Respektvolle Bildung  Inklusive Schulen: Wenn es Standard ist, an die Bedürfnisse jedes Kindes zu denken

Im ersten Jahrgang besuchen die Alma-Schule in Zvolen Kinder mit verschiedenen sozialen Hintergründen, Kinder mit und solche ohne Behinderungen.
Im ersten Jahrgang besuchen die Alma-Schule in Zvolen Kinder mit verschiedenen sozialen Hintergründen, Kinder mit und solche ohne Behinderungen. Foto: © Súkromná škola Alma

Die Slowakei liegt hinsichtlich der Qualität der Bildung unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Inklusive Bildung kann die Antwort auf viele Mängel im Schulsystem der Slowakei sein, bringt jedoch auch eigene Herausforderungen mit sich, so werden etwa mehr Lehrkräfte benötigt und eine Ausweitung ihrer Kapazitäten. Reporterin Magdaléna Rojo hat sich in Schulen und Kindergärten in der Slowakei Beispiele angeschaut, wie Inklusion in der Praxis funktioniert.

Inklusive Bildung beinhaltet die Schaffung optimaler Bedingungen für alle Kinder, schlicht gesagt – eine Schule für alle.“

Michaela Babejová, Lehrerin des Jahres 2023 in der Slowakei

Sie ist dreizehn Jahre alt, und geht in Zvolen dieses Jahr in die siebte Klasse. (Auf ihren Wunsch hin wird ihr Name hier nicht genannt.) Seit ihrem zweiten Jahr an der Grundschule gibt es für sie einen individuellen Lernplan – für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen. „Sie nimmt anders wahr, die Umgebung lenkt sie stärker ab, sie versteht eine Frage oder den Kontext oft nicht so, wie es gemeint ist und ist sich dessen gar nicht bewusst“, sagt ihre Mutter Kristína. Sie fügt noch hinzu, dass ihre Tochter eine leichte Form der Dysgraphie habe und ihre graphomotorischen Fähigkeiten anders seien. Dies führt beispielsweise zu Problemen bei der Beantwortung offener Fragen oder bei Geometrie und bei stummen Landkarten. Für diese Schülerin wurde als individueller Plan die Reduzierung des Schulbesuchs festgelegt – das Mädchen besuchte in der Grundschule nur vier Stunden täglich den Unterricht. Es hat außerdem Anspruch auf einen Assistenten, auf eine andere Form der Tests und auf eine andere Bewertung. Einige der Maßnahmen, die die Schule gemeinsam mit der Mutter Kristína festgelegt hatte, haben funktioniert, andere nicht, generell kann man aber festhalten, dass das Mädchen die Grundschule geschafft hat.

In der Mittelschule änderte sich das, als sie in eine Klasse mit mehr Schüler*innen kam und – auch aufgrund ihrer eigenen Entscheidung – die gleiche Stundenzahl an Unterricht wie die anderen hatte. „Zu diesem Zeitpunkt mussten wir eine erneute Diagnostizierung durchlaufen, was sie sehr traumatisierte. Seitdem verweigert sie weitere ähnliche Prozesse und eine Änderung ihres Lehrplans ist daher nicht möglich. Wenn wir weitere Ausnahmen beantragen wollten, bräuchten wir eine erneute Begutachtung, neue Anträge und die Genehmigung des Pädagogischen Rates“, sagt Kristína. Die Schule ist für das Mädchen stressig, im letzten Jahr konnte sie immer nur ein paar Tage am Stück zur Schule gehen, dann wurde sie bis zu zwei Wochen lang krank. Am Ende des Jahres drohte sie zu scheitern.

Kinder mit einem Aufmerksamkeitsdefizit, neurodivergente Kinder, Kinder mit physischen gesundheitlichen Beeinträchtigen, Kinder mit psychischen Gesundheitsproblemen, aber ebenso Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen oder Kinder einer anderen Nationalität, können sich im schulischen Umfeld in einer ähnlichen Situation befinden – jedes dieser Kinder braucht eine individuelle Herangehensweise unter idealen Bedingungen in einem inklusiven Kollektiv, zu dem auch Kinder gehören, die auf den ersten Blick keine besonderen Bedürfnisse haben.

Es wird viel darüber geredet, dass wir in der Schule für das wirkliche Leben lernen sollten. Das bedeutet aber, dass es hier auch wirkliche Kinder geben sollte – mit unterschiedlichen Geschichten, Freuden und Sorgen. Denn das ist die wirkliche Welt.“

Juraj Hipš, Gründer der neuen inklusiven Schule Alma in Zvolen

Eine sichere und respektvolle Umgebung kommt allen Kindern zugute

„Inklusive Bildung beinhaltet die Schaffung optimaler Bedingungen für alle Kinder, schlicht gesagt – eine Schule für alle.“ So definiert es Michaela Babejová, ausgezeichnet als Lehrerin des Jahres 2023 in der Slowakei, die an der Grundschule und dem Kindergarten M. R. Štefánik in Budimír bei Košice unterrichtet. Diese Schule ist für ihre Erfahrung mit Inklusion bekannt.

„Eltern wollen oft nicht, dass ihr Kind mit einem Roma-Kind in dieselbe Klasse geht, sie wollen nicht, dass ein Kind Geflüchteter, ein Schüler mit ADHS oder ein Kind mit einer körperlichen Beeinträchtigung dort ist. Nur, weil sie das Gefühl haben, dass ihr Kind dadurch gebremst wird. Doch das ist ein großer Irrtum. Die Entwicklung von Empathie, gegenseitiger Hilfe, Zusammenarbeit oder Respekt sind starke Vorteile, die wir Kindern vermitteln können“, meint Juraj Hipš, Gründer der neuen inklusiven Schule Alma in Zvolen. „Es wird viel darüber geredet, dass wir in der Schule für das wirkliche Leben lernen sollten. Das bedeutet aber, dass es hier auch wirkliche Kinder geben sollte – mit unterschiedlichen Geschichten, Freuden und Sorgen. Denn das ist die wirkliche Welt.“

An der Schule Alma gibt es in den ersten beiden Klassen Kinder mit unterschiedlichem Hintergrund. „Wir haben Kinder, die zu Hause über moderne Technik verfügen und zum Urlaub ans Meer fahren, aber auch Kinder, die ohne Zugang zu Trinkwasser und Strom leben. In der Schule schaffen wir für alle Kinder, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund, die Bedingungen dafür, dass sie sich sicher fühlen und eine freundschaftliche Atmosphäre erleben“, sagt Hipš. Neben Kindern aus einem sozial benachteiligten Umfeld wurde auch ein Kind aus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft eingeschult, das eine Sehbehinderung hat.

Jedes Kind hat besondere Bedürfnisse, nur manche sind deutlicher sichtbar.“

Ivona Hodášová, Mutter

Ivona Hodášovás Sohn besucht in Bratislava den Kindergarten Rozmanita, der der gleichnamigen inklusiven Schule angeschlossen ist. Er hat kein „anerkanntes“ Sonderbedürfnis. Doch wie Hodášová sagt: „Jedes Kind hat besondere Bedürfnisse, nur manche sind deutlicher sichtbar. Eins braucht eine längere Eingewöhnungszeit, ein anderes stört der Lärm, ein drittes schläft nur mit seinem Teddy ein. In vielfältigen Kollektiven ist es ein großer Vorteil, dass die Berücksichtigung aller Bedürfnisse zum Standard gehört.“ Denn Vielfalt kommt letztendlich allen Kindern in ihren unterschiedlichen Lebensbereichen zugute. Einige wurden bereits von Juraj Hipš erwähnt. Ein weiterer großer Vorteil ist beispielsweise die Auswirkung inklusiver Kollektive, in denen sich alle Kinder sicher fühlen, auf die psychische Gesundheit der Kinder. Das Zentrum für Bildungsanalyse (Centrum vzdelávacích analýz ) betonte kürzlich in einem Beitrag, dass immer mehr Kinder und Jugendliche ein Problem mit ihrer psychischen Gesundheit haben .

„Die Zusammensetzung der Kinder (an Regelschulen) spiegelt bei weitem nicht die tatsächliche Realität einer komplexen Gesellschaft wider, die sehr vielfältig ist. Kinder werden somit nicht auf das wirkliche Leben vorbereitet. In Zukunft könnten sie Stress und Ängste erleben, gerade weil sie in der Schule nicht mit der wirklichen Realität in Berührung gekommen sind. Eine gut organisierte Inklusion bedeutet, dass Kinder in der Schule unterschiedlichen Lebensgeschichten und Bedürfnissen begegnen. Damit schafft die Schule Raum und Unterstützung für ein respektvolles Miteinander. Das ist eine echte Vorbereitung auf das Leben und Unterstützung für die psychische Gesundheit“, sagt Hipš.
 
Im ersten Jahrgang besuchen die Alma-Schule in Zvolen Kinder mit verschiedenen sozialen Hintergründen, Kinder mit und solche ohne Behinderungen.

Im ersten Jahrgang besuchen die Alma-Schule in Zvolen Kinder mit verschiedenen sozialen Hintergründen, Kinder mit und solche ohne Behinderungen. | Foto: © Súkromná škola Alma

Unterstützungsmaßnahmen

Obwohl das Wort Inklusion in der Slowakei inzwischen häufiger verwendet wird, steht das Land hinsichtlich der sozioökonomischen Segregation unter den OECD-Ländern recht weit oben. Ebenso wenig schmeichelhaft ist die Bewertung der Slowakei hinsichtlich der Inklusion von Kindern mit anderen besonderen Bedürfnissen. Teilweise führt auch die Tatsache, dass viele Kinder im Bildungssystem nicht über die notwendigen Bedingungen verfügen, dazu, dass slowakische Schülerinnen und Schüler unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielen. Basierend auf den Ergebnissen der PISA-Tests 2022, bei denen das Niveau der Kompetenzen und Kenntnisse in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften untersucht wurde, gehören mehr als 35 Prozent der Kinder der Risiko-Gruppe an. Dies bedeutet, dass diese Kinder nicht einmal über die grundlegenden Lesefähigkeiten verfügen, die für eine weitere Bildung erforderlich sind.

In den letzten Jahren haben die Regierungen der Slowakischen Republik versucht, auf die Situation zu reagieren, indem sie neue Gesetze und Novellen verabschiedeten, um eine Verbesserung der Qualität der Bildung sowie ihrer Verfügbarkeit und Wirksamkeit sicherzustellen. Im Jahr 2023 führte das Bildungsministerium unter der Leitung des damaligen Ministers Daniel Bútora im Zuge der Novelle des Bildungsgesetzes ein System von Fördermaßnahmen ein. Diese sollen sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler, die eine individuelle Förderung benötigen, diese auch erhalten. Es gibt also einen Weg zu einem inklusiveren Bildungssystem.

Ein Katalog der Fördermaßnahmen wurde erstellt. Diese werden vom Ministerium in Zusammenarbeit mit den direkt von ihm verwalteten Organisationen, nämlich dem Nationalen Institut für Bildung und Jugend und dem Forschungsinstitut für Kinderpsychologie und Pathopsychologie, in die Praxis umgesetzt. Diese Organisationen sollten sich auch an der methodischen Ausrichtung von Schulen und schulischen Einrichtungen beteiligen.

Experten und Expertinnen sowie einige weitere Personen, die an der Vorbereitung dieser Novelle beteiligt waren, sehen in ihr selbst sowie bei ihrer Umsetzung mehrere Mängel und Herausforderungen. „Sie wurde vor einem Jahr spontan ins Leben gerufen, und das Ministerium hat den Start nicht gut hinbekommen. Vor allem, wenn es um die methodische Regelung zu diesem Thema geht“, meint Viktor Križo, Koordinator des Inklucentrum, einem Zentrum für inklusive Bildung. „Das Ministerium verfügt über keine Statistiken zu dieser Reform, da es vergessen hat, diese ins Gesetz aufzunehmen, sodass wir die Reform nach dem ersten Schuljahr nicht bewerten können.“ Križo sagt außerdem, dass die Herausforderung darin besteht, die Schulen darüber zu informieren, wie sie Gelder beziehen können, und die Beantragung dieser Gelder zu erleichtern.

Im Jahr 2023 verpflichtete sich die Slowakei mit der Verabschiedung einer Novelle, bis 2026 Mittel aus dem Staatshaushalt für die Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen bereitzustellen. „Die Umsetzung der Reform in die Praxis hängt vom Geld ab. In diesem Fall endet die Förderung durch die EU und ab September 2026 muss die Förderung ausschließlich aus dem Staatshaushalt erfolgen. Das erfordert eine politische Entscheidung, dass Inklusion wirklich wichtig ist, und ich mache mir Sorgen, ob die aktuelle Regierung wirklich prosozial agieren wird“, sagt die Abgeordnete der Partei Progressive Slowakei Tina Gažovičová, die zwei Jahre lang an der Vorbereitung der Reform mitgearbeitet hat. Andererseits meint Križo, dass genügend Geld zur Verfügung steht: „Die finanziellen Mittel werden allmählich erhöht. Leider mangelt es an den Schulen diesbezüglich an Informationen und so kommt es in der Praxis dazu, dass Schulen ihre eigene Bürokratie produzieren und Kinder immer weniger echte Unterstützung erhalten.“

Umsetzung der Maßnahmen in die Praxis

Einige Schulen sind hinsichtlich der Unterstützungsmaßnahmen bislang recht verloren, andere weniger. „Wir haben Informationen zu Unterstützungsmaßnahmen und diese sind leicht zu finden – auf der Website des Bildungsministeriums, der regionalen Schulverwaltungsämter, der Beratungs- und Präventionszentren“, sagt Jana Bavoľárová, Direktorin der Grundschule und des Kindergartens M. R. Štefánik in Budimír. Bavoľárová ist der Meinung, dass es zu diesem Thema genügend Webinare, Präsenz- und Online-Schulungen gegeben habe. „Es fehlt uns vorerst vor allem an praktischer Erfahrung und an finanzieller Absicherung der Fördermaßnahmen, die sukzessive kommen werden.“

Mittel aus dem Staatshaushalt sind derzeit beispielsweise für den flächendeckenden Aufbau von Förderteams und Assistent*innen vorgesehen, die in Klassen für Kinder mit besonderem Förderbedarf zur Verfügung stehen sollen. Laut Križ soll die Anspruchsberechtigung auf unterstützende Fachkräfte und Assistent*innen ab September 2024 eingeführt werden. „Vorerst wird das aber nur in einem geringeren Ausmaß stattfinden als nötig. Neben der Erhöhung der Anzahl ist es wichtig, die Arbeit dieser Mitarbeiter zu koordinieren und aufzuteilen. Nicht jeder Assistent muss während des gesamten Unterrichts bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen sein, manchmal ist es wichtiger, dass sie nachmittags oder in den Pausen im Schulklub anwesend sind“, sagt Križo. Für die Sprachförderung von Ausländer*innen oder für Nachhilfe gebe es auch bereits finanzielle Mittel, diese Fördermaßnahmen würden jedoch nicht ausreichend genutzt, so Križo. „Die Schulen wissen davon nicht, haben die Kapazitäten nicht oder verstehen diese Art der Unterstützung nicht.“

Križos Aussagen werden beispielsweise auch von der Auswertung des Zentrums für Bildungsanalyse zum Erfolg der Integration ukrainischer Kinder an neun Schulen in Bratislava bestätigt. „Wie aus unseren Analysen hervorgeht, ist der Bedarf der Schulen hauptsächlich personeller Natur – den Schulen fehlen Fachkräfte, die die ukrainische Sprache beherrschen – zum Beispiel besteht bei Kindern aus der Ukraine immer noch ein Problem bei der Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs – vor allem aufgrund der Sprachbarriere. Es fehlen auch Lehrerinnen für Slowakisch als Fremdsprache, und einige Kinder, die schon lange in der Slowakei sind, sprechen immer noch nicht ausreichend Slowakisch, um auf Slowakisch unterrichtet zu werden“, sagt Michal Rehuš, Analytiker des Zentrums. „Den Schulen mangelt es auch an zweisprachigen Materialien, die ihnen helfen könnten, die Sprachbarriere im Unterricht zu überwinden. Das Problem besteht auch darin, dass Lehrer meist nicht über spezifische Fähigkeiten verfügen, um mit Kindern aus einem anderen sprachlichen oder kulturellen Umfeld arbeiten zu können.“
 
Das Inklucentrum bietet Schulungen für Kollektive, Schulen und Einzelpersonen zu Themen der inklusiven Bildung an

Das Inklucentrum bietet Schulungen für Kollektive, Schulen und Einzelpersonen zu Themen der inklusiven Bildung an. | Foto: © Inklucentrum | Centrum inkluzívneho vzdelávania

Die Arbeit mit Lehrern

Inklusive Bildung stellt bestimmte Anforderungen an alle Beteiligten. Kurz vor Beginn des aktuellen Schuljahres fehlten noch mehr als 1.400 Lehrkräfte an slowakischen Schulen. Wenn die Schule gleichzeitig individuell auf die Bedürfnisse aller Kinder eingehen möchte, sollten Lehrer kleine Gruppen unterrichten. „Eine geringere Schülerzahl im Unterricht, insbesondere an weiterführenden Schulen, würden wir uns auf jeden Fall wünschen. Die Unterrichtsvorbereitung des Lehrers ist sehr anspruchsvoll, wenn er die individuellen Bedürfnisse jedes Schülers berücksichtigen muss. Daher würden weniger Unterrichtsstunden pro Lehrer sicherlich helfen“, schlägt Bavoľárová vor.

Die Schule in Budimír unterstützt ihre Mitarbeiter auf vielfältige Weise, von der Einbindung in die Lösungsfindung und Entscheidungsfindung über Fortbildung bis hin zur Förderung der persönlichen Entwicklung. Den Lehrern stehen Mentor*innen zur Verfügung, die sie in diesem Wachstumsprozess begleiten. Einmal im Monat findet ein Workshop zur Verbesserung der Lehrkompetenzen statt und die Schule führt außerdem Aktivitäten zum Kennenlernen ihrer Talente durch, die auch dem Kennenlernen der Teammitglieder untereinander dienen.

Wir müssen Lehrer auf die Praxis und auf die Arbeit mit sehr verschiedenen Kindern vorbereiten. Doch das geht nicht durch Skripte und Vorlesungen, wir brauchen viel mehr Übung und hochwertiges Mentoring.“

Juraj Hipš, Gründer der neuen inklusiven Schule Alma in Zvolen

Die Direktorin nimmt außerdem wahr, dass viele Lehrkräfte nicht darauf vorbereitet sind, ein inklusives Umfeld zu schaffen. Ähnlich sehen es auch Direktor*innen anderer Schulen, die versuchen, gemischte Teams zu bilden. „Es ist nicht nur ein Problem für angehende Lehrer, sondern auch für viele mit langjähriger Erfahrung. Sie sehen nicht selten ein Problem in der Inklusion und lehnen diese ab“, sagt Juraj Hipš. Er stimmt mit Bavoľárová darin überein, dass auch an Universitäten zukünftige Lehrer anders vorbereitet werden müssen. „Wir müssen Lehrer auf die Praxis und auf die Arbeit mit sehr verschiedenen Kindern vorbereiten. Doch das geht nicht durch Skripte und Vorlesungen, wir brauchen viel mehr Übung und hochwertiges Mentoring. Lehrer an Schulen brauchen nicht noch mehr Broschüren, sondern eine qualitativ hochwertige Ausbildung, Betreuung und eine Zusammenarbeit mit dem Schulunterstützungsteam“, sagt Hipš.

Als ich die Mutter Kristína fragte, deren Tochter mit besonderen Bedürfnissen das Durchfallen an der Schule drohte, welche aller Maßnahmen am besten funktionierte, antwortete sie, dass es für mit einem Assistenten nicht funktionierte, weil ihre Tochter dessen Aufmerksamkeit ihr gegenüber verweigere. Sie fand es auch bedauerlich, wie unflexibel Änderungen im individuellen Plan für ihre Tochter genehmigt wurden. Andererseits betonte sie die Menschlichkeit der Lehrerinnen und Lehrer. „Sie haben ein echtes Interesse daran, das Kind tiefgreifend kennenzulernen und es durch die Bildung zu begleiten, wie auch immer das Kind sein mag und was auch immer seine Stärken und Schwächen sind.“

Inklusion offenbart also in gewissem Maße auch, was für Menschen wir sind, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten wir zum Zusammenleben haben. „Damit Lehrer ein integratives Umfeld in den Klassenzimmern schaffen können, brauchen sie Offenheit, Fachwissen, die Fähigkeit, menschlich zu sein und gleichzeitig die Fähigkeit, mit Menschen zu arbeiten, die Fähigkeit, in der Schule ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Kinder sicher und wohl fühlen“, sagt Michaela Babejová, Lehrerin in Budimír.

Wie geht das?

Damit die Schule inklusiv sein kann, ist es notwendig, ein Umfeld zu schaffen, das allen Kindern gerecht wird – zum Beispiel im Hinblick auf Barrierefreiheit. Darüber hinaus ist es wichtig, die richtigen Arbeitsmethoden hinsichtlich der Bedürfnisse der Kinder auszuwählen und auch die Dauer der Aktivitäten oder die Art der Bewertung an die Kinder anzupassen.

„Da es innerhalb eines Jahrgangs teilweise große Unterschiede zwischen unseren Schülerinnen und Schülern gibt, beispielsweise beim Leseniveau, nutzen wir differenzierten Unterricht, Peer Education sowie digitale Technologien. Auch das System der Nachhilfe und der organisierten außerschulischen Aktivitäten sind wirkungsvolle Instrumente“, sagt Hipš. Über das Lesen spricht auch Babejová: „Wie bei allen Kindern fördern wir auch bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen eine positive Einstellung zum Lesen, zu Büchern und zur Literatur als solche. Wir nutzen Lesetische oder Lesefenster und schaffen gezielt Bedingungen und Möglichkeiten, damit sie Leseerfolge erleben, sich wohlfühlen, ihr Selbstbewusstsein stärken und ihre eigenen Fortschritte wahrnehmen können.“

Der fünfjährige Julko besucht auch den experimentellen inklusiven Kindergarten und die Schule Rozmanita in Bratislava. Julkos Mutter beschreibt, dass dieses Umfeld im Vergleich zu dem staatlichen Kindergarten, den er zuvor besuchte, hinsichtlich der Anzahl der Kinder persönlicher und respektvoller sei. „Auch die vielfältige Kindergruppe ist ein wichtiger Pluspunkt“, sagt seine Mutter Tereza Križková. „Mein Sohn ist väterlicherseits afrikanischer Herkunft und es war toll, dass er sofort einen besten Freund gefunden hat, dessen Eltern aus Äthiopien stammen. Da er in einer rein weißen Familie aufwächst, ist das für ihn sehr wichtig. Im Rozmanita vertraute Tereza der Lehrerin an, dass Julko mit seiner Identität „kämpft“. „Er hat mir oft gesagt, dass er gerne weiß wäre, er hat sogar gemeint, dass es besser sei, weiß zu sein. Julkos Klassenlehrerin konsultierte die Kinderpsychologin, die täglich mit Kindern im Rozmanita arbeitet, und sie bereiteten für Julko und für das gesamte Team Aktivitäten vor, die ihm helfen könnten.“

Letztendlich unterstützt eine inklusive Schule in Zusammenarbeit mit den Eltern die Kinder unter anderem dabei, zu wachsen und ihre Einzigartigkeit zu entdecken, mit der sie die Welt bereichern können.

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