Aktivismus für Tierrechte  „Unser oberstes Ziel ist eine vegane Welt“

Lukáš Vincour in Aktion.
Lukáš Vincour in Aktion. Foto: © Havva Zorlu

Wie ist das, wenn man das Leiden von Tieren in landwirtschaftlichen Betrieben, Schlachthöfen oder auf Transporten mit eigenen Augen sieht? Der Tierschützer und investigative Fotograf Lukáš Vincour dokumentiert unermüdlich die Grausamkeit und Ungerechtigkeit, die Tieren hinter verschlossenen Türen widerfährt. In diesem Interview erzählt er die Geschichten derjenigen, die nicht für sich selbst sprechen können, und berichtet von seinen Erfahrungen und dem emotionalen Tribut, den seine Arbeit fordert.

Lukáš, als investigativer Fotograf und Dokumentarfilmer wirst du immer wieder freiwillig Zeuge des Leidens und des Todes von Kühen, Schweinen, Ziegen, Hühnern und anderer Tiere in Bauernhöfen oder Schlachthöfen. Wie lange engagierst du dich schon für mehr Tierwohl?

Ich engagiere mich seit etwa sieben Jahren im Tierschutz. Nach zwei Jahren Veganismus lernte ich meine zukünftige Frau Misha kennen, die ebenfalls Veganerin ist. Der Film Carnage und mehrere Dokumentarfilme haben in uns den Wunsch geweckt, den Tieren zu helfen. Wir fingen an, uns in der Nähe von Tierbetrieben umzusehen, die wir zuvor nicht beachtet hatten – von denen wir nichts wussten – und fanden nach und nach selbst heraus, wie es dort aussah. Wir waren schockiert. Wir begannen, diese Informationen auf einer von uns eingerichteten Facebook-Seite mit dem Namen Zvířata nejíme (Wir essen keine Tiere) zu veröffentlichen. Ende 2018 beschlossen wir, mit Gleichgesinnten einen offiziellen Verein mit demselben Namen zu gründen. Wir alle wollten die Welt für die Tiere verändern. Und wir besuchten die Orte, an denen Tiere missbraucht werden, immer häufiger, um die Informationen, die wir erhielten, mit Bildmaterial zu bestätigen.

Haben sie euch da reingelassen?

Manchmal haben sie uns hineingelassen, manchmal waren die Gebäude nicht umzäunt und die Türen standen offen, manchmal mussten wir einen anderen Weg hineinfinden. Was den Schlachthof anbelangt, so waren wir immer offiziell dort. Im Herbst war ich zum Beispiel in Portugal, um einen Schlachthof mit Hühnern und Wachteln zu dokumentieren. Es war das erste Mal, dass ich dort einen Wachtelschlachthof gesehen habe. Und es war sehr traurig.
 
Mehrere Säue in getrennten Besamungsboxen in einem tschechischen Betrieb, 2020.

Mehrere Säue in getrennten Besamungsboxen in einem tschechischen Betrieb, 2020. | Foto: © Lukáš Vincour

Eine andere Art von Tier zu sehen als in der Tschechischen Republik üblich?

Ganz genau. Winzige Vögel, die ich in der ganzen Zeit, in der ich das mache, noch nie gesehen habe. Und das ist immer ein Schock für mich. Es brachte mir das Gefühl vom Anfang zurück, als ich zum ersten Mal eine Schweinefarm sah und mich in einem dunklen Stall befand. Mir wurde auch klar, dass die Verzweiflung, die ich bei dieser Tätigkeit empfinde, immer größer wird, je länger ich in dieser Umgebung bin.

Wie meinst du das?

Wenn ich diese Orte besuche und mich dort aufhalte, vergesse ich sofort alle banalen Sorgen des täglichen Lebens. Ich empfinde unbeschreibliche Verzweiflung und Wut über das, was ich dort sehe. Und ich möchte ihnen allen helfen, diese Ungerechtigkeit in die Welt hinausschreien, aber viele Menschen hören nicht zu, sie wollen es nicht sehen. Manchmal fühle ich mich auch unwohl dabei, dass das, was ich tue, einerseits sehr pervers ist – Fotos oder Videos von jemandem zu machen, der leidet, und ihm, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht zu helfen.

Wie auch für Kriegsfotografen oder Fotografen von Hungersnöten und anderen sozial dramatischen Ereignissen können diese Geschichten und Erfahrungen schwer zu ertragen sein. Ich kann mir vorstellen, dass sie auch zu einem Trauma führen können. Wie gehst du aus psychologischer Sicht damit um?

Wenn ich Lebewesen fotografiere, die leiden, möchte ich mich nicht zu sehr mit meinen Gefühlen auseinandersetzen, ich halte das nicht einmal für angemessen. Ich würde mir wünschen, dass die Leute darüber nachdenken, wer auf den Fotos zu sehen ist und ob sie sich selbst in ihre Lage versetzen können. Wir investigativen Fotografen werden von unserem Umfeld oft bemitleidet, aber ich möchte nicht bemitleidet werden und ich versuche, mich nicht kaputt zu machen, auch wenn ich mich manchmal so fühle. Ich führe ein relativ glückliches Leben, ich habe eine Wohnung, etwas zu essen, niemanden, der mich quält, und ich kann immer nach Hause gehen. Ich versuche, mich nicht zu sehr mit diesen Gefühlen zu beschäftigen und sie nicht zu sehr in mich hinein zu lassen. Ironischerweise hilft mir meine Kamera dabei, und ohne sie könnte ich nicht funktionieren. Durch den Sucher habe ich Abstand.

Was ist für dich die größte Herausforderung?

Ich glaube, das Schwierigste ist für mich, den Tieren in die Augen zu sehen. Ich kann ihnen nicht so intensiv in die Augen sehen, wie ich dir jetzt in die Augen sehen kann. Das kann ich nicht. Durch die Kamera ist es einfacher, aber ich versuche, Augenkontakt zu vermeiden.
 
Das Weiße in den Augen von Schweinen ist dem von Menschen ähnlich.

Das Weiße in den Augen von Schweinen ist dem von Menschen ähnlich. | Foto: © Lukáš Vincour

Warum wirken ihre Blicke so stark auf dich?

Ich sehe in ihren Augen einen überwältigenden Schmerz und die Sehnsucht, an einem anderen Ort zu sein. Vielleicht verspüren sie Hoffnung, dass es endlich jemanden gibt, der ihnen helfen kann. Und ich enttäusche sie, weil ich ein Foto mache und sie nicht von diesem Ort wegbringen kann. Und das sind die Situationen, die mich bedrücken.

Du setzt dich ihnen trotzdem immer wieder aus. Was motiviert dich, das zu tun?

Ich habe beschlossen, dass ich Tieren helfen möchte, und das ist einer der Wege. Leider leben wir in einer Gesellschaft, die ihre Misshandlung und Tötung toleriert und sogar legalisiert. Und ich kann nicht tatenlos zusehen, wie in unserer Nähe Ungerechtigkeiten geschehen. Ich habe zum Beispiel für eine Tierschutzkampagne einen Schlachthof in Portugal fotografiert, und meine Fotos haben die Kampagne zu einem großen Erfolg gemacht. Die Fotos und Videos wurden in den größten Medien des Landes veröffentlicht, was für mich ein gutes Feedback ist. Das gibt mir die Energie, weiterzumachen und einen Sinn in meiner Arbeit zu finden. Unser Verein Zvířata nejíme (Wir essen keine Tiere) funktioniert auch sehr stark auf der Grundlage von investigativem Filmmaterial, und das ist unser Weg. Wir decken auf, was im Verborgenen bleiben soll.
 
Jedes Jahr legen Millionen so genannter Nutztiere im Lebendtierhandel zwischen der Europäischen Union und der Türkei eine mehrtägige Reise zurück. Die dicht zusammengepferchten Tiere drängeln sich in engen Lastwagen, deren Böden mit Exkrementen bedeckt sind, und müssen Hunger, Durst und hohe Temperaturen ertragen.

Jedes Jahr legen Millionen so genannter Nutztiere im Lebendtierhandel zwischen der Europäischen Union und der Türkei eine mehrtägige Reise zurück. Die dicht zusammengepferchten Tiere drängeln sich in engen Lastwagen, deren Böden mit Exkrementen bedeckt sind, und müssen Hunger, Durst und hohe Temperaturen ertragen. | Foto: © Lukáš Vincour

Trotzdem ist die Psyche sehr wichtig, allein schon, damit man den Tieren langfristig helfen kann.

Dem kann ich nur zustimmen. Es hilft mir, Zeit in der Natur zu verbringen, allein. Das gibt mir neue Energie. Ich glaube, wenn man das Leiden der Tiere eine Zeit lang nicht miterlebt, vergisst man es. Zumindest habe ich das bei mir selbst beobachtet. Vielleicht ist es deshalb für einige schwer, die Frustration mancher Veganer zu verstehen, die Tieren von Angesicht zu Angesicht begegnen. Es ist etwas anderes, als sie auf Fotos oder in Videos zu sehen, oder sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Wenn ich dann zurückkomme, ist alles wieder da, die Wut und der starke Wunsch, ihnen zu helfen.

Ich habe gehört, dass eure Aufnahmen zur Schließung einiger Schlachthöfe in der Tschechischen Republik geführt haben. Ist das wahr?

Wir betreiben eine Kampagne mit dem Titel Chci znát pravdu (Ich will die Wahrheit wissen), mit der wir versuchen, ein Online-Kamerasystem in Schlachthöfen für die Öffentlichkeit einzuführen. Im Rahmen dieser Kampagne haben wir verdecktes Filmmaterial aus mehreren Schlachthöfen aufgenommen und veröffentlicht, das zeigt, wie die Mitarbeiter mit den Tieren in den Entladebereichen umgehen. Die staatliche Veterinärverwaltung hat gegen alle Schlachthöfe, deren Aufnahmen wir veröffentlicht haben, Strafanzeige erstattet. Der Schlachthof in Všetice wurde nach etwa zwei Jahren geschlossen, und es ist schwer zu sagen, inwiefern das mit dem veröffentlichten Material zusammenhängt. Aber der Schlachthof in Hrabětice stellte nur eine Woche nach der Veröffentlichung des Filmmaterials seinen Betrieb ein! Der Prozess gegen die drei Täter aus Hrabětice ist gerade zu Ende gegangen.

Wofür wurde ihnen der Prozess gemacht?

Für die Art, wie sie die Tiere behandelten. Sie haben zum Beispiel eine Kuh in einem Transport an den Beinen gefesselt und in den Schlachthof geschleift. Das Gleiche haben sie mit den Schweinen gemacht. Sie stießen die Tiere mit Elektroschockern, traten sie, zogen an ihren Ohren und Schwänzen. Solche Situationen sind aber in Schlachthöfen alltäglich, das ist keine Ausnahme. Und wir haben das schon mehrmals nachgewiesen. Als ich das erste Mal in diesem Fall vor Gericht stand und hörte, wie der Staatsanwalt die Anklageschrift verlas, fand ich das absurd.

Inwiefern absurd?

Man droht ihnen mit Gefängnis, wenn sie ein Schwein treten oder eine Kuh am Schwanz ziehen, aber im Schlachthof werden die Tiere getötet, und das ist legal. Das ergibt für mich keinen Sinn. Es ist legal, jemanden zu töten, aber es ist illegal, ihn zu treten. So oder so sind wir froh, dass dieser Fall vor Gericht kam.

Und sie wurden verurteilt?

Das Gericht hat sie für schuldig befunden. Die Täter wurden wegen Tierquälerei in besonders grausamer Form bestraft. Einer von ihnen wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, der zweite zu einer Bewährungsstrafe von zweieinhalb Jahren mit einer dreijährigen Bewährungsfrist und der dritte zu einer Geldstrafe von 45.000 Tschechischen Kronen (etwa 1.800 Euro). Das ist das erste Mal in der Tschechischen Republik, dass jemand wegen Tierquälerei in einem Schlachthof zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

Stellt ihr auch Strafanzeigen?

Nicht wirklich, wir konzentrieren uns hauptsächlich auf die Arbeit vor Ort. Wir arbeiten aber mit der Organisation Hlas zvířat (Stimme der Tiere) und der Anwaltskanzlei Plicka & Partner zusammen, die die Fälle dann juristisch bearbeiten. Für uns wäre eigentlich alles ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, wir wollen nicht akzeptieren, dass es einen rechtlichen Rahmen gibt, der es erlaubt, Tiere zu töten.

Du hast eingangs erwähnt, dass du und Miša den Verein Zvířata nejíme (Wir essen keine Tiere) gegründet habt, der sogar seinen gleichnamigen Podcast hat. In der Tschechischen Republik gibt es mehrere Organisationen, die sich dem Tierschutz widmen. Ob es um die sogenannten Nutztiere geht, um Tiere in Labors, Zirkussen oder Pelzfarmen. Wie vervollständigst du dieses Mosaik?

In erster Linie mit den Recherchen und der umfassenden Berichterstattung. Wir versuchen, so viele Arten von Tieren und Arten des Missbrauchs von Tieren wie möglich zu erfassen und an die Öffentlichkeit zu bringen. Wir haben drei Dokumentarfilme gedreht und in die Kinos gebracht, wir haben ein Buch veröffentlicht, wir sind in den sozialen Medien aktiv... Aber es kommt vor, dass die Leute, wenn wir bestimmte Fälle veröffentlichen, diesen speziellen Betrieb „lynchen“ wollen, ignorieren dabei aber, dass das überall passiert. Manchmal will uns jemand erzählen, dass die Aufnahmen nicht aus der Tschechischen Republik stammen, sondern zum Beispiel aus China. Außerdem sind wir, im Gegensatz zu anderen, ziemlich streng in unseren Forderungen.
 
Lukáš dokumentiert für den Verein auch das Leben von Tieren in Zoos.

Lukáš dokumentiert für den Verein auch das Leben von Tieren in Zoos. | Foto: © Lukáš Vincour

Du hast Portugal erwähnt, aber das Filmmaterial in euren Kampagnen oder Dokumentationen stammt ausschließlich aus der Tschechischen Republik?

Ja, alles wurde auf Bauernhöfen oder Schlachthöfen in der Tschechischen Republik aufgenommen, das ist uns sehr wichtig. Aber es gibt Ausnahmen, wenn wir zum Beispiel keine gut dokumentierte Kastration von Ferkeln haben und wir Fotos von We Animals Media oder anderen investigativen Fotografen verwenden. In diesem Fall geben wir die Quelle an und weisen darauf hin, dass die Fotos nicht von uns sind. Wir verwenden auch Aufnahmen von versteckten Kameras, die ich für sehr wertvoll halte, weil sie zeigen, wie Mitarbeiter Tiere behandeln, wenn sie denken, dass niemand sie sehen kann. Wir veröffentlichen die Fotos auf der Website von Nevinné oběti (Unschuldige Opfer).

Im Unterschied zu anderen Organisationen organisiert ihr auch Protestaktionen. Gibt es etwas, was für dich eine Grenze überschreitet?

Wir organisieren keine direkten Aktionen, aber ich habe an ein paar teilgenommen, meistens als Fotograf. Ich weiß nicht, ob manche zu weit gehen, aber an manchen würde ich nicht teilnehmen wollen und sie lieber aus der Ferne beobachten. Vor kurzem sind Leute von der 269-Bewegung in einen Schlachthof in Frankreich gestürmt und haben ihn blockiert und einige Schweine gerettet. Ich bin ein Fan ihrer Aktivitäten, ich freue mich unglaublich für sie, aber ich habe meine Grenzen und ich hinterfrage und analysiere jede Aktion, an der ich mich beteiligen könnte. Es ist wichtig, auch an die Konsequenzen zu denken.
 

Wie entscheidet ihr in eurem Kollektiv, worauf ihr eure Zeit und Energie verwenden wollt?

Wir orientieren uns stark an der aktuellen Situation, vor allem an den Materialien, die wir erhalten. Dann entscheiden wir als Team, wofür wir unsere Zeit aufwenden wollen.

Ihr habt also keinen strategischen Plan, anhand dessen ihr über verschiedene Mittel und Wege der Hilfe nachdenkt und die effektivsten auswählt?

Wir denken sehr wohl darüber nach, aber wir haben keine Strategie für einen längeren Zeitraum. Als wir beschlossen, Svědectví (Zeugnis) zu drehen, gab es natürlich einen Plan. Wir werden bald eine neue Kampagne starten, mit der wir einen anderen Ansatz als bisher testen wollen, und die hoffentlich viel effektiver sein wird. Die meisten im Team waren am stärksten durch Dokumentarfilme und Tieraufnahmen beeinflusst, also haben wir diesen Weg gewählt, der uns am meisten am Herzen liegt. Mir gefällt auch deine Bemerkung über Mosaike mit anderen Organisationen. Wir unterscheiden uns aber von vielen von ihnen durch die Art, wie wir kommunizieren. Wir können zum Beispiel nicht für bessere Lebensbedingungen für Tiere kämpfen und uns dann über den Sieg freuen, wenn die Kreaturen, für die wir kämpfen, trotzdem in ihren Gefängnissen bleiben und in Schlachthäusern getötet werden. Wir können ihnen dann nicht in die Augen schauen und so tun, als hätten wir ihnen geholfen. Das ultimative Ziel des Vereins ist eine vegane Welt, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wie könnte eine solche Welt deiner Meinung nach aussehen?

Die Welt könnte so aussehen wie heute, mit dem Unterschied, dass die Menschen keine Tiere mehr ausnutzen würden. Wir würden in Harmonie mit ihnen leben und sie nicht absichtlich verletzen.

Es gibt Milliarden sogenannter Nutztiere auf der Welt. Was würde mit ihnen in einer solchen Welt geschehen?

Diese Frage wird uns sehr häufig gestellt. So sehr ich mir wünschen würde, dass eine vegane Welt von heute auf morgen entsteht, wird das wahrscheinlich nicht der Fall sein. Wenn immer mehr Menschen aufhören, tierische Produkte nachzufragen, werden weniger Tiere benötigt und ihre Zahl wird auf natürliche Weise zurückgehen. Tatsächlich kontrolliert der Mensch ihre Fortpflanzung und hat die volle Kontrolle über ihren Verlauf. Außerdem werden diese Tiere überzüchtet und leiden oft in ihren unnatürlichen Körpern, weshalb sie in einer solchen Welt wahrscheinlich nicht mehr existieren würden. Und wenn es noch Tiere gäbe, die versorgt werden müssten, würden sie von Tierasylen aufgenommen werden.

Du hast bereits den Dokumentarfilm „Svědectví: Pravda, která měla zůstat skryta“ erwähnt, an dem du als Co-Autor beteiligt warst. Deiner Meinung nach sollten ihn sich vor allem diejenigen ansehen, die Tierleid verursachen, nicht nur in der Massentierhaltung. Welche Menschen meinst du damit?

Ich meine damit die Mehrheitsgesellschaft.

Inwiefern ist diese daran beteiligt?

Durch den täglichen Einkauf und die Wahl der Lebensmittel. Diejenigen, die über die Bedingungen, unter denen Tiere leben und sterben, Bescheid wissen, sind Teil der Tierindustrie und unterstützen sie. Und die würde nicht funktionieren, wenn die Leute keine tierischen Produkte kaufen würden. Aber es scheint, dass viele Menschen den Dokumentarfilm nicht sehen wollen. Nur wenige sind bereit, sich an die eigene Nase zu fassen.

Zu dieser Doku hat dich ein ähnlicher fremdsprachiger Dokumentarfilm namens „Dominion“ inspiriert. Er zeigt, auf welch unterschiedliche Weise Tiere in der Welt ausgebeutet werden – im Tierhandel, in der wissenschaftlichen Forschung oder in der Unterhaltungs-, Pelz- oder Viehzuchtindustrie. Deine Freunde und Familie konnten nicht glauben, dass so etwas auch in der Tschechischen Republik passiert. Hat dein Dokumentarfilm ihre Wahrnehmung oder ihren Lebensstil verändert?

Als sie bei der Premiere in Prag waren, hatten alle Tränen in den Augen, einige weinten und waren schockiert. Viele von ihnen sagten in der Diskussion, dass sie ihre Gewohnheiten ändern würden. Manche haben sich geändert, manche nicht, manche nur teilweise. Nun ist einige Zeit vergangen und ich glaube, dass sie die Bilder irgendwann vergessen haben, sie leben ihr Leben und haben keine Zeit, sich damit zu beschäftigen.

Konfrontierst du die Menschen in deinem Umfeld mit Fragen zu ihrem Verhalten?

Wir sprechen nicht darüber, es sei denn, sie fangen damit an. Ich ziehe es vor, über meine Arbeit zu sprechen. Sie wissen, was ich tue, also kommen wir früher oder später sowieso auf das Thema zu sprechen und sie fangen an, Fragen zu stellen. Aber es hat auch bei mir eine Weile gedauert, bis ich etwas verändert habe. Ich versuche zu verstehen, dass nicht jeder die Energie hat, beim alltäglichen Kochen für sich selbst oder die Familie an Veganismus zu denken, weil das mit unangenehmen Gefühlen verbunden ist. Andererseits geht es hier um leidende Lebewesen, die man für ein paar Momente der geschmacklichen Befriedigung tötet. Ich denke, wenn vegane Lebensmittel in jeder Kantine, jedem Restaurant, jedem Buffet und jeder Tankstelle leichter erhältlich wären, könnte dies den Weg für alle einfacher machen.

Haben Tiere aus Zuchtbetrieben deiner Meinung nach überhaupt eine Hoffnung, dass sich ihre Situation in Zukunft verbessern wird?

Das ist eine schwierige Frage. Was bedeutet es, dass sich ihr Leben verbessern wird? Man könnte sagen, dass sich ihre Situation in den letzten Jahren verbessert hat – sie haben etwas größere oder neuere Käfige, die nicht mehr so rostig sind und optisch besser wirken. Allmählich können sich ihre Lebensbedingungen verbessern, aber für mich ist das nicht der richtige Weg. Solange die Menschen die Idee am Leben erhalten, dass es in Ordnung ist, Tiere auszubeuten, wird sich für sie nicht viel ändern. Sie werden immer noch eingesperrt, enthornt, kastriert, ihnen werden immer noch die Kälber weggenommen, sie werden zur Schlachtung getrieben...

Du hast also keine Hoffnung mehr?

Eine gewisse Hoffnung habe ich schon noch. Ich möchte gerne hoffen und glauben, aber das wird immer schwieriger.
Lukáš Vincour (*1984) ist ein Tierrechtsaktivist, investigativer Fotograf und Dokumentarfilmer, auch wenn viele ihn als Schlagzeuger von Pipes and Pints und weiteren Bands kennen. Mit dem von ihm gegründeten Verein Zvířata nejíme veröffentlichte er 2020 das Buch Nesvoboda (Unfreiheit) über Tiermissbrauch in der Tschechischen Republik. Er hat die Dokumentarfilme Svědectví: Pravda, která měla zůstat skryta (Zeugnis: Die Wahrheit, die im Verborgenen bleiben sollte), Náctiletí aktivisté: Život v neveganském světě (Teenager-Aktivisten: Leben in einer nicht veganen Welt) und Záchrana: Na každém životě záleží (Die Rettung: Jedes Leben zählt) gedreht. Er trägt mit seinen Fotos zur weltberühmten Fotobibliothek von We Animals Media bei.

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