„Viele Studienergebnisse zeigen, dass je mehr einfache Moralkategorien in einer Debatte vertreten sind: gut – böse, desto polarisierter werden die Parteien und weniger wirksam die Maßnahmen. Das klingt paradox, oder?“ Marcin Napiórkowski, Semiotiker von der Universität Warschau, spricht mit dem Journalisten Piotr Sołowij darüber, wie man wirksame Erzählungen über die Klimapolitik entwickelt.
Ist es eine gute Maßnahme, das Denkmal der Warschauer Seejungfer mit Wasser und Farbe zu übergießen, um den Klimawandel aufzuhalten?
Ich weiß es nicht. Es ist aber sicherlich gut zu wissen, welches Risiko eine solche Strategie mit sich bringt. Im Forschungsprojekt NODES untersuchen wir öffentliche Narrative, unter anderem über das Klima. Es ist deutlich zu sehen, dass der Backlash, also eine negative Reaktion, zu einem immer größeren Problem in der Kommunikation wird. Es steigt die Anzahl von Menschen, die ihre Identität und Handlung durch den Widerstand gegen „den Terror der neuen grünen Klimadystopie“ definieren. Eine Folge von Aktionen, in denen Symbole angegriffen werden, ist die Verhärtung solcher Haltungen. Die Frage ist: Überwiegen positive Folgen, also bekommt das Problem die gewünschte Aufmerksamkeit? In dem Fall scheint es, dass nur die Überzeugten überzeugt werden und eine immer stärkere negative Reaktion von Skeptischen hervorgerufen wird, was die Polarisierung begünstigt.Ähnliche Reaktionen konnte man bei den Protesten von Bäuerinnen und Bauern gegen den Europäischen Green Deal sehen. Heißt das, dass wir mit der Kommunikation über den Klimawandel ein Problem haben?
Natürlich haben wir damit ein Problem. Allerdings ist die Vielzahl von Narrativen, Erzählungen, Interpretationen in einer demokratischen, vielfältigen Gesellschaft natürlich. Einstimmigkeit soll nicht das Ziel sein. So was kommt nur in totalitären Regimen vor. Am Beispiel des Green Deal kann man gut sehen, dass man keine wirksame Klimapolitik betreiben kann, ohne eine breite Front zu bauen und unterschiedliche Gruppen zu erreichen.Das aktuelle Narrativ über den Europäischen Green Deal nennen wir im NODES-Projekt „Wir können die Krise überwinden und damit noch Geld verdienen“. Wenn man in die Bildersuche „Europäischer Green Deal“ eingibt, dann erhält man viele Grafiken von Puzzeln, Ideen in Form der Mendelejew-Tabelle oder virtuelle Schnittstellen wie aus dem Film Minority Report. All das sind Erzählungen über Kontrolle, Macht von Experten, Lösungen von oben, denen Normen, Verboten und Auflagen zugrunde liegen.
Dass die meisten Menschen anders denken, zeigt die Tatsache, wie eine solche Botschaft ankommt. Einerseits gibt es einen starken Protest von der Partei, die sagt: „Schaut mal, sie wollen uns Autos wegnehmen, uns mit Insekten füttern, uns verbieten, in die Stadt reinzufahren, sie wollen unser Leben auf den Kopf stellen“. Andererseits gibt es eine genauso kritische Reaktion von Menschen, die sagen: „Nein, das ist nur Greenwashing, eine neue Form von Kapitalismus – es werden keine Probleme gelöst, sondern die Reichen noch reicher“.
Es scheint, dass mit dem Konzept niemand außer dessen Erfindern und Fachleuten so richtig zufrieden ist. Was nicht heißt, dass bestimmte Vorschläge sinnlos sind. Das Problem sind vielmehr die Erzählungen, die Narrative, also wie man über den Europäischen Green Deal spricht. Bedürfnisse, Ängste und Werte, die derzeit in der Gesellschaft vorhanden sind, werden in ihnen nicht angesprochen.
In Ihrem Buch „Zukunft reparieren. Warum wir bessere Erzählungen brauchen, um die Welt zu retten“ („Naprawić przyszłość. Dlaczego potrzebujemy lepszych opowieści, żeby uratować świat“) beschreiben Sie die zwei häufigsten Erzählungen über den Klimawandel, nämlich den Technikoptimismus und den Technikpessimismus. Was bedeuten sie in Bezug auf den Europäischen Green Deal?
Die Erzählweise über den Europäischen Green Deal geht in die Richtung des Technikoptimismus. Es wird erzählt: „Keine Angst, wie haben das Problem gefunden und jetzt, dank des technologischen und wissenschaftlichen Fortschritts, kann es behoben werden“. Das hat seine Vorteile, denn so steigt unser Wohlbefinden, was ja wichtig ist. Es hat aber auch Nachteile, denn es macht uns weniger wachsam. Es nimmt von uns die Verantwortung und gibt uns das Gefühl, dass eigentlich gar nichts an uns liegt.Technikpessimismus ist die umgekehrte Erzählung: „Die Apokalypse kommt, keine Technologie kann uns retten. Neben Vorteilen bringt jede neue Lösung neue Probleme mit sich. Kaum hat man ein Loch gestopft, kommen ein oder zwei weitere neue dazu. Daher sind wir zum Untergang verurteilt. Egal, was wir tun – es liegt nicht an uns.“
Diese Erzählungen, die kaum stimmen, vermitteln letztendlich ein sehr ähnliches Bild vom Menschen und seiner Rolle: Ein kleiner Fisch ohne Einfluss auf die Wirklichkeit, in der alles von der Technik abhängig ist, die uns entweder rettet oder zum Verhängnis wird.
Wie könnte eine bessere Erzählung aussehen?
Es sollte nicht nur eine Erzählung sein. Wir brauchen mehrere Stimmen, um zwei widersprüchliche Sachen in Einklang zu bringen. Erstens, es geht um faktengestützte Politik. Wenn Forscher sagen, dass das Klima sich erwärmt und die Impfstoffe wirken, dann gibt es hier keinen Raum für Polemik. Zweitens, es geht um deliberative Demokratie, in derer Mittelpunkt nicht wissenschaftliche Tatsachen stehen, sondern Diskussion über Werte, Ängste und Wünsche.Wir stehen nun vor der Herausforderung, die beiden Sachen in Einklang zu bringen. Die besten technologischen Lösungen bringen kaum Nutzen, wenn sie keine Akzeptanz finden. Immer bessere Lösungen in Bezug auf Klima, Energie und Verkehr werden entwickelt und von Menschen abgelehnt, wenn sie nicht verstehen, warum diese Lösungen wichtig sind.
Es ist eine enorme Herausforderung, Brücken zwischen Wissenschaft und Werten zu bauen, und wir sind nicht gut darin. Oft denken wir: „Gebt uns bitte eine Lösung für alle Probleme“. Inzwischen wurde klar, dass es für komplexe Probleme wie die Pandemie oder den Klimawandel keine Wunderlösung geben kann. Was uns retten kann, ist ein Zusammenspiel von Lösungen und Innovationen. Keine von ihnen ist perfekt, aber zusammen bringen sie uns eine bessere Wirklichkeit.
Ist es möglich, gemeinsame Lösungen zu entwickeln, wenn politische Spaltungen immer tiefer werden?
Leider nicht, im Gegenteil. Durch Algorithmen in den sozialen Medien werden uns polarisierende Inhalte angezeigt. Das entfernt uns von Kompromissen in der Öffentlichkeit.Man soll allerdings die Hoffnung nicht aufgeben. Der Runde Tisch in Polen hat mich schon immer inspiriert. Ich finde, es ist unser unterschätzter positiver Mythos. Haben die Ereignisse von 1989 das Leben in Polen zur Utopie gemacht? Überhaupt nicht! Die Wirklichkeit funktioniert so nicht; es ist kein Walt-Disney-Film. Einige Probleme wurden behoben, viele neue sind dazu gekommen. Am Beispiel des Runden Tisches kann man jedoch sehen, dass selbst zwei sehr gespaltene Parteien unter Einhaltung bestimmter Regeln zusammenkommen und miteinander reden können.
Die am Runden Tisch erarbeiteten Regeln sind universell. Wir können viel davon lernen. Wir verdanken das Prof. Janusz Reykowski. Er ist ein vergessener Held dieses Ereignisses. Als Psychologe war er für die Organisation der Gesprächsrunden zuständig. Jahrelang hat er daran gearbeitet, wie man einen verständigungsfördernden Raum schafft, auch wenn Parteien absolut zerstritten sind. Also einen Raum, der umgekehrt als gegenwärtige Soziale Medien funktioniert. Es stellt sich heraus, dass wenn man auf der allgemeinen Ebene redet, dann steigt der Antagonismus. Wenn man allerdings ein konkretes Problem bearbeiten soll, zum Beispiel die Wohnungskrise, dann beteiligen sich beide Parteien an der gemeinsamen Lösungssuche. Unterschiede wirken sich dann nicht mehr hinderlich aus, sondern können helfen, denn sie ermöglichen eine mehrdimensionale Sicht auf das Problem.
Es gibt noch mehr solche Regeln. Wichtig ist es, sich nicht zu unterbrechen, damit beide Parteien zu Wort kommen; nicht in der Vergangenheit zu verharren, sondern sich auf die zu lösenden Probleme und nicht auf Identitäten zu konzentrieren. Folglich kann man Schritt für Schritt einen öffentlichen Raum schaffen, in dem ein Kompromiss nichts Schlimmes ist. Man versteht dann, dass wenn man die wichtigsten Herausforderungen meistern will, dann muss man sich auch mit denen verständigen, die andere Meinungen, Werte und Prioritäten haben.
Gibt es Beispiele aus der grünen Politik, die als Inspiration dienen können?
Ich liebe die Geschichte des Ozonlochs. Meiner Generation wurde in der Kindheit damit Angst eingejagt. Ich kann mich erinnern, dass ich damit meine Schwester in Angst versetzen wollte. In unserem Wohnhaus gab es ein kleines dreckiges Loch. Als ich auf meine Schwester aufpasste und nicht wollte, dass sie da reingeht, sagte ich zu ihr: „Geh da nicht rein, dort ist das Ozonloch, du fällst da rein und stirbst“. Als Kinder wussten wir, dass das kein Spaß war, denn das Ozonloch war sehr gefährlich.Heute wird das Ozonloch in der Klimadebatte wieder aufgegriffen. Man sagt: „Ja, ja, ihr wollt uns immer in Angst versetzen; vor 30 Jahren war es das Ozonloch, wo ist es jetzt?“. Tatsächlich wurde das Problem weitgehend behoben. Die Forscher*innen haben herausgefunden, dass wenn die Ozonschicht weiterhin abgebaut worden wäre, dann hätte das ernsthafte Konsequenzen bedeutet. Politiker*innen und Wähler*innen haben das zur Kenntnis genommen. Es wurden globale Maßnahmen unternommen, um Emissionen von Freonen zu senken. Natürlich war es eine einfachere Herausforderung als der Klimawandel. Es war allerdings eine globale Herausforderung, die die Menschheit gemeistert hat. Ein Punkt für uns!
Welche Mythen in der Klimadebatte ärgern Sie am meisten?
Es ist sehr leicht, unterschiedliche Antiklimanarrative und Verschwörungserzählungen aufzudecken. Spannender und lehrreicher ist es jedoch genau hinzuschauen, welche Fehler wir begehen, wenn wir die Umwelt schützen wollen.Zwei Fallen, in die wir leicht geraten, heißen „Gewissensbisse beruhigen“ und „einen Sündenbock suchen“. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir möchten ein komplexes, mehrdimensionales Problem mit einer einfachen Lösung beheben. „Nur die eine Sache tun“ oder „Nur die eine Sache nicht mehr tun“ – und alles wird wieder gut. Wenn man sich zu stark auf einen Aspekt konzentriert, dann handelt man irrational und vernachlässigt die anderen Aspekte. Ein Paradebeispiel ist die Angst vor kleinen Plastikgegenständen. Sammeln Sie Flaschendeckel?
Ja.
Eben, es ist ein gutes Beispiel. Vor einigen Jahren hat eine Freundin mich aufgefordert, Flaschendeckel zu sammeln, die sie anschließend bei mir abholen und in eine Grundschule [als eine Zwischensammelstelle – Anm. d. Ü.] bringen würde. Ich dachte mir: Einen Moment bitte, das ergibt doch keinen Sinn. Wenn Flaschendeckel etwas wert wären, würden Flaschensammler auch Flaschendeckel sammeln. Als Forscher fand ich es interessant, der Sache nachzugehen. Die Aktion war neu und man konnte im Internet verschiedene faszinierende Erklärungen finden, warum Flaschendeckel gesammelt werden sollten. Möglicherweise werden sie für Autobahnen gemahlen oder von der Coca-Cola Company gekauft? Es gab auch jede Menge absurder Antworten, zum Beispiel, Flaschenpressen würden in den Mülldeponien explodieren, wenn Flaschen zugemacht sind.Die Antwort war hingegen einfach. Flaschendeckel sind aus Plastik. Sie wurden angekauft. Ich wollte wissen, was denken die Menschen, wie viel ein Flaschendeckel wert ist. Es wurde zwischen 20 und 60 polnische Groschen [etwa 5 bis 14 Cent] geschätzt. In der Tat lagen die Preise zwischen 20 und 60 Groschen, allerdings nicht pro Stück, sondern pro Kilogramm. Ein Kilogramm Flaschendeckel sind ungefähr 432 Stück.
Was können wir aus der Geschichte lernen? Man braucht eine Tonne Flaschendeckel, um eine sinnvolle Geldsumme zu bekommen. Gleichzeitig wurde nicht beachtet, dass der Transport von Tonnen von Flaschendeckeln viel größere wirtschaftliche und umweltbezogene Kosten verursachte, als sie wert waren. Der Höhepunkt dieser Aktion waren große, schöne Metallherzen, die als Sammelbehälter für Flaschendeckel in allen Kommunen aufgestellt wurden. Nun hat Ursula von der Leyen dem Spiel ein Ende gesetzt, da Flaschen jetzt fest verbundene Deckel haben müssen. Die Riesenherzen vor jedem Rathaus bleiben nun leer … Die Geschichte mit den Flaschendeckeln, ähnlich wie der Glaube an die Wunderwirkung, wenn Plastikstrohhalme verschwinden, zeigt die Tendenz zum eindimensionalen Denken. Das Plastikproblem ist hingegen komplex. Es kann nicht mit einer einfachen Maßnahme gelöst werden.
Können wir uns gegen solche eindimensionalen Erzählungen unempfindlich machen?
Wir sind doch von Natur aus unempfindlich gegen solche Denkweisen! Wir verstehen, dass ein Kochtopf für 10.000 Złoty [ca. 2330 Euro] unsere Probleme nicht löst. Wenn man uns einen solchen Wunderkochtopf verkaufen will, lehnen wir leicht ab. Wir neigen zu einer solchen Denkweise nur dann, wenn wir sehr daran glauben wollen, dass etwas wirkt.Ein anderes Problem stellen Werte dar. Moralpredigt heißt Polarisierung. Viele Studienergebnisse zeigen, dass je mehr einfache Moralkategorien in einer Debatte vertreten sind: gut – böse, richtig – falsch, wir – sie, desto polarisierter werden die Parteien und weniger wirksam die Maßnahmen. Das klingt paradox, oder? Wir wollen den Kampf zwischen Gut und Böse. Wir glauben, es würde uns mehr motivieren. Doch je mehr man in solchen Kategorien denkt, desto eifriger sucht man nach Abweichungen von den Regeln, statt sich zu verständigen, um wirksam zu handeln.
Es geht nicht darum zu denken, dass es egal ist, ob das Klima immer wärmer wird oder ob man von genetisch modifizierten Organismen Tentakel bekommt – denn die Forschung gibt uns Antworten auf viele Fragen. Wissenschaftliche Erkenntnisse geben uns aber keine moralische Überlegenheit. Physik sagt nichts über Richtigkeit. Die Forschungsergebnisse sagen, dass das Klima sich erwärmt und dass es möglicherweise für uns alle zu warm wird; es wird jedoch nicht darauf hingewiesen, warum wir etwas dagegen unternehmen sollen, wer die Kosten der grünen Transformation tragen soll und wie man den Aufwand verteilen soll. Darüber müssen wir uns einig werden.
Können kluge Erzählungen die Welt retten?
Eine gute Frage. Erzählungen können manchmal klüger als Menschen sein. Ich kenne viele nicht besonders kluge Menschen, die kluge Erzählungen haben, tolle Sachen machen, einen großartigen Lebensstil führen, große Erfolge feiern, weil ihre Erzählungen eine gute Gebrauchsanweisung für die Wirklichkeit sind.Deswegen lohnt es sich, für gute Erzählungen zu sorgen. Sie wachsen durch Vielfalt. In Filterblasen zu verharren und Dialog zu vermeiden, wenn man anderen nicht zuhören will, weil man glaubt, ihre Erzählungen seien böse, weit entfernt von den eigenen Wertvorstellungen, ist gleichzusetzen mit Verbrennung von Bibliotheken. So werden die Zahl und Vielfalt von Erzählungen sinken. Dabei verhält es sich mit Erzählungen wie mit Ökosystemen. Die Antwort darauf sind letztendlich Fülle und Vielfalt. Das sollen wir lernen, wenn wir eine Welt gestalten wollen, die nicht auf wüstenartiger Monokultur und zubetonierten Flächen aufgebaut ist. Es lohnt sich, mit der Entbetonierung der eigenen Erzählungen anzufangen. Wir sollen zulassen, dass da auch Unkraut wächst, dass nicht alles kontrolliert und aufgeräumt ist, dass Zweifel kommen können. Das wird uns allen guttun.
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Dieser Artikel erschien zuerst in der polnischen ZeitschriftApril 2024