Chatdebatte Eines Nachts in Altona
Die Jugendfreunde Claus Witte, Jürgen Hüske und Michael Abbing haben eine gemeinsame Leidenschaft: das Radio. Heute hat es sie an unterschiedliche Orte verschlagen, doch dem Radio sind sie treu geblieben. Eines Nachts treffen sie sich in ihrem alten Probebunker in Hamburg Altona und chatten. Worüber? Natürlich übers Radio.
Wer chattet?
Jürgen Hüske arbeitet in der Musikredaktion des Freien Sender Kombinats (FSK), einem freien, politisch links positionierten Sender in Hamburg. Früher ebenfalls beim FSK engagiert, ist Michael Abbing heute beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) angestellt. Claus Witte leitet die Programmarbeit des Goethe-Zentrums in Guadalajara und produziert seit drei Jahren das wöchentliche Magazin „Palavern“ bei Jalisco Radio.-
Jürgen und Michael, ihr kennt euch schon seit den 1980er- und wir drei seit den 1990er-Jahren. Lasst uns doch mal zusammen in die Vergangenheit schauen. Jürgen, was war in den Achtzigern deine Lieblingssendung im Radio?
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Das ist jetzt schon fast 50 Jahre her, meine Güte …
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Jetzt mach dich mal nicht älter, als du bist! Wir sind doch gerade erst alle 50 Jahre geworden.
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Also, ich habe notgedrungen immer Mittagsmagazin im WDR gehört.
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Und du, Michael?
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Mal Sondocks Hitparade im WDR – der hat den geilsten Sound gespielt. Ganz groß war damals ja zum Beispiel der Titel Video killed the Radio Star, der dann auch als erstes Musikvideo im MTV-Fernsehen gespielt wurde.
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Wir kommen ja alle ursprünglich aus dem Sendegebiet des WDR, des Westdeutschen Rundfunks, und da gab es etwas ganz Besonders: Wir konnten auch britisches Radio hören, zum Beispiel den Sender BFBS.
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Dank der Besatzung durch die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg …
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Die haben einige gute Sachen gemacht, unter anderem habe ich dadurch Steve Mason kennengelernt und meine ersten Techno-Erfahrungen gemacht. Wir konnten aber auch niederländisches Radio hören.
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Auffällig ist ja zum Beispiel bei den niederländischen UKW-Sendern, früher wie heute, dass sie viel lauter klingen als die deutschen. Die kümmern sich einfach Null um den Frequenzhub, also quasi um die „Lautstärke-Vorgaben“. Hier in Deutschland ist das durch die Bundesnetzagentur streng reguliert und man bekommt richtig Ärger, wenn man den Hub überschreitet.
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Die Einhaltung des Frequenzhubs macht auch schon Sinn. Ohne diese Regelung würden „Low Budget“-Sender wie das Freie Sender Kombinat (FSK), bei dem ich in der Musikredaktion arbeite, einfach von den „mächtigeren“ Sendern mit teurem Soundprozessing übertönt. Das hat auch etwas mit Wettbewerb im Radiogeschäft zu tun.
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Wo wir gerade über das FSK sprechen – was würdet ihr denn sagen, was ist eine interessante Eigenart des FSK? Das ist ja schon etwas Besonderes: ein freier linker Sender, der seit einem Vierteljahrhundert rund um die Uhr sendet.
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Was ich beispielsweise unglaublich faszinierend finde, ist das FSK-Programmheft: Das ist noch ein richtiges, gedrucktes Programmheft, das an Einzelpersonen verschickt und in Kneipen ausgelegt wird.
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Und wo genau wird das ausgelegt, einfach in irgendwelchen Kneipen?
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Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit Radio Nordpol. Das ist ein Sender, der zu Pandemiezeiten entstanden ist – und zwar aus einer Kneipe, dem Nordpol in Dortmund. Als die Kneipe während des Lockdowns schließen musste, haben die Betreiber beschlossen, Radio zu machen. In der Kneipe liegen unsere Programmhefte nun auch aus.
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Meine Radiosendung „Palavern“ ist auch so ein Kind der Pandemie. Ich bin ja Leiter eines Kulturzentrums in Guadalajara, das mit Mitteln des Goethe-Instituts Kulturveranstaltungen durchführt. Zu Beginn der Pandemie 2020 mussten wir unser Programm komplett umwerfen, denn es konnten keine Jazz-Musiker, keine Graffiti-Künstlerinnen und keine Ausstellungen mehr nach Guadalajara kommen und auftreten. Da haben wir im Team überlegt, dass ich doch mal eine Radiosendung machen könnte – und so ist „Palavern“ entstanden. Die läuft seitdem immer samstags mittags von 13 bis 14 Uhr.
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Wie macht ihr das denn beim FSK, Jürgen, dass ihr rund um die Uhr sendet?
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Nachts machen wir oft Nachtschleifen. Ich bin ja ein Freund von guten Schleifen – mal Musik ohne Unterbrechung zu hören, ohne dass ständig jemand dazwischen quatscht, finde ich hervorragend. Wir legen die Nachtschleifen in unsern Player und dann werden sie über Nacht abgespielt.
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Da sitzt dann auch niemand mehr im Studio?
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Das ist mittlerweile bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ähnlich. Es gibt sogenannte Radio-Nacht-Übernahme-Programme: Anstatt, dass alle ARD-Landesfunkhäuser rund um die Uhr senden, produziert nur jeweils ein Sender ein bestimmtes Sparten-Programm und die anderen können das übernehmen. Der WDR macht beispielsweise die „Junge Welle“ mit 1live, der NDR macht die „Infonacht“ mit NDR Info, die Bayern machen die „Klassiknacht“ und der MDR macht die „Hitnacht“. Dadurch werden viele Nachtschichten eingespart.
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Beim Freien Senderkombinat (FSK) gibt es auch keine Werbung, wir müssen noch nicht mal Wahlwerbung senden. Das stand tatsächlich mal zur Debatte, weil es dazu in Deutschland allgemeine Vorschriften gibt. Aber das FSK ist auch in dieser Hinsicht frei. Bei uns gibt es Musik ohne Werbung und manchmal auch ohne Moderation. Bei „Palavern“ ist ja auch immer noch Werbung mit drin, Claus, oder?
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Nein …?
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Was ist das denn dann, was da zwischendurch läuft? Ich versteh das ja nicht immer, ist ja alles Spanisch ;-)
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Das sind Jingles, zum Beispiel Programmhinweise. Und da es ein staatlicher Sender ist, müssen auch immer mal Regierungsjingles laufen. Zu Wahlzeiten ist das Wahlwerbung, ansonsten eigentlich nur Anti-Drogen-Kampagnen.
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Was war denn das, was du uns letztens geschickt hast … das war doch auch eine Sendung aus Guadalajara.
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Ja, das war die „La Rocola Arabalera“, das ist ein über 30 Jahre altes Programm. „Rocola“ bedeutet „Jukebox“ und „Arabal“ kommt aus dem Arabischen. So hießen früher in Spanien die Vorstädte, in denen es noch richtig abging, wo Party war. Die Sendung heißt also in etwa „die (wilde) Vorstadt-Jukebox“. Es gibt ja zwei öffentlich-rechtliche Sender in Guadalajara, einen von der Regierung des Bundesstaats Jalisco und einen von der Universität. Das Interessante: Die jetzige Leiterin des Regierungsradios hat früher beim Uni-Radio gearbeitet und zieht jetzt immer mehr Leute, die beim Uni-Sender unzufrieden sind, zu sich rüber. Und so lief die Sendung Rocola Arabalera 30 Jahre beim Uni-Sender und ist jetzt beim staatlichen Sender.
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Eine lustige Anekdote übrigens zu den zwei Sendern: Im letzten Jahr habe ich ein Interview mit einer deutschen Schriftstellerin geführt, die zur Buchmesse kommen wollte. Ich hatte alles schon geschnitten und fertig gemacht. Aber dann hat sich am Freitag die Uni mit der Bundesregierung angelegt und es durfte nichts über die Buchmesse in staatlichen Radiosendern berichtet werden, so dass ich Freitagabend um 23 Uhr mal eben mein ganzes Konzept für den nächsten Tag umwerfen musste. Wir haben dann auch auf Playlists gesetzt.
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Oh ha, das klingt unfrei.
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Wir hatten doch in Deutschland im Februar 2023 auch schon eine Hausdurchsuchung – bei Radio Dreyeckland, einem freien Sender aus Freiburg. Anlass war, dass sie einen Link auf einen Archivartikel von Indymedia Linksunten gesetzt hatten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Da ist die Polizei mit großem Kommando angerückt. Da kann man sich schon fragen, ob da nicht ein bisschen überreagiert wurde – vorsichtig formuliert. Es hat sich wohl auch als nicht wirklich haltbar erwiesen, es gibt aber noch keine Urteile.
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Wichtig ist in Deutschland ja auch der gesetzliche Mitschnitt, der 92 Tage vorgehalten werden muss. Den muss auch das FSK machen, obwohl der auch öfter mal vergessen wird oder ausfällt, weil mal wieder der Rechner kaputt gegangen ist ... Wenn sich zum Beispiel Hörer oder Hörerinnen beschweren, weil ein Moderator angeblich etwas „Falsches“ gesagt hat, dann müssen wir das über den Mitschnitt nachprüfen.
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Gibt es denn in Guadalajara noch andere Sender außer dem Regierungs- und dem Unisender?
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Nein, nicht wirklich. Wenn es etwas gibt, dann sind es Podcasts.
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Das ist ja in Hamburg auch überschaubar. Es gibt noch Tide – die nennen sich „Hamburgs Bürger:innensender und Ausbildungskanal“.
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Wie ist es denn bei euch, wann und wo hört ihr eigentlich Radio?
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Beim Kochen zu Hause. Und auf der Arbeit muss ich es natürlich auch hören, klar.
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Ich habe auch ein Radio in der Küche stehen und höre beim Kochen oder Spülen. Und im Auto, wenn ich denn mal fahre. Ich würde vermuten, dass total viele Leute im Auto noch Radio hören.
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Im Auto ist und war das Radio ja auch aufgrund eines Alleinstellungsmerkmals immer total wichtig: der Verkehrsfunk. Es gibt da diese Taste TA – „Traffic announcement“ heißt es in Fachsprache. Egal was man hört – sobald der Verkehrsfunk kommt, schaltet das Radio darauf um und danach wieder zurück.
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Alles klar Jungs, vielen Dank für das gute Gespräch! Ich werde demnächst in der Küche oder beim Verkehrsfunk sicher noch öfter an euch denken.