Die nördliche Lagune
Geisterland
Dieses Schreiben soll eine kurze Erzählung der nördlichen Region des Bundeslands Zacatecas in Mexiko sein, wo die Bundesländer Durango und Coahuila zusammentreffen. Es wird kurz auf fünf Punkte eingegangen, von denen aus wir uns den Problemen und Widersprüchlichkeiten annähern werden, die man dort erleben kann, sei es durch die Beschäftigung mit der Geschichte oder durch direkte Erfahrungen in diesem Landstrich. Zunächst der Widerspruch, der durch eine unvollendete Revolution entstand: ein Blick auf das Erlebnis einer Zugreise, auf das öde und einsame Land; schließlich ein toter Punkt, an dem nur getrunken und gesungen wird.
Die Erde ist sehr rot oder sehr braun, beim Vorüberfahren des Zugs ein Himmel, der – der Sonne gegenüber – so rot ist wie ein Apfel und so still, als wenn man in einem trostlosen Land leben würde. Ein kurzer Blick stiftet Verwirrung: Lichtreflex oder Land der Toten. Man lebt oben auf den Bergen oder auf den Ebenen aus Ödland oder Saatfeldern. Ab diesem Moment ist man ein abwesender Sohn. Das Leben vergeht, während man von einer Parzelle zur nächsten zieht, von einem Weg zum nächsten, von einem Land zum nächsten, eine vorübergehende Existenz, manchmal düster, manchmal fröhlich. Man lebt, um zu wandern und zu fehlen, um das Land zu verlassen oder sich den Lebensunterhalt zu verdienen.
Zacatecas stellt als Folge der mexikanischen Revolution einen der Widersprüche dar. Bis vor einem Jahr war Zacatecas ein institutionalisiertes revolutionäres Bundesland, aber tatsächlich voller Ungleichheit und arm. Wenn seine wirtschaftliche Rückständigkeit am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts beträchtlich war, verhindert die hohe Gewaltrate heute, im 21. Jahrhundert, jede Möglichkeit des Fortschritts. Nach und nach verlassen die Menschen ihre Heimat, jetzt nicht mehr nur, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um sich vor Gewaltkonflikten in Sicherheit zu bringen.
Passagierzüge sind seit den Neunzigerjahren nach und nach aus Mexiko verschwunden. Eine Zugfahrt kam oft als Alternative in Frage, um zu verreisen. Mit den Jahren hat die Möglichkeit nachzuprüfen, dass mit den Zügen auch historisches Gedächtnis das Land verlassen hat, praktisch aufgehört zu existieren. Ohne Züge liegt die Bestätigung der Revolution in Büchern, Statuen und öffentlichen Gebäuden. Als die Bahnhöfe aus Zacatecas verschwunden sind, verschwand damit auch die Möglichkeit, von außen her Zugang zu dem lokalen historischen Gedächtnis zu bekommen. Nur die Menschen, die in den kleinen Dörfern an den Zuglinien leben, sind jetzt für ihr eigenes historisches Gedächtnis zuständig: für ihre Anekdoten, für ihre Mikrogeschichte und dafür, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Die anderen, die von einem Bahnhof zum nächsten gefahren sind, von einem Bundesland ins nächste, können jetzt an den vergangenen Ereignissen, die zu der Zeit der Revolution entscheidend waren und wie nebenher gelebt wurden, wenn man die Landschaften ansah und am Bahnhof ankam, nicht mehr teilhaben. Jetzt sind die Orte in Vergessenheit geraten, kleine Dörfer, Landstriche, die durch die Passagierzüge verbunden waren. Jetzt gibt es keine gemeinsamen Geschichten mehr. Es gibt kleine und einsame, verlassene Dörfer; sei es, weil man gehen muss, um Arbeit zu suchen, sei es, weil man aufgrund der grassierenden Gewalt auswandern muss: Es sind einsame und ausgetrocknete Orte und Dörfer, in denen der einzige Lärm seltsamerweise die Durchsage über die Durchfahrt der Güterzüge ist.
Der Blick zum Horizont ist ein verlorener Blick, ohne die Lokomotive sind die Gleise nur noch eine Idealisierung der Unendlichkeit und der Freiheit. Es bleiben unbefestigte Straßen als einziger Ausweg aus Landstrichen, die niemand mehr betreten möchte. Jetzt gehen sie nicht nur und verlassen ihr Stück Land, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, jetzt sind sie verlorene Töchter und Söhne eines Landstrichs, den sie verlassen, um den Kreislauf der Gewalt zu überleben, und jetzt über die Gemeinden des gesamten Bundeslands verstreut sind. Auf dem Land, das niemand mehr betritt, bleiben die zurück, die zum Horizont blicken und in ihm die Erinnerung daran sehen, was einmal eine und mehrere Revolutionen waren: eine und viele Rebellionen; Hoffnung auf Freiheit und Gleichheit, nach denen sie sich in sich versunken sehnen, als ob der jährliche Kreislauf des Erdbodens die Erinnerung an einen Nihilismus sei, der, in Worten von Octavio Paz, „nicht intellektuell ist, sondern eine instinktive Antwort, und deshalb unumstößlich ist“. In einem zyklischen Kreislauf kommen und gehen sie wie die Regenfälle, andere bleiben und leben in ihrer Welt, die aus der Wirklichkeit besteht, die ihr Land und ihr Grund und Boden ihnen gibt, sehnen sich nach Feiern und Trinken, um sie mit Fremden und Freund*innen zu teilen. Die, die in sich versunken zum Horizont blicken, die alt und jung sind; die mit der Hoffnung zurückbleiben, von der Erde, in die sie säen, auch zu ernten; sie trinken und singen. Es sind die, die am Horizont die Revolution der Vergangenheit, Freiheit und Fortschritt erblicken. Es sind die, die die Geister des Landes erblicken.
Zacatecas stellt als Folge der mexikanischen Revolution einen der Widersprüche dar. Bis vor einem Jahr war Zacatecas ein institutionalisiertes revolutionäres Bundesland, aber tatsächlich voller Ungleichheit und arm. Wenn seine wirtschaftliche Rückständigkeit am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts beträchtlich war, verhindert die hohe Gewaltrate heute, im 21. Jahrhundert, jede Möglichkeit des Fortschritts. Nach und nach verlassen die Menschen ihre Heimat, jetzt nicht mehr nur, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um sich vor Gewaltkonflikten in Sicherheit zu bringen.
Als ob Revolution irgendwie auch Vergessen wäre
Das Konzept der Revolution ist in einem Bundesland wie Zacatecas Schlüsselvoraussetzung, um zu begreifen, wie die Leute an ihrem Stück Land hängen und ihm gleichzeitig fern sind; sie hängen an einer historischen und revolutionären Vergangenheit. Wenn man über die Plaza irgendeines Dorfs in der Nähe der Landeshauptstadt läuft, kann man feststellen, dass eine Revolution darüber hinwegging, die dabei Spuren und Ereignisse hinterließ. Doch gleichzeitig stellt man fest, dass, wenn es eine Revolution gab, hat sie sich wahrscheinlich mit der Konstruktion einer historischen Vergangenheit aufgelöst, und wirklich zeigt die Gegenwart, dass die Revolution für Bäuer*innen und Arbeiter*innen unvollendet blieb, oder dass die Änderungen der Strukturen unbemerkt an ihnen vorbeigingen. Ein weites rohes Land, manchmal so rot und so trocken, wenn es auf die Zeit der Regenfälle wartet, so unterwirft sich auch die Moderne der Befragung durch die Revolution; als ob Revolution irgendwie auch Vergessen wäre, das mit dem Zug wegfährt, dem Zug des Fortschritts, der seine kontinuierlichen Hin- und Rückfahrten immer weiter fortführt, vom selben Bahnhof aus, zum Ausgangspunkt zurück. Deswegen sind die alten Bahnhöfe immer einen Blick wert, um festzustellen, dass Fortschritt und Moderne immer von Aufständen, Rebellionen und Revolutionen begleitet worden sind.Passagierzüge sind seit den Neunzigerjahren nach und nach aus Mexiko verschwunden. Eine Zugfahrt kam oft als Alternative in Frage, um zu verreisen. Mit den Jahren hat die Möglichkeit nachzuprüfen, dass mit den Zügen auch historisches Gedächtnis das Land verlassen hat, praktisch aufgehört zu existieren. Ohne Züge liegt die Bestätigung der Revolution in Büchern, Statuen und öffentlichen Gebäuden. Als die Bahnhöfe aus Zacatecas verschwunden sind, verschwand damit auch die Möglichkeit, von außen her Zugang zu dem lokalen historischen Gedächtnis zu bekommen. Nur die Menschen, die in den kleinen Dörfern an den Zuglinien leben, sind jetzt für ihr eigenes historisches Gedächtnis zuständig: für ihre Anekdoten, für ihre Mikrogeschichte und dafür, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Die anderen, die von einem Bahnhof zum nächsten gefahren sind, von einem Bundesland ins nächste, können jetzt an den vergangenen Ereignissen, die zu der Zeit der Revolution entscheidend waren und wie nebenher gelebt wurden, wenn man die Landschaften ansah und am Bahnhof ankam, nicht mehr teilhaben. Jetzt sind die Orte in Vergessenheit geraten, kleine Dörfer, Landstriche, die durch die Passagierzüge verbunden waren. Jetzt gibt es keine gemeinsamen Geschichten mehr. Es gibt kleine und einsame, verlassene Dörfer; sei es, weil man gehen muss, um Arbeit zu suchen, sei es, weil man aufgrund der grassierenden Gewalt auswandern muss: Es sind einsame und ausgetrocknete Orte und Dörfer, in denen der einzige Lärm seltsamerweise die Durchsage über die Durchfahrt der Güterzüge ist.
Land, das niemand mehr betritt
Die Städte, Dörfer und Höfe vereinsamen jedes Jahr ab Jahresbeginn. Die Menschen kehren in die Städte zurück, in die sie ausgewandert sind. Ein paar Tage lang bewohnt und viele Monate lang unbewohnt, sind die kleinen Dörfer, Höfe und Gemeinden tote Punkte, Orte an denen die Aktivitäten durch die Regen- und die Trockenzeit bestimmt werden. An diesen Orten herrscht eine ständige Stille vor: Wenn sie in der Ebene liegen, macht die Stille taub, doch wenn sie in den Bergen oder Hügeln liegen, übertönt die Stimme des Winds die Stille. Einsame Dörfer, die sich an das Kommen und Gehen ihrer Bewohner*innen gewöhnt haben. Die, die auswandern, sind durch die Erinnerung anwesend, und im Moment, in dem sie gehen, abwesend. Diese Beziehung von zeitweisen Abwesenheiten, von Migrationsprozessen, ist ein Merkmal der Lagune im Gebiet von Zacatecas. Ihre Bewohner*innen wandern aus, um die fehlenden Chancen, die Trockenheit und die Ineffizienz der Regierenden zu ertragen. Das Land ist öde, von ihm vertreibt die Revolution ihre Söhne und Töchter, jetzt wird dort kaum noch gesät und kaum noch geerntet. Aus der Ferne ertönt das Echo der Geräusche, die der Zug beim Vorbeifahren macht, und kündigt den Abend eines jener Tage an, die sich alle gleichen, wo es fast niemanden mehr gibt.Der Blick zum Horizont ist ein verlorener Blick, ohne die Lokomotive sind die Gleise nur noch eine Idealisierung der Unendlichkeit und der Freiheit. Es bleiben unbefestigte Straßen als einziger Ausweg aus Landstrichen, die niemand mehr betreten möchte. Jetzt gehen sie nicht nur und verlassen ihr Stück Land, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, jetzt sind sie verlorene Töchter und Söhne eines Landstrichs, den sie verlassen, um den Kreislauf der Gewalt zu überleben, und jetzt über die Gemeinden des gesamten Bundeslands verstreut sind. Auf dem Land, das niemand mehr betritt, bleiben die zurück, die zum Horizont blicken und in ihm die Erinnerung daran sehen, was einmal eine und mehrere Revolutionen waren: eine und viele Rebellionen; Hoffnung auf Freiheit und Gleichheit, nach denen sie sich in sich versunken sehnen, als ob der jährliche Kreislauf des Erdbodens die Erinnerung an einen Nihilismus sei, der, in Worten von Octavio Paz, „nicht intellektuell ist, sondern eine instinktive Antwort, und deshalb unumstößlich ist“. In einem zyklischen Kreislauf kommen und gehen sie wie die Regenfälle, andere bleiben und leben in ihrer Welt, die aus der Wirklichkeit besteht, die ihr Land und ihr Grund und Boden ihnen gibt, sehnen sich nach Feiern und Trinken, um sie mit Fremden und Freund*innen zu teilen. Die, die in sich versunken zum Horizont blicken, die alt und jung sind; die mit der Hoffnung zurückbleiben, von der Erde, in die sie säen, auch zu ernten; sie trinken und singen. Es sind die, die am Horizont die Revolution der Vergangenheit, Freiheit und Fortschritt erblicken. Es sind die, die die Geister des Landes erblicken.