Vidana, eine Designerin und Sängerin, floh nach Kriegsbeginn von Kyjiw nach Warschau. Nach Depressionen und Panikattacken kanalisierte sie ihre Wut in Arbeit, um sich und ihren sechsjährigen Sohn zu versorgen. Trotz ständiger Herausforderungen verfolgt sie ihren Traum, Jazz zu singen, bekämpft die Verzweiflung mit Gesangsübungen und schafft Stabilität.
Es war meine Unabhängigkeit, die mich gerettet hat.“
Vidana, Warschau
Sie heißt Vidana. Vor dem großen Krieg hatte sie ein florierendes Kleidungsgeschäft, ein geordnetes Leben in Kyjiw, und ein Ziel: Jazzsängerin zu werden. Für den Februar 2022 war die Aufnahmeprüfung in die Musikakademie geplant. Dann zerbrach alles. Das ganze Leben wurde in zwei hastig gepackte Tüten gesteckt. Weniger fürchtete sie um sich selbst als vielmehr um den sechsjährigen Sohn, der gerade in die erste Klasse ging. Acht Stunden Kälte an der Grenze zu Ungarn, zwei Wochen tiefer Schock in Breslau, dann Warschau. Ihre Musikerfreunde, ein Ukrainer und ein Pole, nahmen Vidana und ihr Kind bei sich auf, „so lange du es eben brauchst“. Die Gefahr hallte noch lange in ihrem Körper nach: Migräne, Panikattacken, psychogene Seh- und Hörprobleme. Zunächst halfen Antidepressiva. Und dann kam die Wut hoch, groß wie eine Atombombe.
Die Triebfedern waren jedoch klar definiert: Eine eigene Wohnung zu beziehen. Dem achtjährigen Sohn ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen, über das Notwendige hinausgehend. Die Mutter zu unterstützen, deren Einkommen nun allein vom Handel mit Designerkleidung abhing. Widanas Erschöpfung wurde durch immer wiederkehrende panische Anfälle erschwert. Dann erinnerte sie sich an ihren Traum, zu singen, und bewarb sich beim Warschauer Universitätschor. Während Vidana unter anderen Sopranos Wörter polnischer Lieder sang, ließ die Panik allmählich nach. Disziplinierend und erhebend vermittelte die akademische Musik ein Gefühl von Ruhe.
Dann begann schließlich doch der Jazz. Nach all den Anstrengungen erwirtschaftete das Online-Geschäft wieder Gewinn, und Vidana sang. Sie sang beim Fahren im neugekauften Gebrauchtauto, das sie selbst von Rzeszów nach Warschau brachte. Sie sang in einer privaten Musikschule während der Aufnahmeprüfung, die sie bestand. Jetzt nimmt sie ihre ersten Singles auf. Ist ihr Leben einfacher geworden? Im Gegenteil. Ihre Tage sind immer noch sorgenvoll, trübe Morgen und trostlose Abende gibt es auch oft genug. Doch nun hat Vidana auch ein bewährtes Gegenmittel gegen diese Melancholie. Sie setzt sich an das Instrument und übt die Stimme. Dieses Üben zieht sie aus der Verzweiflung zurück in die Realität.
Wenn die Rechnungen bezahlt und die Geschäfte abgewickelt sind, sehnt sich Vidana nach der Heimat: Kleinstadt Schaschkiw, Region Tscherkassy, Das Elternhaus dort ist voller persönlicher Gegenstände und warmer Erinnerungen. Eine Rückkehr bleibt vorerst ausgeschlossen. In Polen beschloss Vidana, das zu bewahren, was sie hatte. Authentische Designs bringen ihr finanzielle Sicherheit und erhalten die Verbindung mit der ukrainischen Kultur. Ihre Zuversicht in die Zukunft ihres Sohnes lindert die mütterlichen Sorgen. Selbst die Einrichtung der Wohnung erinnert an ihr Kinderzimmer: Wie damals sitzt Vidana an ihrem Klavier. Ihre Stärke liegt darin, den Rhythmus ihres Lebens selbstbewusst zu gestalten.
Die Veröffentlichung dieses Artikels ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um.
Mai 2024