Radio in Belgrad Es war einmal ein Radio B92

Im Studio von Radio B92 in Belgrad
Im Studio von Radio B92 in Belgrad | Foto: Goran Basarić

Wie unermüdlich kann ein kleiner Radio-Sender für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Demokratie einstehen! Saša Mirković ist einer der Gründer des legendären Senders B92 in Belgrad, und er erzählt seine Geschichte.
 

Die Geschichte des Belgrader Radiosenders B92, der im Mai 1989, ein halbes Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer, gegründet wurde, kann anhand von vier Sendeverboten erzählt werden, aus denen der Sender stets gestärkt und einflussreicher hervorgegangen ist. Oder auch als einmaliges Zeugnis über eine kleine Radiostation mit Zügen eines Piratensenders, die irgendwann zur Bewegung wurde. Als erfolgreichstes Beispiel eines unabhängigen elektronischen Mediums in seinem Kampf für freie Meinungsäußerung in einem geächteten, isolierten Balkanstaat, der im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit Sanktionen belegt war. Oder als mediales Zeugnis enttäuschter Hoffnungen nach der Wende im Oktober 2000, als Slobodan Milošević endlich abgesetzt wurde.

All dies sind Mosaiksteinchen, aus denen sich ein Radiosender zusammensetzt, der nach dem UKW-Frequenzbereich benannt wurde, da sein Fortbestehen im damaligen Äther nicht länger als ein paar Monate dauern sollte. Ein solches Schicksal haben eine Jugend- und eine Studentenorganisation vorgesehen, die rein formell die Gründung initiiert haben, weil die Medien im damaligen Einparteienstaat nur auf diesem Wege existieren konnten. Die redaktionelle Linie von Radio B92 gründete auf den Postulaten der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen – ein wahres Kuriosum am Vorabend des Zerfalls des gemeinsamen Staates, der von Machtkämpfen der politischen Eliten unter Mithilfe ihrer jeweiligen Medien zerrissen war. Die politischen, nationalen und sexuellen Minderheiten wie auch die Kriegsgegner und NGOs empfanden B92 als Medium, das ihnen gebührendes Gehör verschaffte, anstatt sie zu marginalisieren und mundtot zu machen.

Straßenproteste live im Radio B92

Erstes B92-Logo von 1989 Erstes B92-Logo von 1989 | © B92 Radio B92 hat die Herausbildung des Mehrparteiensystems in den ehemaligen jugoslawischen Republiken aus unmittelbarer Nähe verfolgt. Auf den Belgrader Straßen, wo es wegen eingeschränkter Medienfreiheiten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Machthabern und den zahlreichen Demonstranten kam, war der Sender aktiv beteiligt und agierte als Chronist dieser Ereignisse. Der 9. März 1991 wird auch wegen des eintägigen gesetzeswidrigen Sendeverbots für Radio B92 in Erinnerung bleiben, das die massenhaften Straßenproteste live übertragen hat. Aufgrund der geringen Senderleistung konnte man das Radioprogramm nur in der Belgrader Innenstadt empfangen, wodurch der Mythos von einem alternativen Sender verstärkt wurde, der im Rahmen seiner gegen den Krieg gerichteten Programmlinie seine Zuhörer informiert, wie sie sich vor der rekrutierenden Militärpolizei in Sicherheit bringen können, und der bis zur gewaltsamen Unterbindung der Kommunikationswege im täglichen Kontakt mit Kollegen aus der Region stand. Radio B92 entwickelte sich zu einer Art Bewegung, die auf den Straßen vielfältige Aktionen und Konzerte organisierte, und nach der Gründung des alternativen Kulturzentrums Cinema Rex wurde dieses zu einem Raum der ungehemmten Entfaltung künstlerischer und kreativer Freiheiten. Als Verlag war der Sender auch Herausgeber der besten Literaturzeitschriften und feministischen Zeitschriften sowie zahlreicher Rock-, Jazz- und World-Music-Alben jener Zeit.

Eine eindeutige Bestätigung der Beliebtheit und der Bedeutung von Radio B92 war die drastische Erhöhung der Anzahl der Demonstranten auf den Belgrader Straßen unmittelbar nach dem vermeintlich durch „Wasser im Koaxialkabel“ ausgelösten Sendeabbruch während der Proteste im Winter 1996/97. Nach dem Sendeverbot und der prompten triumphalen Rückkehr in den Äther auf bekannter Sendefrequenz wurden die dreimonatigen Bürger- und Studentenproteste gegen den Wahlbetrug des Milošević-Regimes noch massiver. Der Erfolg der Demonstrationen führte zum Machtwechsel in zahlreichen serbischen Städten. Auf dieser Basis kam es zur Ausweitung des Netzes lokaler Radio- und Fernsehsender, die sich zur Vereinigung Unabhängiger Elektronischer Medien (ANEM) zusammengeschlossen haben. An der Spitze dieser Organisation stand Radio B92, das auch für die tägliche Verbreitung des Nachrichtenprogramms zuständig war.

Sendeverbot? Dann geht’s eben im Internet weiter!

Als unerwünschter medialer Zeuge verschwand Radio B92 durch behördlichen Beschluss unmittelbar vor dem Beginn der Bombenangriffe im März 1999 von der Bildfläche, als der verantwortliche Chefredakteur Veran Matić inhaftiert wurde. Während der NATO-Intervention wurde das pazifistisch orientierte Radio B92 zum Opfer, nachdem die Senderleitung gesetzeswidrig von den Gründern abgesetzt wurde. Alle Mitarbeiter*innen weigerten sich, für das neue, regimetreue Radio zu arbeiten, das außer dem Namen nichts mit dem Medium gemein hatte, für das sie bisher gearbeitet hatten. Nach dem Ende der Bombardierung versammelten sich die ehemaligen Mitarbeiter*innen im Sommer 1999 unter dem Namen Radio B92, um den Sendebetrieb auf der frei gewordenen Stadtfrequenz wiederaufzunehmen. Der Status des meist gehörten Radiosenders wurde im Frühling 2000 zunichte gemacht, als die Polizei unrechtmäßig die Räumlichkeiten stürmte, in denen das Programm ausgestrahlt wurde.

Der unbesiegbare Geist und der Glaube an die Mission des Radios B92 haben dazu beigetragen, dass man mithilfe der verfügbaren Technologien auf kreative Art und Weise die seitens der undemokratischen Behörden auferlegten Hindernisse überwinden konnte. Als technologisch-medialer Vorreiter jener Zeit hat Radio B92 bei der Überwindung von Verboten und Einschränkungen auf kreative Weise das Internet genutzt und das Projekt Ein Ring um Serbien herum initiiert. Im Laufe des Jahres 2000 wurde ganz Serbien mit einem Rundfunksignal aus den umliegenden Staaten vernetzt, sodass die Möglichkeit gewaltsamer Obstruktionen auf ein Mindestmaß beschränkt wurde. Die preisgekrönten Fernsehproduktionen wandelten sich zum Fernsehen B92, das sein Programm aus Bosnien und Herzegowina ausstrahlte.

Rückkehr ins Studio und Niedergang

Das echte B92 erwies sich als unzerstörbar und unbesiegbar. Milošević‘ Amtsenthebung bedeutete die Rückkehr in jene Räumlichkeiten, aus denen das ursprüngliche Journalistenteam während der Bombardierung rausgeschmissen wurde. Anstelle des naiven Glaubens, die größten Probleme in den Neunzigerjahren hinter sich gelassen zu haben, traten nun Existenzsorgen in Transformationszeiten. Überlebende Medienmonopole haben sich sehr schnell den neuen Machthabern angenähert, die kein Verständnis für die Rolle des Rundfunks B92 als „Kontrollinstanz“ demokratischer Errungenschaften hatten. Fügt man dem noch hinzu, dass die Redaktion konsequent Vergangenheitsbewältigung betrieb, Prozesse vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal übertrug und Pionierarbeit im Bereich des investigativen Journalismus in Serbien leistete – dann ist durchaus verständlich, weshalb B92 in den neuen Gegebenheiten geringe Erfolgschancen hatte. Der zermürbende Übergang zur landesweiten Sendefrequenz einhergehend mit den während der Suche nach adäquaten Räumlichkeiten aufkommenden Hindernissen und dem Privatisierungsprozess führten dazu, dass das verfrühte Aussteigen der Geldgeber nach dem 11. September 2001, beeinflusst von der Weltwirtschaftskrise 2008, katastrophale Folgen hatte.

Der perfekte Sturm zerstörte alle bis dahin bestehenden Geschäftsmodelle in der Medienbranche, wobei das frühere Radio B92 eines der größten Opfer war. Die Verschlechterung professioneller Standards, Tabloidisierung, die Förderung zweifelhafter Werte sowie Habgier haben jene Ideale verdrängt, die das Fundament des innovativen Radios bildeten, das seiner Zeit voraus war. Den Todesstoß erhielt es im ungleichen Kampf gegen mehrfach stärkere Gegner, personifiziert im Statement des verstorbenen Premierministers Đinđić, man sollte ihnen doch Orden anstelle von Frequenzen verleihen.

Parallelweltenbauer Radio

Die Liste jener, die das Verschwinden des ursprünglichen Radios B92 mit Erleichterung aufnahmen, ist sehr lang. Heute geraten sie durch die Einsicht in Verlegenheit, wie viele renommierte Journalistinnen und Journalisten aus diesem Medienunternehmen stammen, was wiederum Grund genug ist, auf heimischem Boden die Erinnerung an das frühere B92 systematisch auszulöschen. Deshalb ist jede einzelne Erinnerung relevant, als wichtige (nicht) gelernte Lektion über ein einzigartiges Medium aus Serbien, das die meisten Auszeichnungen erhalten und eine Parallelwelt in der zweifachen Isolation der internationalen und der inneren Sanktionen des autoritären Regimes geschaffen hat, das seine Gegner für Verräter und ausländische Söldner hielt. Daher soll es nicht verwundern, dass sich heute viele ein neues Medium herbeiwünschen, das dem unverwechselbarem Radio B92 ähnlich wäre, das bis zum heutigen Tage ein einmaliges Beispiel für einen unerschöpflichen medialen und künstlerischen Brutkasten kreativer Ideen und regionaler Drehpunkt des professionellen Journalismus war.


Vielen Dank an Saša Mirković für seine Erinnerungen. Vielen Dank an Goran Basarić für das schöne Foto und danke Biljana Pajic vom Goethe-Institut Belgrad für die Idee und die Vermittlung.