Musikgeschmack Zeig’ mir, was du hörst

Musikgeschmack ist Ländersache und Mainstreammusik spiegelt nicht immer die Vorlieben der Hörer*innen wider.
Musikgeschmack ist Ländersache und Mainstreammusik spiegelt nicht immer die Vorlieben der Hörer*innen wider. | Foto (Detail): © Adobe

Im Radio läuft viel Mainstream-Musik. Aber Mainstream ist nicht überall gleich: Warum haben Finn*innen einen Hang zu Metal und Japaner*innen ein Ohr für Mozart? Christine Bauer erforscht, wie Algorithmen unser Hörerlebnis beeinflussen und wie sehr individuelle Vorlieben vom Mainstream abweichen.

 

Christine Bauer, Sie erforschen mithilfe von Big Data den Musikgeschmack der Menschen weltweit, genauer gesagt den von Streamer*innen. Worauf zielt diese Forschung ab?

Das Hauptziel unserer Forschung ist es, Musikempfehlungssysteme zu verbessern – also die Systeme, die vorschlagen, was man als nächstes anhören soll, oder automatisch eine Playlist vervollständigen. Die Geschmäcker von Hörer*innen unterscheiden sich natürlich – sonst könnte man ja allen dasselbe empfehlen. Doch die Unterschiede sind nicht nur individuell, sondern auch länderspezifisch.  In einer Studie haben wir uns angesehen, wie sich die Musikgeschmäcker in verschiedenen Kulturen und Ländern unterscheiden.

Dafür haben Sie 800 Millionen gestreamte Songs von Nutzer*innen aus 47 Ländern auf der Musikstreaming-Plattform Last.fm analysiert. Wie kann man sich eine solche Analyse vorstellen?

Wir haben das Streaming-Verhalten von 53.000 Nutzer*innen untersucht: Wir haben uns angesehen, welche Songs sie sich angehört haben und wie oft. Jedes Streaming ist ein Datenpunkt. Da die Künstler*innen in der Regel mehrere Songs haben, lässt sich das auch auf Artist-Ebene aggregieren. Wenn daher eine Person fünf unterschiedliche Songs des gleichen Artists jeweils einmal anhört, dann ist es jeweils ein sogenannter Playcount pro Song, und insgesamt fünf Playcounts für diesen Artist. Mit diesen Daten können wir herausfinden, welche Künstler*innen in welchen Regionen besonders populär sind.

Was haben Sie herausgefunden? Wie unterscheiden sich die Musikvorlieben in einzelnen Ländern?

Die Top-Superstars werden wenig überraschend in allen Ländern angehört. Aber wenn man diese herausfiltert, dann lassen sich länderspezifische Unterschiede erkennen. Mein Lieblingsbeispiel ist Finnland, wo eindeutig die Metal-Heads zuhause sind. Viele der Top-Artists im finnischen Mainstream sind dem Metal-Bereich zuzuordnen, was wir in anderen Ländern kaum beobachten können. Auch Japan ist interessant, weil sich der Musikgeschmack dort sehr vom globalen Mainstream unterscheidet. Artists die anderswo kaum gestreamt werden, sind dort sehr stark. Zum Beispiel Mozart. Damit ist Japan das einzige Land in unserer Auswertung, bei dem klassische Musik ganz weit vorne liegt. Doch der Geschmack in Japan beschränkt sich nicht auf eine Musikrichtung und ist überhaupt sehr abwechslungsreich. Beispiel globaler Mainstream vs. Finnland: Die schwarze Kurve zeigt die globale Popularität von Artists, absteigend sortiert (globaler Mainstream). Die grünen Punkte zeigen die Abweichungen (vom globalen Mainstream) im Hörverhalten in Finnland. Man erkennt eine (durchbrochene) zweite Linie, die den finnischen Mainstream darstellt. Beispiel globaler Mainstream vs. Finnland: Die schwarze Kurve zeigt die globale Popularität von Artists, absteigend sortiert (globaler Mainstream). Die grünen Punkte zeigen die Abweichungen (vom globalen Mainstream) im Hörverhalten in Finnland. Man erkennt eine (durchbrochene) zweite Linie, die den finnischen Mainstream darstellt. | Foto: © Christine Bauer Und welchen Musikgeschmack haben Hörer*innen in Deutschland?

Ähnlich wie in Finnland hat Deutschland seinen eigenen Mainstream, der vom globalen Geschmack abweicht. Die internationalen Top-Superstars werden auch hier angehört. Doch dann gibt es andere Artists, die international kaum gehört werden, aber in Deutschland sehr populär sind. Es ist zu vermuten, dass darunter viele deutschsprachige Künstler*innen sind.

Welcher Musikgeschmack bestimmt den globalen Mainstream?

Wenn ich vom „globalen Mainstream“ spreche, dann ist das natürlich keine Wörterbuchdefinition. „Global“ bezieht sich in diesem Fall auf unseren gesamten Datensatz – also auf 47 Länder. Wir haben uns angeschaut, was in diesen Ländern insgesamt wie oft angehört wird. Diese Ergebnisse decken sich mit der klassischen Popularitätskurve in der Musikbranche. Im Prinzip beschränkt sich der Großteil der Streamings auf eine sehr kleine Anzahl von Künstler*innen, die eben sehr, sehr oft angehört werden. Dieser obere Teil der Kurve ist, was insgesamt am meisten angehört wird. Dann geht die Kurve steil nach unten und es beginnt der Teil der Kurve, den man als „long Tail“ bezeichnet. Dort finden wir eine wesentlich höhere Zahl an Künstler*innen, die im Vergleich zu den Topstars aber viel weniger angehört werden. Diese Kurve vom gesamten Datensatz bezeichnen wir als globalen Mainstream. Wenn man die Kurve der globalen Auswertung über die Kurve für ein bestimmtes Land legt, dann werden Abweichungen sichtbar. Bei Finnland sieht man dann zum Beispiel, dass die Abweichungen stärker ausgeprägt sind als in vielen anderen Ländern.

Dominieren im globalen Mainstream englischsprachige Künstler*innen?

In welcher Sprache die Songs sind, war nicht der Untersuchungsgegenstand unserer Forschung, aber dass ein Großteil der Top-Superstars, die im globalen Mainstream vorne liegen, englischsprachige Artists sind, ist offensichtlich. Unsere Studie zeigt auch, dass vor allem die Geschmäcker in den USA und Großbritannien nah an dem liegen, was global populär ist. Unter Umständen bestimmen diese Länder den Mainstream auch mit, aber aus unseren Daten lässt sich so etwas nicht ableiten.

Inwiefern decken sich die Musikvorlieben von Radiohörer*innen mit denen von Streamer*innen?

Das haben wir nicht konkret untersucht. Was im Radio läuft, muss ja nicht unbedingt das sein, was die Leute hören wollen und es gibt bestimmt Unterschiede zum Streaming-Verhalten. Diverse Marketingaktionen spielen wahrscheinlich auch eine Rolle. Aber was man oft genug im Radio hört, kommt letztendlich auch auf den Plattformen an. Außerdem gibt es in manchen Ländern eine Quotenregelung. So ist zum Beispiel in Frankreich gesetzlich vorgeschrieben, dass mindestens 35 Prozent der im Radio gespielten Musik von französischen Interpret*innen stammen muss.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Fairness von Musikempfehlungssystemen. Wie können solche Systeme fairer gestaltet werden?

Wie schon erwähnt, verfolgt unsere Forschung das Ziel, Empfehlungssysteme zu verbessern. Die Verbesserung bezieht sich dabei auf das Erlebnis der Nutzer*innen – es soll empfohlen werden, was ihren Geschmack am besten trifft. Das weicht natürlich oft vom globalen Mainstream ab. Man könnte sagen, ein Algorithmus, der sich am Geschmack der User*innen orientiert, ist fairer sowohl für die User*innen selbst, die relevantere Musik vorgeschlagen bekommen, als auch für Artists abseits des Mainstreams, die dadurch mehr gehört werden. Wir wissen zum Beispiel, dass die aktuellen Empfehlungssysteme am besten für Mainstream-Hörer*innen funktionieren und am schlechtesten für Metal- und Hip-Hop-Fans. Stärker auf Genres and Subgenres einzugehen ist meiner Meinung nach ein guter Ansatz, um die Empfehlungssysteme zu optimieren.