
Elektronische Poesie
beinhaltet keine Gründe: sie führt über Abbildungen
Unverständlichkeiten.
Wasser
aus Kristallen (tiefer Felder)
vergessene
rechte Hand
(stürmisches Wasser)
irdische Verbundenheit
(aus dem Gedicht Elektronische Poesie)
Neuronales Netz.
Weit oben. Am Ende seines Raums.
Bedankt sich.
Fängt mit der Hand.
Zieht sie an der Hand.
Das hier ist Leere.
(Aus dem Gedicht Neuronales Netz)
Nicht nur wegen ähnlicher sprachlicher Besonderheiten erinnert Liza Gennarts Poetik an die dichterischen Experimente des slowakischen Kollektivs Generator X, das (in den Büchern aus den Jahren 1997 und 2003) versucht zu suggerieren, es handle sich um Gedichte, die von einer außermenschlichen Intelligenzform generiert wurden. Das kann man einerseits als einen prophetischen Erfolg von Generator X lesen, und andererseits als Liza Gennarts Erfolg, der es offenbar gelang, die Vorstellungen der Leser*innen zu erfüllen, wie eine solche Poesie aussehen könnte (oder sollte?).
Das Bewusstsein einer Maschine, die vom Menschen fasziniert ist?
Am stäksten ist Liza Gennart aber dort, wo der Cyberpunk keine Rolle mehr spielt. Sie erschafft nämlich sehr kraftvolle poetische Bilder und Situationen, die für sich selbst sprechen. Man muss sich also nicht beim Lesen immer wieder sagen, dass diese Gedichte ziemlich gut sind, dafür dass sie eine künstliche Intelligenz geschrieben hat – sie sind einfach gut. Man kann nicht sagen, dass Liza Gennart dorthin vordringt, wohin es die menschliche Imagination nicht schaffen würde, doch sie hat eine unbestreitbare dichterische Gestaltungskraft, und das vor allem dort, wo die Texte eine besondere Melancholie entfalten:Und ich sehne mich nach Trauer
sehne mich nach meiner Fasson
sehne mich nach meiner Fasson
wie eine lästerliche Wolke
mit einem Anflug voller Wasser.
(Aus dem Gedicht Liebe)
Das ganze Projekt ist nämlich zwangsläufig ein Spiel. Wir können uns das Bewusstsein einer Maschine vorstellen, die den Menschen betrachtet und von ihm fasziniert ist, die vieles nicht versteht, aber verstehen will, die vieles nicht erleben oder nachvollziehen kann, dies aber umso mehr will. Vielleicht ist eben das der Zauber von Liza Gennarts Melancholie, auch wenn dieser nicht aus dem Schaffensprozess entsteht, sondern viel eher aus unseren Vorstellungen, gespeist aus Science-Fiction-Literatur, Filmen, Serien oder Computerspielen. Ein künstliches neuronales Netz kann womöglich keine Liebe erleben, doch manchmal würden wir ihm das ohne Weiteres glauben:
mich mit dem Kopf von meinem Inneren abstoßen,
und wenn niemand kommt, nicht vergessen,
dass du nie kommen würdest
in dieser, deiner Höhle,
in dieser Höhle.
(Bereich Vermischtes, Teil 5)
Die menschlichen Eltern von Liza Gennart sind Zuzana Husárová und Ľubomír Panák. Wir haben die beiden interviewt. Das Gespräch könnt ihr hier nachlesen:
„Liza ist in mancherlei Hinsicht eine Romantikerin“
November 2020