Prävention von Gewalt gegen Frauen  Ausbildung zur Gewaltlosigkeit

Ausbildung zur Gewaltlosigkeit Foto: © Michaela Brunovská | ZA SEBA

In der Slowakei gibt es seit einigen Jahren Bildungs- und Aufklärungskampagnen, die jungen Menschen zeigen wollen, wie Gewalt, insbesondere gegen Frauen, entgegengewirkt werden kann. Studien zufolge sind in der Slowakei bis zu 34 Prozent der Frauen von Gewalt betroffen. Obwohl entsprechende Kampagnen nicht großflächig oder verpflichtend an allen Schulen durchgeführt werden, lassen sich doch einige Erkenntnisse zusammentragen. Die Feststellungen beruhen auf Erfahrungen von Referentinnen und Referenten, die für NGOs und anderen Institutionen Bildungsarbeit zur Gewaltprävention leisten. Wie kann gute Aufklärungsarbeit gelingen, die bei jungen Menschen einen so starken Eindruck hinterlässt, dass diese als Erwachsene nicht selbst gewalttätig werden? Und wie beurteilen slowakische Pädagoginnen und Pädagogen die Bemühungen zu diesem Thema? Die Journalistin Sára Činčurová hat sich verschiedene Beispiele aus der Praxis angeschaut.

Gewalt als Normalität

Im Jahr 2015 habe ich zum ersten Mal als Referentin an einer Bildungskampagne mitgewirkt, die darauf ausgerichtet war, an slowakischen Mittelschulen die Prävention häuslicher Gewalt effizienter zu machen. Ich habe damals für das Koordinierungs- und Methodikzentrum für geschlechtsbezogene und häusliche Gewalt (KMC, Koordinačno-metodické centrum pre rodovo podmienené a domáce násilie) gearbeitet, das sich für Prävention und Verhinderung von Gewalt einsetzt.

Zu den Aktivitäten des KMC gehörte auch Aufklärungsarbeit, das heißt wir haben Kampagnen, Tagungen und Workshops organisiert und viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Außerdem wurde der slowakische Bildungsplan analysiert und daraufhin fachliche Empfehlungen erarbeitet, welche Elemente gestärkt werden sollten, um Aufklärung zu Gewaltprävention und Gleichberechtigung von Mann und Frau zu fördern. Das KMC hat auch Weiterbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen und schulisches Fachpersonal oder Workshops für Lernende und Studierende angeboten.

Bis heute erinnere ich mich an Situationen mit jungen Menschen, Situationen, die mich damals schockiert haben. Eine der Kampagnen, die wir an Schulen umgesetzt haben, trug den Titel (Un)Gesunde Beziehungen. An die Schülerinnen und Schüler wurden Kärtchen verteilt, auf denen verschiedene Sätze standen, von denen einige charakteristische Signalwörter enthielten, die auf gewalttätige Beziehungen hinwiesen. Da stand zum Beispiel: „Der Partner darf die Kleidung der Partnerin kontrollieren und ihr vorschreiben, sich etwas anderes anzuziehen, wenn ihm das Outfit nicht angemessen erscheint.“ Oder: „Der Partner hat das Recht, das Telefon, die E-Mails oder SMS der Partnerin zu kontrollieren.“ Die Teilnehmenden hatten die Aufgabe auszuwählen, welche der Sätze in ihren Augen ungesunde Beziehungen charakterisieren.

Mir fiel auf, dass für manche Jungen – gerade mal 15 oder 16 Jahre alt – Angewohnheiten, wie zum Beispiel der Freundin die Kleidung vorzuschreiben, so normal waren, dass sie mit uns Workshopleitenden mehr als einmal heftig diskutierten. Für diese Jungen schien es eine Selbstverständlichkeit, dass sie ihre Freundin, wenn ihnen der Rock zu kurz erschien, drängten, einen anderen, weniger aufreizenden anzuziehen. Sie haben das quasi als ihre Aufgabe angesehen und waren nicht einmal bereit, mit mir – als Referentin und Frau – darüber zu diskutieren. Damals habe ich verstanden, dass Gewaltprävention und Toleranzerziehung als Bildungsauftrag schon viel früher ansetzen müssen, idealerweise bereits im Kindergarten.

Vorbilder geben Verhaltensmuster weiter

„Kinder kommen nicht nur in ihren Familien mit Gewalt in Berührung, sondern auch in ihrem näheren Umfeld, im Kindergarten und der Schule, unter Mitschülern oder Freunden“, sagt Paulína Rakúsová, Projektmanagerin der Plattform Bez modrín (Ohne blaue Flecken). Die Plattform beschäftig sich mit Gewaltprävention und gehört zum Zentrum Slniečko (Kleine Sonne), einer NGO, die Frauen und Kindern in gewaltbehafteten Situationen hilft. „Mit dem Eintritt in die Kita gehen Kinder erste stabilere Freundschaften ein, suchen sich ihren Platz und ihre Position in der Gruppe, lernen zusammenzuarbeiten und im Kollektiv zu funktionieren. Sie lernen, ihre Spielsachen zu teilen, ebenso wie ihre Freunde oder die Aufmerksamkeit erwachsener Bezugspersonen (Lehrpersonen), die für Kinder gerade in dieser Zeit besonders wichtig sind. Das ist ein riesiger Raum, in dem auch Schwierigkeiten, Probleme und Konflikte entstehen können.“
 

za seba Foto: © Bianka Urbanovská | ZA SEBA


Eine der Maßnahmen, die in der Slowakei bereits umgesetzt werden, ist auch das ursprünglich in der Slowakei entwickelte Präventionsprogramm Kosmo und seine Abenteuer (Kozmo a jeho dobrodružstvá), das Kindern auf spielerische Weise erklärt, wie gesunde Beziehungen funktionieren. Das Programm ist für die Arbeit mit Kindern ab dem Kindergartenalter bis zum achten Lebensjahr konzipiert. Denn gerade Kindern im Kita- und Grundschulalter kann man gut beibringen, was gesunde Beziehungen ausmacht und wie man Respekt gegenüber sich selbst und anderen aufbaut. Mit dem Eintritt in die Mittelschule ist es für die Primärprävention schon zu spät, bei Jugendlichen in diesem Alter kann man in manchen Fällen nur noch intervenieren.

Ähnliche Erfahrungen bezüglich der Wahrnehmung von Gewalt als sozialer Norm bei älteren Kindern hat auch Radka Mikšík gemacht, Referentin für Beziehungen und sexuelle Erziehung in der Organisation InTYMYta, die mit Jugendlichen ab zehn Jahren und jungen Erwachsenen arbeitet. Im Rahmen der Aufklärungsarbeit zu Prävention von Gewalt und Belästigung setzt InTYMYta bei unterschiedlichen Themen an; vor allem geht es um die Reflexion des Einflusses geschlechterspezifischer Stereotype auf Beziehungen, deren Fortdauern und darum, wie Belästigung damit zusammenhängt. Im Fokus steht aber auch die Beschäftigung damit, wo Grenzen sind, was Einwilligung bedeutet und auf welche Art und Weise sich diese deutlich kommunizieren lässt. „Wir schauen uns an, wie man Emotionen, die mit der eigenen Unzufriedenheit und der Ablehnung in Beziehungen einhergehen, kontrollieren kann, wie man deutlich eigene Grenzen, Ängste und Erwartungen bezüglich der Beziehung kommuniziert, wie man über Intimsphäre und sexuelle wie reproduktive Gesundheit spricht und wie man ungesundes Verhalten in Beziehungen – Machtausübung, Kontrolle, Manipulation, emotionale Erpressung und Nötigung – erkennt. In Modellsituationen versuchen wir gemeinsam auf die Erkenntnis hinzuarbeiten, dass Gewalt nicht nur physisch ausgeübt werden kann, sondern auch andere Formen annimmt. Wir sprechen darüber, wie man Gewalt und Belästigung vorbeugen kann (und dass es dabei maßgeblich um die Rolle und Verantwortung des Täters geht, dass man nicht ohne klare Einwilligung handelt) und schließlich auch darüber, wie man solcher Gewalt begegnet – wer sind vertrauenswürdige erwachsene Bezugspersonen, wohin kann man sich wenden, was sind anonyme Hilfetelefone und so weiter“, erklärt Mikšík.

Mikšík und ihr Team stellen oft fest, dass junge Menschen einige Ansichten von ihren Eltern übernehmen – hauptsächlich in Bezug auf Geschlechterrollen. In manchen Gruppen überwiegt sogar die Vorstellung, häusliche Gewalt sei normal. „Deshalb ist es enorm wichtig, auf das Recht auf Unversehrtheit und Sicherheit hinzuweisen, die Schulsozialarbeit über die Probleme zu informieren und eine regelmäßige Jugendarbeit zu unterstützen. Zum Beispiel indem man Weiterbildungen für Lehrpersonal und Eltern anbietet, in denen die Erwachsenen lernen, wie man ein gutes Vorbild sein kann, wie man mit Kindern über Zustimmung spricht, wie man diese Themen altersgerecht kommuniziert, schon von klein auf und so weiter“, sagt sie.
 

Die jungen Menschen konnten sich zwar darauf einigen, dass physische Gewalt inakzeptabel sei, andererseits reagierten sie weniger sensibel, wenn es um Anzeichen von Kontrolle oder Demütigung ging, weil sie Ersteres als Interesse und Letzteres als Scherz interpretierten.

Kinder als Opfer von Gewalt

Die leitende Managerin des KMC Barbora Burajová merkt an, dass zwar jeder Workshop mit Jugendlichen anders sei, sich aber immer auch Gemeinsamkeiten feststellen ließen. „Die Unterschiede lassen sich oft am Schultyp festmachen, auch am Lehrpersonal, abhängig davon, ob und wie sie im Unterricht das Thema Menschenrechte, Gleichberechtigung und das Null-Toleranz-Prinzip bei Gewalt behandeln. Bei allen Workshops zeigte sich jedoch ein schambehaftetes Interesse, wenn es um Gewalt ging. Auffällig war auch, dass es in jeder Gruppe von Lernenden mindestens eine Person gab, die Erfahrungen mit Gewalt gemacht hatte“, sagt Burajová.

Man sollte sich deshalb bewusst machen, dass junge Menschen an slowakischen Mittelschulen nicht selten in Familien aufwachsen, in denen es häusliche Gewalt gibt, und das diese in der Slowakei noch weit verbreitet ist. Im EU-Durchschnitt hat eine von drei Frauen über 15 Jahren schon physische und/oder sexuelle Gewalt erlebt, was leider auch für die Slowakei gilt, wo der Anteil bei 34 Prozent liegt. Diese Zahl bezieht sich nur auf Frauen, die älter als 15 sind. Die tatsächlichen Zahlen der Opfer von Gewalt – Kinder inklusive – sind wahrscheinlich um einiges höher.

Viele Jugendliche, vor allem Mädchen, haben bereits in jungen Jahren Erfahrungen mit Gewalt in der Beziehung gemacht. Es ist nicht selten, dass junge Mädchen in Beziehungen mit Männern Demütigung erfahren, zum Sex genötigt oder lächerlich gemacht werden. In solchen Fällen muss man sich dem Thema sehr behutsam nähern. Aus meiner Erfahrung als Referentin weiß ich, dass man als vortragende oder unterrichtende Person damit rechnen muss, zu wissen, auf welche Unterstützungsangebote man im Zweifelsfall verweisen kann – zum Beispiel Hilfetelefone für Opfer häuslicher Gewalt, den Schulpsychologen oder die Schulpsychologin oder lokale Organisationen. Doch längst nicht jede*r Lehrer*in in der Slowakei hat solche Informationen parat. Manchmal ist auch das ein Grund für die Angst, das Thema offensiv anzusprechen. Damit Prävention greift, ist es jedoch wichtig, dass an jeder Schule wenigstens eine Person des Lehrkollektivs weiß, was im Fall der Fälle zu tun ist – aktuell ist das leider noch nicht immer garantiert.

Burajová hat im Verlauf der Kampagne auch festgestellt, dass die jungen Menschen sich zwar darauf einigen konnten, dass physische Gewalt inakzeptabel sei, andererseits aber weniger sensibel reagierten, wenn es um Anzeichen von Kontrolle oder Demütigung ging, weil sie Ersteres als Interesse und Letzteres als Scherz interpretierten. „In der Diskussion darüber zeigten einige der Schülerinnen und Schüler deutliches Missfallen an unserer Interpretation einiger Handlungen als verletzend“, sagt Burajová.

Spott oder sogar völliges Desinteresse am Thema hat auch Bianka Urbanovská an Mittelschulen erlebt. Urbanovská arbeitet für die Initiative Za Seba (Für sich selbst), die sich der Gewaltprävention und Bildungsarbeit im Sinne eines gesunden Selbstschutzes verschrieben hat. Dazu geht Urbanovská an Schulen oder führt Workshops für Jugendliche in Feriencamps durch. Die Kinder sollen lernen, Probleme zu identifizieren, sich Hilfe zu suchen, ihre eigenen Grenzen zu reflektieren und zu setzen und sich, wenn nötig, zur Wehr zu setzen.

„An Mittelschulen arbeiten wir mit den jungen Menschen in Projekten, in denen wir Modellsituationen in drei Zonen einteilen. Eine sichere grüne Zone, in der man sich wohl und gut fühlt; eine orange Zone, in der der Körper bereits erste Warnsignale sendet, weil man sich unwohl fühlt; und eine rote Zone, in der man sein Leben oder seine Gesundheit bedroht sieht. Man kann sich auch zwischen diesen Farbzonen einordnen“, erklärt Urbanovská.
 

za seba Foto: © Bianka Urbanovská | ZA SEBA


Nicht alle Jugendlichen zeigen Interesse an diesen Workshops und wollen sich beteiligen. „Manche nehmen das auf die leichte Schulter, andere stören mit Spötteleien oder unangebrachten Kommentaren“, erklärt Urbanovská. Manchen ist es sichtlich unangenehm, aber gleichzeitig sehen sie doch auch einen Mehrwert in dem Angebot, weil sie selbst schon Belästigung erlebt haben.

Urbanovská bestätigt auch, dass Jugendliche oft bereits schwierige Erfahrungen gemacht haben. „In der Schule wurden sie vielleicht im Freundeskreis oder auch durch ältere Jugendliche schikaniert. Mädchen im Alter bis zu 14 Jahren haben auch auf der Straße Belästigungen erlebt oder in ihren Beziehungen Erfahrungen damit gemacht, dass sie genötigt wurden, Alkohol zu trinken oder verschiedene sexuelle Praktiken zu probieren.“ Nicht alle Mädchen wissen jedoch, wie sie sich dagegen gut wehren können und nur wenige haben in ihren Familien gelernt, eigene Grenzen zu setzen. „Was die Eltern selbst nicht wissen, können sie auch ihren Kindern nicht beibringen. Deshalb haben wir einen Kurs für Eltern und Kinder etabliert“, sagt Urbanovská.

Gesunde Grenzen setzen

Ein weiterer Punkt, der Urbanovská schockiert hat, ist, dass Kinder sexuellen Missbrauch nicht einschätzen können. In den Feriencamps diskutiert sie mit Kindern über folgende Modellsituation: Die Hauptfigur ist eine zwölfjährige Schwimmerin. Eines Tages wird sie von ihrem Trainer angesprochen, der eine Tochter im gleichen Alter hat. Er sagt ihr, dass ihre Eltern sich nicht besonders gut um sie kümmern würden, dass sie eine tolle Schwimmerin sei und schöne Beine hätte. Er fährt sie nach Hause und kauft ihr eine heiße Schokolade.

„Die Kinder haben diese Situation überhaupt nicht als risikobehaftet wahrgenommen“, bemerkte Urbanovská. „Für Kinder sind ihnen nahestehende Personen, die Familie, Trainer – insbesondere diejenigen, die selbst auch Kinder haben – außerhalb des Radars. Bei Fremden können Kinder Gefahrensituationen erkennen und einschätzen; bei Menschen, die ihnen nahestehen, jedoch nicht. Wir wussten selbst nicht genau, wie wir den Kindern erklären sollten, dass es nicht ok ist, wenn ihnen jemand im Alter ihrer Eltern über das Haar streicht und ihnen sagt, dass sie schöne Beine hätten“, erklärt Urbanovská.

Sie fügt hinzu, dass einer der Gründe, warum Kinder Grenzen vielleicht nicht so deutlich wahrnehmen, darin liegt, dass auch Eltern unbewusst oft die Grenzen ihrer Kinder überschreiten. Zum Beispiel, wenn sie ungefragt das Badzimmer betreten, obwohl ihre Teenagertochter sich gerade darin aufhält. Oder wenn sie Kinder oder Jugendliche dazu zwingen, Verwandten einen Kuss zu geben oder sie zu umarmen. Oder sich höflich gegenüber älteren Verwandten zu verhalten, auch wenn diese vielleicht unangenehm sind und sich den Jugendlichen gegenüber nicht sehr respektvoll verhalten. „Gleichzeitig ist es in Familien üblich, Kindern beizubringen, Geheimnisse für sich zu behalten – indem zum Beispiel ein Elternteil dem Kind sagt, dem anderen Elternteil etwas Bestimmtes nicht zu erzählen, oder die Oma das Kind drängt, etwas vor den Eltern zu verheimlichen.“ Deshalb ist es wichtig, sowohl die Öffentlichkeit als auch Eltern zu sensibilisieren, dass sie Kindern von klein auf beibringen müssen, ihre eigenen Grenzen zu respektieren und eine gesunde Selbstständigkeit zu entwickeln.

Vor allem junge Mädchen äußerten ihre Dankbarkeit darüber, dass sie gelernt haben, Warnsignale gewaltbehafteter Beziehungen zu erkennen und in Zukunft besser damit umgehen zu können. Die Jugendlichen haben positiv darauf reagiert, dass wir mit ihnen so schwierige Themen besprochen haben und dass sie darüber laut diskutieren durften.

Gewalt bei Erwachsenen

Magdaléna Musilová, Expertin für das Thema sexuelle Belästigung, leitet seit vielen Jahren Workshops für Firmen und Organisationen, in denen es um die Prävention von Belästigung am Arbeitsplatz geht.

Auch sie bestätigt, dass Opfer sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung überall zu finden sind. „In fast jedem Workshop gibt es Teilnehmende, die schon sexuelle Belästigung erlebt haben, oder jemanden, der im Laufe seines Arbeitslebens selbst die ein oder andere Form von Belästigung begangen hat. Mehrfach ist es vorgekommen, dass jemand den Workshop verlassen hat und nicht zurückkam – vielleicht, weil der Workshop für die Person inhaltlich zu traumatisierend war oder weil es schwerfiel, sich mit den eigenen früheren Verhaltensweisen auseinanderzusetzen“, meint Musilová.

Dennoch erlebt Musilová oft, dass Menschen sich kritisch damit auseinandersetzen, dass sie in der Vergangenheit unethisch gehandelt haben und sich aktiv entscheiden, es in Zukunft besser zu machen. „Noch häufiger passiert es, dass sich jemand bewusst wird, dass er oder sie aktuell sexuelle Belästigung erlebt oder in der Vergangenheit davon betroffen war. Und oft sind diese Menschen überrascht, dass sie es nicht bemerkt haben. Das liegt einerseits daran, dass manche Verhaltensweisen für völlig normal gehalten werden, auch wenn es sich um Belästigung handelt, und andererseits daran, dass die Mehrheit der Menschen nicht weiß, was der Begriff sexuelle Belästigung eigentlich genau meint. Wenn man sexuelle Belästigung hört, stellen sich viele nur die besonders intensiven Formen vor und die vermeintlich harmloseren (anzügliche Witze oder Bemerkungen) bleiben unbeachtet und werden so Teil der Organisationsstruktur und -kultur.“

Selbst bei den erwachsenen Teilnehmenden hat Musilová sehr häufig Abwehrverhalten erlebt, indem versucht wird, das Thema herunterzuspielen oder es ins Lächerliche zu ziehen. „Deshalb lassen wir in unseren Workshops relativ viel Raum für Diskussionen über die Auswirkungen sexueller Belästigung auf die psychische und physische Gesundheit der Betroffenen, und welche Effekte das auf die gesamte Unternehmenskultur. Nach dem Workshop soll jedem bewusst sein, warum es absolut notwendig ist, sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, im Bildungs- oder Gesundheitswesen und so weiter vorzubeugen und entgegenzuwirken.“

Musilová kann aber auch von sehr positiven Erlebnissen berichten. Aus ihren Workshops geht sie in der Regel gestärkt und mit einem Gefühl raus, dass ihre Arbeit „Sinn ergibt“. Dieses Gefühl schöpft sie aus dem Feedback der Teilnehmenden, aber auch der Personalabteilungen von Organisationen, die erkannt haben, dass es wichtig ist, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen.

Auch Radka Mikšík schätzt die Wirkung der Workshops positiv ein. „Wir stellen fest, dass die Jugendlichen größtenteils bereits wissen, was Einwilligung und Einvernehmen bedeutet, und wir stellen auch fest, dass die Jugendlichen darüber empört sind, wie unzureichend die slowakischen Gesetze in diesem Bereich sind. Es ist ermutigend, wie positiv Jugendliche die Möglichkeit bewerten, ihre Meinung offen mitteilen zu können und dabei die Grenzen der Privatsphäre zu respektieren. Sie betonen, dass es ihnen hilft, auch die Ansichten anderer zu hören, und sie schätzen die konkreten Tipps, wie sie reagieren und wohin sie sich im Falle von Belästigung oder Gewalt wenden können. Wir erhalten auch das Feedback, dass die Jugendlichen die erhaltenen Informationen über das Thema Einwilligung an Gleichaltrige weitergeben wollen“, sagt sie.

Eine ähnliche Erfahrung habe auch ich gemacht. Vor allem junge Mädchen äußerten ihre Dankbarkeit darüber, dass sie gelernt haben, Warnsignale gewaltbehafteter Beziehungen zu erkennen und in Zukunft besser damit umgehen zu können. Die Jugendlichen haben positiv darauf reagiert, dass wir mit ihnen so schwierige Themen besprochen haben und dass sie darüber laut diskutieren durften. Auch wenn in der Slowakei nicht von einer flächendeckenden Aufklärung zu diesen Themen gesprochen werden kann, scheint es doch, dass die Bemühungen von NGOs und anderen Organisationen auf fruchtbaren Boden fallen – und dass in der Slowakei ein großes Interesse besteht, über Gewalt und gesunde Grenzen zu diskutieren.

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