Europaweite Umfrage zum Green Deal  „Unsere Lebensweise ist nicht nachhaltig“

Photo is showing Wind turbines in a corn field during sunset. Foto: Karsten Würth via Unsplash | CC0 1.0

Wirtschaftlicher Wettbewerb ist eine der Hauptursachen für die Verschärfung der Klimakrise. Trotzdem zwingt uns der globale Kapitalismus immer noch dazu, ständig zu expandieren. Das ist weder ökologisch noch wirtschaftlich nachhaltig. Wie man das ändern könnte, wollten wir von Expert*innen aus Mittelosteuropa wissen:

  • Ist klimafreundliche Nachhaltigkeit mit wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit vereinbar? Und sollten wir uns überhaupt mit einem solchen Dilemma befassen?
  • Wie kann die Debatte über den Europäischen „Green deal“ attraktiver gestaltet werden?


Mariana Verbovska ist eine ukrainische Journalistin, die sich vor allem mit ökologischen Themen uns dem Klimawandel auseinandersetzt. Sie ist Autorin des Handbuchs How to write on Climate Change in Ukraine. Portrait of the Author Mariana Verbovska. Foto (detail): © Mariana Verbovska
  • Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, ist es wichtig, die drei Säulen der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen: Soziales, Umwelt und Wirtschaft. So ist der wirtschaftliche Aspekt eine wesentliche Voraussetzung, wenn wir die Harmonie auf unserem Planeten erhalten wollen. Ein nachhaltiger Ansatz wird zunehmend nicht als Luxus, sondern als Notwendigkeit angesehen - Investitionen in Programme zur Förderung einer gesünderen Umwelt führen zu einer längeren Lebensdauer. Die Klimakrise zeigt die unverhältnismäßigen Auswirkungen des Klimawandels auf einkommensschwache Länder und Gemeinschaften weltweit und macht deutlich, dass ein ausschließlich auf Innovation und Wohlstand ausgerichteter kapitalistischer Ansatz unserem Planeten schweren Schaden zufügen kann. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass immer mehr Unternehmen Umweltbelangen Priorität einräumen und sich mit ihnen auseinandersetzen.
     
  • Der Europäische Green Deal umfasst eine Reihe von politischen Initiativen, die die EU zu einem umweltfreundlicheren Übergang führen sollen. Ein tieferes Verständnis dieses Dokuments in Verbindung mit den spezifischen Bedürfnissen des eigenen Landes oder der eigenen Gemeinschaft würde die Diskussion relevanter machen. Eine wirksame Vermittlung der Bedeutung dieser Politik hängt vom Kontext ab, in dem sie angewendet wird. In einem Land wie der Ukraine beispielsweise ist die Betonung des Kapitels From Farm to Fork von entscheidender Bedeutung. Dieser Abschnitt zielt darauf ab, ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem zu schaffen - eine wesentliche Überlegung für die Ukraine, wo 57 Prozent des Landes landwirtschaftlich nutzbar sind und die Landwirtschaft einen bedeutenden Teil der nationalen Industrie ausmacht.
     

Richard Sťahel ist leitender Forscher am Institut für Philosophie der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Bratislava, wo er die Position des Institutsdirektors und des Leiters der Abteilung für Umweltphilosophie innehat. Seine Spezialgebiete sind Umwelt- und politische Philosophie sowie die Philosophie der Menschenrechte. Er konzentriert sich auf die Untersuchung der Ursachen der globalen Krise der industriellen Zivilisation und der philosophischen, sozialen und politischen Folgen des Klimawandels und des Massensterbens von Pflanzen- und Tierarten. Besonderes Augenmerk legt er auf die philosophischen Aspekte der Konzepte des Anthropozäns, der ökologischen Zivilisation und der Umweltdemokratie.
Portrait of Richard Sťahel, senior researcher at the Institute of Philosophy of the Slovak Academy of Sciences in Bratislava. Foto (Ausschnitt): © Richard Sťahel
  • Das Streben nach wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit ist eine der Hauptursachen für die Verschärfung der Klimakrise. Klima-, Umwelt- und Sozialpolitik werden weitgehend dem Versuch geopfert, ein gewisses Maß an Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen oder zumindest zu erhalten.

    Im Diskurs über die Wettbewerbsfähigkeit werden Maßnahmen zur Verringerung des Kohlenstoffausstoßes oder des gesamten ökologischen Fußabdrucks von Produktion und Konsum gemeinhin als Hindernisse und Einschränkungen für die Wirtschaft und das Wachstum des Lebensstandards bezeichnet, die die Kosten erhöhen und somit die Wettbewerbsfähigkeit verringern.

    Darüber hinaus erschwert der Grundsatz des Wettbewerbs die Zusammenarbeit oder macht sie sogar unmöglich und untergräbt zumindest den Grundsatz der Solidarität. Die Integration des Kooperations- und des Solidaritätsprinzips in die öffentliche Politik und in die persönlichen Wertvorstellungen ist jedoch eine Voraussetzung für die klimatische Nachhaltigkeit. Das Prinzip der Nachhaltigkeit und das Prinzip der Wettbewerbsfähigkeit beruhen auf unterschiedlichen Wertesystemen oder Weltanschauungen, die sich praktisch gegenseitig ausschließen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit beruht auf dem Wissen um die Endlichkeit und Verletzlichkeit des Planetensystems als Grundvoraussetzung nicht nur für jede menschliche Aktivität, sondern auch für die Existenz der organisierten menschlichen Gesellschaft (Zivilisation) und für das Leben des Menschen als Gattung. Das Prinzip der Wettbewerbsfähigkeit beruht auf dem Imperativ des Wachstums (Produktion, Konsum, Profit, Bevölkerung) und ignoriert als solches die Erkenntnisse der Geowissenschaften und letztlich die grundlegenden Naturgesetze. Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil sie es ermöglicht, die verschiedenen paradigmatischen Rahmen, die den Konzepten der (Klima-)Nachhaltigkeit und der (wirtschaftlichen) Wettbewerbsfähigkeit zugrunde liegen, zu thematisieren und anschließend zu vergleichen.
     
  • Die Verknüpfung der Ziele des Green Deals mit den Konzepten der Wettbewerbsfähigkeit und des - wenn auch grünen - Wachstums ist in sich widersprüchlich. Jegliches Wachstum ist nicht nur mit einem weiteren Anstieg des Verbrauchs erneuerbarer und nicht erneuerbarer Ressourcen verbunden, sondern auch mit einem weiteren Anstieg der Treibhausgasemissionen und anderer Formen der Umweltverschmutzung. In Anbetracht des Rekordanstiegs der Durchschnittstemperatur der Atmosphäre und der Weltmeere im Jahr 2023 und der gleichzeitigen Rückkehr zur Kohleverbrennung als Hauptenergiequelle in der größten europäischen Volkswirtschaft stehen die in der europäischen Vereinbarung festgelegten Ziele und die Methoden zu ihrer Verwirklichung offensichtlich im Widerspruch zur sozioökologischen Realität.

    Es trägt auch nicht zur Glaubwürdigkeit des europäischen Green Deals bei, dass er den Anstieg der Treibhausgasemissionen durch die Waffenproduktion und die Zunahme aller Arten von militärischen Aktivitäten in Europa praktisch ignoriert. Für den normalen europäischen Bürger wird diese Vereinbarung erst dann interessant, wenn der öffentliche Verkehr, insbesondere der Schienenverkehr, tatsächlich besser zugänglich ist, das heißt wenn nicht nur der lokale, sondern auch der transeuropäische Schienenverkehr nicht nur zuverlässiger als der Luft- oder Autoverkehr, sondern auch billiger ist.

    Das bedeutet, dass wir so schnell wie möglich von den Versprechungen einer Kohlenstoffbepreisung für den Luftverkehr zu deren Umsetzung übergehen müssen, ebenso wie zur Umlenkung direkter und indirekter Subventionen von der fossilen Brennstoffindustrie und verwandten Sektoren (zum Beispiel Privatflugverkehr und Seeverkehr) auf die Elektrifizierung und Modernisierung des europäischen Eisenbahnnetzes.
     

Kacper Szulecki ist Professor am Norwegischen Institut für Auswärtige Angelegenheiten und an der Universität Oslo sowie Mitglied der Redaktion von Kultura Liberalna. Seine Forschungsschwerpunkte sind Energie-, Klima- und Umweltpolitik, Dissens und Protest sowie innereuropäische Migration.
Portrait of Kacper Szulecki, professor at the Norwegian Institute of Foreign Affairs and the University of Oslo, and a member of the editorial board of Kultura Liberalna. His main research interests are energy, climate and environmental politics, dissent and protest as well as intra-European migration. Foto (Ausschnitt): © Kacper Szulecki
  • Bis zu einem gewissen Grad kann der Klimaschutz durch technologischen Fortschritt erreicht werden, und das bedeutet auch, dass sich dies für Unternehmen und Industrien auszahlt. Die grüne Modernisierung ist eine attraktive Vision, weil sie es uns ermöglicht, Wirtschaftswachstum mit ehrgeizigen Klimaschutzmaßnahmen in Einklang zu bringen.

    Wir müssen jedoch bedenken, dass die Aufrechterhaltung des derzeitigen Wirtschaftssystems höchstwahrscheinlich nicht möglich sein wird, wenn wir die klimatische Herausforderung ernst nehmen. Es gibt Grenzen dafür, wie weit wir mit marktbasierten Instrumenten und technologischer Innovation bei der Eindämmung des Klimawandels kommen können, ohne dass wir unser wirtschaftliches Handeln ernsthaft überdenken müssen. Das müssen wir berücksichtigen, und wir sollten uns vor Stimmen hüten, die behaupten, dass Klimamaßnahmen für alle von wirtschaftlichem Nutzen sein werden – damit meinen sie meist sich selbst –, aber auch vor denen, die sagen, dass wir zuerst an die Wettbewerbsfähigkeit oder die wirtschaftliche Entwicklung denken sollten und erst später an die Rettung des Klimas.
     
  • Momentan wird der Europäische Green Deal als bürokratischer Moloch oder als Angriff auf altbewährte Lebensweisen dargestellt. Der Deal ist das ehrgeizigste Nachhaltigkeitspaket, das je geschnürt wurde, aber um es attraktiver zu machen, sollten wir vielleicht betonen, dass es neben den Umweltzielen und jenseits der industriepolitischen Grundlagen letztlich um etwas geht, das man mit drei Ws beschreiben könnte: Wohlstand, Wellness und Wellbeing. Es ist ein Versuch, Europa zu einem saubereren, moderneren und lebenswerteren Ort für seine Bürger zu machen. Diese Dimensionen scheinen in einem Großteil der EU-Kommunikation und in der Medienberichterstattung verloren zu gehen. 
     

Peter Daubner ist Politikwissenschaftler, politischer Philosoph und politischer Ökonom. Portrait of Peter Daubner (Slovakia). He is a political scientist, political philosopher, and political economist. Foto (Ausschnitt): © Peter Daubner
  • Kurze Antwort: Nein. Im System des globalen Kapitalismus werden die Gebote der Wettbewerbsfähigkeit, des Wachstums, der Flexibilität und der Gewinnmaximierung zur maßgeblichen Grundlage der Politik auf nationaler und globaler Ebene erhoben. Die UN-Konferenzen zum Klimawandel, die in den letzten 30 Jahren stattgefunden haben, zeigen deutlich den absoluten Unwillen der politischen und wirtschaftlichen Eliten, den Kurs, der zum Klimakollaps führt, zu stoppen.

    Trotz dieser Konferenzen, Vereinbarungen, Verträge und gesetzgeberischen Maßnahmen nehmen die weltweiten Treibhausgasemissionen jedes Jahr zu. Der Planet Erde ist bedroht. Genau wie die Menschheit als biologische Spezies.

    Ein wichtiger Faktor, der die Nachhaltigkeit des Klimasystems des Planeten Erde beeinflusst, ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Sie hat bereits 420 ppm überschritten und steigt ständig weiter an. Gleichzeitig produzieren nur 10 Prozent der reichsten Menschen auf dem Planeten etwa 52 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, die ärmere Hälfte der Menschheit dagegen nur 7 Prozent. Der Kern der aktuellen globalen Klimakrise ist also das Versagen der politischen und wirtschaftlichen Strukturen der gegenwärtigen globalen Zivilisation.

    Die globale Klimakrise ist beispiellos und wahrscheinlich unumkehrbar. Der globale Klimawandel stellt die größte globale Bedrohung für die Ökosysteme und damit für das menschliche Leben und künftige Generationen dar. Die Bemühungen um eine Begrenzung dieser Veränderungen sind chronisch unzureichend. Um die globale Klimakrise zu bewältigen, müssen wir die fossilen Rohstoffreserven unter der Erde halten und den Übergang zu einer auf erneuerbaren Energiequellen basierenden Wirtschaft des 21. Jahrhunderts einleiten.
     
  • Der Europäische Green Deal ist die Strategie der Europäischen Union, die darauf abzielt, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, eine Verpflichtung, die sich aus dem 2015 verabschiedeten Pariser Abkommen ergibt. Trotz dieses globalen Abkommens steigen die globalen Treibhausgasemissionen jedoch jedes Jahr unaufhaltsam an. Daher werden die Verpflichtungen nicht erfüllt. Das Jahr 2023 war das wärmste Jahr in der Geschichte der Messungen. Ich persönlich bezweifle, dass es überhaupt möglich ist, allein durch die Umsetzung von Gesetzen, die auf dem Paradigma des „grünen Wachstums“ basieren, bis 2050 in der Europäischen Union Netto-Null-Emissionen zu erreichen und damit eine globale Klimakatastrophe zu verhindern.

    Der europäische Green Deal ist keine ausreichende Strategie. Und sie ist nicht einmal per se „sexy“. Sie ist das Minimum. Die globalen Klimaveränderungen sind der sichtbarste Hinweis auf die Nicht-Nachhaltigkeit des Modells des exponentiellen Wirtschaftswachstums und auf die zerstörerische Lebensstrategie der Menschheit gegenüber der Natur. Unsere Lebensweise ist nicht nachhaltig. Die globale Zivilisation muss sich kollektiv auf eine sozial-ökologische Transformation einlassen, die Produktionsverhältnisse und die Normen des Konsumverhaltens radikal ändern, ihre Lebensstrategie so ändern, dass ein Weg zur Stabilisierung des Klimasystems und damit auch zur nachhaltigen Entwicklung der globalen Zivilisation geschaffen wird.

    Wenn die Menschheit als biologische Spezies überleben soll, muss sich die gegenwärtige „kapitalistische Zivilisation“, die sich ganz dem Streben nach kurzfristigem Profit verschrieben hat, zwangsläufig zurückziehen und sich einer „ökologischen Zivilisation“ zuwenden.
     

Erik Paxian ist Ingenieur für Naturschutz und biologisches Bodenressourcenmanagement. Er ist spezialisiert auf Gartenbau, Permakultur und agroökologische Systeme.
Portrait of Erik Paxian (Hungary). He is a wildlife engineer and biological soil resources management engineer. Specialising in horticulture, permaculture, horticultural and agro-ecological systems. Foto (Ausschnitt): © Erik Paxian
Wie das fast schon klischeehafte Sprichwort der amerikanischen Ureinwohner besagt: „Wenn du den letzten Baum gefällt, den letzten Fluss vergiftet und den letzten Fisch gefangen hast, wirst du erkennen, dass Geld nicht essbar ist.“ Ohne den Fluss des Geldes gibt es keine Wirtschaft, und die heutige globalisierte moderne Gesellschaft könnte in dieser Form nicht existieren. Ich denke, das Eingangszitat bringt die Sache gut auf den Punkt. Müssen wir im Wettbewerb bleiben? Ja! Um jeden Preis? Nein!

Die menschliche Rasse ist heute das, was sie ist, dank der natürlichen Ressourcen, die sie umgeben. Das menschliche Lernen ist eine wunderbare Sache. Wir haben gelernt, Mauern aus Felsen zu bauen, Stahl aus Mineralien herzustellen, Kunststoffe in Labors zu produzieren und die vielleicht erstaunlichste Erfindung der Menschheit, das World Wide Web, zu schaffen, ganz zu schweigen von der künstlichen Intelligenz. Was wir aber noch nicht beherrschen, ist der richtige Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen, und das ist der Schlüssel zu unserer Zukunft.

Nennen Sie es Klimawandel, nennen Sie es Bodendegradation, nennen Sie es einen drastischen Verlust an biologischer Vielfalt, aber in Wirklichkeit geht es um eines - unsere Zukunft. Die Dynamik der Wirtschaft und das, was heute in ihr geschieht, kann nicht als nachhaltig bezeichnet werden. Da das Hauptanliegen der Wirtschaftsakteure darin besteht, möglichst viel Gewinn zu machen, werden auch neue Produkte in erster Linie mit dem Ziel der Gewinnerzielung und nicht mit dem Ziel echter Nachhaltigkeit geschaffen. Echte Nachhaltigkeit würde eine Reform der internen Dynamik der Marktwirtschaft und schließlich die Anerkennung der Tatsache erfordern, dass unsere unschätzbaren natürlichen Ressourcen einen intrinsischen Wert haben und nicht dem wirtschaftlichen Wettbewerb unterworfen sind.
 
Petr Doubravský ist Student, ökologischer und linker Aktivist und einer der Initiatoren und Sprecher der studentischen Klimastreiks in der Tschechischen Republik.
Portrait of Petr Doubravský (Czech Republic). He is a student, ecological and left-wing activist and one of the initiators and spokesmen of student climate strikes in the Czech Republic. Foto (Ausschnitt): © Petr Doubravský
  • Aus globaler Sicht halte ich dies für unerlässlich. Wir befinden uns in einer Welt, in der die Beziehungen zwischen den Weltmächten zunehmend eskalieren und angespannt sind. Dennoch ist eine Zusammenarbeit zur Lösung von Umweltkrisen und eine gemeinsame Verantwortung für gemeinsame Ökosysteme unumgänglich, selbst inmitten des globalen Wettbewerbs um Macht. Es gibt kaum eine andere Hoffnung.

    Aus einer engeren Perspektive betrachtet, denke ich, dass wir eher die Zusammenarbeit als den Wettbewerb betonen müssen. Wenn wir wollen, dass unsere Wirtschaft die Ökosysteme, die Natur und die Menschen stärker respektiert, brauchen wir viel mehr Kooperation als Wettbewerb. Die Schaffung lokaler Beziehungen, die Zusammenarbeit zwischen lokalen Erzeugern aller Art und Verbrauchern jeder Couleur ist ohne Kooperation nicht möglich.

    Natürlich ist der Wettbewerb unvermeidlich, wobei die Zusammenarbeit das menschlichste aller Bedürfnisse ist. Aber die Wahrheit ist, dass die derzeitige Form des Marktwettbewerbs und das Streben nach dem höchsten Gewinn bei den niedrigsten Kosten auf sterbenden Ökosystemen und einer erschöpften Gesellschaft beruht.
     
  • Der Green Deal muss sich viel mehr um die Menschen drehen und den Menschen dienen.  Stattdessen erleben wir ständig, dass Geld in den Händen der großen Akteure landet, anstatt den wirklichen Bedürfnissen der Menschen zu dienen. Das ist zum Beispiel bei Just Transition der Fall.

    Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, dass der Westen unseren Kontext nicht versteht und wir keine Führungspersönlichkeiten haben, die ihn erklären oder Lösungen fördern können, die hier funktionieren. Stattdessen hören wir hysterisches Gekreische und Horrorgeschrei.

    Wir müssen die wirklichen Bedürfnisse der normalen Menschen in die Debatte einbringen – über die lebenswichtige Rolle der öffentlichen Dienste sprechen, sei es im Bildungs- oder im Gesundheitswesen. Und nicht zuletzt über die Zukunft der Arbeit. Wenn wir die Modernisierung der Wirtschaft in geordneter Weise bewältigen wollen, müssen wir in der Lage sein, uns vorzustellen, was am Ende der Modernisierung geschehen wird. Und wir müssen wissen, dass die Arbeitsplätze und die Arbeitsbedingungen und unser Leben ein wenig besser sein werden.

Alfredas Skinulis ist einer der Gründer und Leiter des Umweltinstituts in der litauischen Hauptstadt Vilnius.
Portrait of Alfredas Skinulis (Lithuania). He is a founder and director of the Environmental Institute in Vilnius. Foto (Ausschnitt): © Alfredas Skinulis
Es gibt viele Beispiele dafür, warum nachhaltige, klimafreundliche Geschäftslösungen bereits heute kosteneffizienter sind als nicht-nachhaltige Lösungen. Nachhaltige Geschäftspraktiken senken die Kapitalkosten für Unternehmen, verbessern die Produktivität und steigern den Unternehmenswert, und machen Produkte erschwinglicher. Nachhaltigkeit ist eine zusätzliche Chance für Unternehmen, die heutigen Herausforderungen zu meistern. Und es zahlt sich aus, bei jedem Schritt nachhaltig zu sein.

Ein erfolgreiches Unternehmen wird nicht an einem Tag aufgebaut. Nachhaltigkeit, die sich auszahlt, ist auch keine Eintagsfliege. Sie ist ein langfristiger Prozess, und nachhaltige Lösungen müssen in jeden Schritt der Unternehmenstätigkeit integriert werden. Tatsächlich liefert eine professionell entwickelte und konsequent umgesetzte Nachhaltigkeitsstrategie bereits im ersten Jahr gute Ergebnisse.

Der frühere Irrglaube, dass es bei der Nachhaltigkeit nur um die Umwelt geht, verschwindet zunehmend. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sich echte Nachhaltigkeit auf drei Bereiche stützt – Soziales, Unternehmensführung und die bereits erwähnte Umwelt.

Was sind die wichtigsten Stärken eines nachhaltigen Unternehmens? Ein nachhaltiges Unternehmen ist in der Lage, langfristigen finanziellen Erfolg zu gewährleisten und attraktive Arbeitsplätze zu schaffen, die in hohem Maße sozialverträglich sind. Nachhaltige Unternehmen schaffen jedoch nicht nur Werte für sich selbst, sondern unterstützen auch das Wohlergehen ihrer Gemeinschaften und tragen zur langfristigen Nachhaltigkeit unseres Planeten bei, indem sie die Umweltauswirkungen ihrer Tätigkeit verringern und innovative Lösungen einführen.

Umfragen zeigen, dass 69 Prozent der Arbeitssuchenden sich Gedanken darüber machen, ob ihr künftiger Arbeitgeber nachhaltig arbeitet. Die Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie kann also die Attraktivität eines Unternehmens auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.

Nachhaltige Unternehmen sind rentabler, innovativer und widerstandsfähiger gegenüber Veränderungen, weshalb sich Investoren zunehmend diesen Unternehmen zuwenden, um neue Chancen zu nutzen. Eine EY-Umfrage hat ergeben, dass 74 Prozent der Anleger vor Investitionen in Unternehmen mit einer fragwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie zurückschrecken, und sogar 90 Prozent der Anleger achten bei ihren Entscheidungen verstärkt auf Nachhaltigkeit.

Es hat sich bereits gezeigt, dass Unternehmen, die nachhaltige Lösungen einführen, eine höhere Produktivität, Loyalität und sogar ein um 55 Prozent besseres Wohlbefinden der Mitarbeiter verzeichnen.

Durch die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen kann ein Unternehmen positive Veränderungen in fast allen Bereichen seiner Tätigkeit feststellen: Wettbewerbsvorteile, Image, ein loyaleres Team und eine Steigerung des Unternehmenswertes. Damit dies funktioniert, ist es wichtig, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, die für Sie funktioniert, und die Nachhaltigkeit in jeden Schritt Ihres Unternehmens zu integrieren.
 
Martin Abel (Tschechische Republik) ist Jurist und Analyst mit Schwerpunkt auf der Dekarbonisierung der Wirtschaft, insbesondere des Energiesektors.

Portrait of Martin Abel (Czech Republic). He is a lawyer and analyst who focuses on decarbonization of the economy, especially the energy sector. He founded the Agrivoltaika Club, which sought to legalize the dual use of land for agriculture and energy. Foto (Ausschnitt): © Martin Abel Die Vorstellung, dass Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit grundsätzlich im Widerspruch zueinander stehen, ist weit verbreitet, aber ein Irrtum. Zu den Kosten der Untätigkeit beim Klimaschutz gehören der Verlust von Infrastruktur, die Abwanderung aus der Umwelt und soziale Unruhen – kaum ein gutes Umfeld für wettbewerbsfähige Unternehmen. Ich denke, die meisten Unternehmen sind sich dessen bewusst. Tatsächlich entwickeln viele von ihnen nachhaltigere Geschäftsmodelle, die in der Lage sind, Unternehmen, die auf konventionelle Technologien angewiesen sind, aus dem Geschäft zu drängen. Weniger Energie, weniger Materialien, zufriedenere Mitarbeiter. Das ist der Weg des Kapitalismus. Entweder man ist innovativ oder man stirbt.

Die Europäische Kommission besteht auf ihrer Webseite wörtlich darauf, dass die Green-Deal-Wirtschaft „modern, ressourcenschonend und wettbewerbsfähig“ sein wird. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Umsetzung dieser Vision nicht nur Sonderzölle auf importierte Waren (CBAM), sondern auch staatliche Unterstützung für Schlüsselindustrien, umfangreiche Umschulungen und andere Schutzmaßnahmen erfordert. Nicht, weil andere Kontinente nicht in nachhaltige Technologien investieren, sondern gerade weil sie es tun, und zwar ebenfalls mit erheblicher staatlicher Unterstützung. Ich habe vorhin angedeutet, dass allgemeine Wettbewerbsfähigkeit allgemeine Nachhaltigkeit voraussetzt. Man könnte sagen, dass es auch andersherum funktioniert. Um die grünen Investitionen zu finanzieren, müssen die europäischen Unternehmen auf dem internationalen Markt erfolgreich sein. Es ist an der Zeit, dass wir die Nachhaltigkeit als Chance begreifen.
 
Živilė Mantrimaitė aus Litauen ist eine Aktivistin und Forscherin für Klimagerechtigkeit. Zu ihren Themen gehören Energiearmut, Energiedemokratie und -eigentum, Strategien für erneuerbare Energien und Luftverschmutzung.
Portrait of Živilė Mantrimaitė (Lithuania). She is a climate justice activist and researcher. Her research and advocacy topics include energy poverty, energy democracy and ownership, renewable energy policies and air pollution. Foto (Ausschnitt): © NARA
  • Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zur Förderung des Wirtschaftswachstums wurde als Lösung zur Überwindung von Armut und Ungleichheit angesehen. Angesichts der drohenden ökologischen Krise, des weltweit sinkenden Lebensstandards und der steigenden Arbeitslosigkeit verkennt das Wirtschaftswachstum, das auf dem Abbau von Rohstoffen und fossilen Brennstoffen beruht, jedoch, dass wir auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen leben. Wie das Economic World Forum berichtet, verbraucht die Weltbevölkerung derzeit so viele natürliche Ressourcen, wie 1,7 Erden bereitstellen können. Mehr als eine Erde haben wir jedoch nicht. Und hier stehen wir vor der schwierigen Frage: Sollten wir den wirtschaftlichen Wettbewerb stoppen, um eine nachhaltige Zukunft für alle zu sichern?

    Das herkömmliche, auf dem BIP (Bruttoinlandsprodukt) basierende Wirtschaftswachstumsmodell ist kaum mit der Klimanachhaltigkeit vereinbar. Wie die Forschung zeigt, führt ein Anstieg des BIP zu einem intensiveren Ressourcen- und Energieverbrauch. In der Gewissheit, dass der Ressourcenverbrauch nicht vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt werden kann, hat sich die Europäische Umweltagentur für alternative Lösungen zum derzeitigen Wirtschaftsmodell eingesetzt, und das Europäische Parlament hat mehrere Konferenzen veranstaltet, die sich mit neuen Wirtschaftssystemen jenseits des Wachstums befassten. Es sind mehrere neue Modelle entstanden, darunter die Degrowth-Strategie und die Doughnut-Ökonomie, die darauf abzielen, den Erfolg der Wirtschaft nicht am Wachstum, sondern am Wohlergehen der Menschen und des Planeten zu messen. Diese sich entwickelnden neuen Modelle, die auf Solidarität statt auf Wettbewerbsfähigkeit beruhen, müssen in Betracht gezogen werden, wenn wir es ernst meinen, die planetarischen Grenzen nicht zu überschreiten und die schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels aufzuhalten.
     
  • Erstens ist es wichtig festzuhalten, dass der europäische Green Deal nicht ausreicht, um die Klimakrise zu bewältigen, und dass es immer noch mehrere „Löcher“ in den Sozial- und Umweltvorschriften gibt, die geschlossen werden müssen. Dennoch hat das Erscheinen des europäischen Green Deals bereits zu heftigen, polarisierten Diskussionen in den EU-Ländern geführt. Vor zwei Wochen sahen wir in Litauen große Proteste von Landwirten. Solche Proteste nehmen auch in anderen Ländern zu und richten sich ganz oder teilweise gegen die in dem Abkommen vorgesehenen Regelungen. Die Verwirrung über die tatsächlichen Probleme der EU-Agrarpolitik hat ein Vakuum geschaffen, das leicht mit Fehlinformationen gegen Umweltvorschriften gefüllt werden konnte. In Wirklichkeit aber gibt es angesichts von Dürre, Bränden und dem Rückgang der Artenvielfalt keine gute Zukunft für die Landwirtschaft.

    Die Kommunikation über den europäischen Green Deal sollte die verschiedenen Werte und Bedürfnisse der Menschen und Gemeinschaften in den Vordergrund stellen. Anstatt eine explizit politische oder technologische Sprache zu verwenden, sollte sie sich darauf konzentrieren, eine Geschichte darüber zu erzählen, wie der Umweltschutz mit unserem Leben zusammenhängt, wie sich die Verringerung der Luft- und Wasserverschmutzung auf unsere Gesundheit auswirkt, wie Energiegemeinschaften helfen können, mit unangemessenen Energierechnungen umzugehen, und wie die Verringerung der Bodendegradation dazu beitragen kann, unsere tägliche Nahrung zu produzieren und gleichzeitig die Kohlenstoffemissionen zu verringern.

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