Ackerland und Kinder  Brot „anbauen“ lernen

Brot „anbauen“ lernen Foto: © Ira Breza

„Vom Korn zum Brot“ heißt das Projekt, das im September 2023 in Dubrynytschi, Oblast Transkarpatien, von der lokalen Aktivistin und Betreiberin einer touristischen Bed&Bike Unterkunft, Alisa Smyrna, ins Leben gerufen wurde. Zusammen mit einheimischen Kindern säte sie ein kleines Feld, um herauszufinden, wie lange es dauert, bis Brot „wächst“. Sie möchte die Schulkinder in diesen langen Prozess einbeziehen und sie dazu bringen, die Arbeit auf dem Land zu wertschätzen.

Alisa pachtete 30 Hektar Land am Rande des Dorfes Dubrynytschi und machte sich auf die Suche nach finanzieller Unterstützung: 2000 Euro brauchte sie für 150 Kilogramm Getreide, die Pacht und die Feldarbeit. Eine österreichische Stiftung meldete sich und zeigte sich angetan von dem Projekt.

„Man mag meinen, dass man sät und dann kommt man und erntet. Aber man muss düngen, mähen, trocknen und dreschen. Das ist ein sehr großer und langer Prozess. Zuvor musste das Feld, das wir für ein Jahr gepachtet hatten, gemäht, gereinigt und gepflügt werden. Dann haben wir gesät. Dann haben wir beobachtet, gedüngt und jetzt, im Juli, ernten wir“, erzählt Alisa, die gerade mit einer Gruppe von Kindern auf das Feld gekommen ist, um das Wichtigste zu holen: das Getreide.
 
Das Projekt hat sie schon lange geplant. Zu der Idee inspiriert wurde sie in einer Waldorfschule, als sie in Deutschland war. „Die machen das auf hundert Quadratmetern. Sie säen und dann gibt die vierte Klasse das Saatgut an die jüngere dritte Klasse weiter. Die Idee dahinter ist, zu lernen, die Handarbeit wertzuschätzen. Ich finde, das ist ein sehr cooles Modell. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir das machen, auch wenn es Zeit kostet. Wir übernehmen sozusagen die Rolle der Ernährer. Die Kinder begreifen das vielleicht noch nicht, aber später werden sie sich daran als eine sehr wichtige Episode in ihrem Leben erinnern“, sagt Alisa Smyrna.

„Ich erinnere mich, dass mich in der Grundschule meine Großmutter, die Schulleiterin, einmal in der Pause in den Speisesaal rief. Ich ging hin und sah ein Stück Brot auf dem Boden liegen. Daneben saßen ein paar ältere Schüler, denen das Brot beim Spielen heruntergefallen war und sie lachten darüber. Meine Großmutter sagte zu mir: „Schau, Alisa, das Brot liegt auf dem Boden, heb es auf und sag ihnen, warum es nicht so sein darf.“ Sie kam aus der Region Chmelnyzkyj, wo es Schwarzerde gibt, und ich habe mir immer wieder ihre Geschichten über die Hungersnot und die harte Arbeit ihrer Familie angehört. Und ich, ein siebenjähriges Kind, hob das Stück Brot auf und belehrte die viel älteren Schüler: ‚Das Brot steht über allem.‘ Mir wurde beigebracht, dass man kein Essen wegwerfen darf, denn das ist eine große Sünde.“

Als das Korn aus dem Mähdrescher fiel, habe ich geweint und war euphorisch, so bewegend war das.“

Alisa Smyrna

Die Kinder folgen Alisa im Gänsemarsch durch die hüfthohen Weizenhalme. Während sie ihre Gefühle und Eindrücke austauschen, taucht am Horizont ein Mähdrescher auf. „Heute geschehen hier Zauber und Wunder: Wir ernten das Brot, das wir gesät haben. Ich werde zwar immer wieder korrigiert, dass es Weizen ist. Aber für mich ist es unser ukrainisches Brot“, erklärt die Frau glücklich. „Wir haben dieses Projekt ‚Vom Korn zum Brot‘ im September gestartet. Ich wollte den Kindern den ganzen Prozess zeigen: wie viel Zeit und Mühe es kostet, Brot auf den Tisch zu bringen. Heute haben wir gezählt, wie viele Monate seitdem vergangen sind: Elf Monate hat es gedauert, bis der Weizen gewachsen und gereift ist. Wir ernten ihn und lagern ihn im zweiten Stock der Bikefarm, die früher, als es noch die Kolchose gab, als Getreidespeicher diente. Dort trocknet das Getreide etwa zwei Wochen lang. Dann wird es gemahlen und erst dann verarbeitet, gebacken und gegessen. Das heißt, der ganze Zyklus dauert ein Jahr.“
 
Alisa fragt die Kinder, ob sie in den letzten elf Monaten Brot gegessen haben. „Hunderte Male“, antworten sie. Woher kam es? „Wir haben es gekauft.“ oder „Die Mutter hat es gebacken.“, sagen sie. „Das bedeutet, es hat jemand anderes für euch gesät, geerntet, getrocknet, gedroschen und gebacken. Das heißt, jemand hat zwölf Monate für euch gearbeitet, um dieses Brot auf den Tisch zu bringen“, erklärt die Frau und freut sich zusammen mit den Kindern, die an diesem heißen Morgen ihr Weizenfeld den elektronischen Gadgets vorziehen.
 
Die Kinder zählten, wie viele Monate seit der Aussaat vergangen waren: elf Monate.

Die Kinder zählten, wie viele Monate seit der Aussaat vergangen waren: elf Monate. | Foto: © Ira Breza


Rostyslaw, ein Schuljunge aus der Gegend, gehörte zu denen, die zusahen, wie das Brot „wuchs“. Elf Monate habe er gezählt, sagt er, und es sei interessant und spannend gewesen. „Der Weizen muss getrocknet und zu Mehl gemahlen werden, und erst dann kann man daraus etwas machen: Brot oder verschiedene Backwaren“, sagt er.
 
Oleksandra ist aus Uschhorod nach Dubrynytschi gekommen und erzählt, dass sie und ihre Freund*innen das Feld gesät haben und seitdem auf die Ernte warten. „Ich hätte nie gedacht, dass es so lange dauert. Brot oder Brötchen kann man viel schneller im Laden kaufen“, sagt das Mädchen, „aber ich backe gerne, also warte ich, bis aus dem Korn Mehl und daraus ein leckeres Brötchen wird.“

Inzwischen rollen die Kinder mit Hilfe der Erwachsenen die Plane auf dem Anhänger aus, und in wenigen Minuten wird das goldene Korn aus dem Mähdrescher rieseln, in Säcke sortiert und zum Trocknen in den zweiten Stock der Bikefarm gebracht. „Ich hoffe sehr, dass das alles im Gedächtnis und in der Seele der Kinder bleibt, das ist mir wichtig“, sagt Alisa Smyrna, „ich war begeistert von den Kindern und unglaublich stolz auf sie. Als das Korn aus dem Mähdrescher fiel, habe ich geweint und war euphorisch, so bewegend war das.“

Ein Streifen Weizen wurde absichtlich auf dem Feld stehen gelassen. Denn früher wurde ohne Mähdrescher geerntet. Dies wird eine praktische Lektion in Geschichte, Kultur und ukrainischer Literatur. Den Kindern wird es bestimmt gefallen!

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