Drei Porträts Leben auf der Autobahn

Straßenwachtfahrerin Kathleen Andersohn mit ihrem ADAC-Auto
Straßenwachtfahrerin Kathleen Andersohn | Foto (Detail): © Fabian Steiner

Für viele Menschen ist die Autobahn ein wichtiger Teil ihres Alltags. Ein LKW-Fahrer, eine Straßenwachtfahrerin und ein Umweltaktivist erzählen Laura Riedner über ihr Leben mit, an und auf der Autobahn.
 

Sascha, LKW-Fahrer

LKW-Fahrer Sascha Foto: Laura Riedner

Ein Freitagnachmittag im April. Auf der Raststätte Irschenberg Süd herrscht reger Betrieb. Aneinandergereihte LKWs sonnen sich auf dem großen Parkplatz; zwischen ihnen läuft Sascha entlang und kontrolliert seinen Wagen, bevor er weiterfährt. Den größten Teil seiner heutigen Strecke hat er bereits geschafft. Sascha ist LKW-Fahrer und fährt seit mehr als zehn Jahren quer durch Europa. In seinem Heimatland Serbien rollte er für seinen ersten Job zunächst mit Vans über die Straßen. Aus Vans wurden kleinere Lastkraftwagen. Heute steuert er die großen 40-Tonner. Als ich ihn frage, wie er dazu kam, lächelt er. „Ich habe nie davon geträumt, aber die wirtschaftliche Situation in Serbien hat mich dazu gebracht.“

Das Phänomen der Fahrerkabine

Das Fahren und der Lebensstil als LKW-Fahrer machten ihm von Beginn an Spaß – ein Grund dafür, wieso er heute noch auf den Straßen unterwegs ist. „Vielleicht ist es ein psychologisches Phänomen, aber wenn du einen Truck fährst, fühlst du dich wie der Chef auf der Autobahn.“ Saschas Fahrerkabine wird nicht selten auch zum Ort des lauten Denkens und Singens, während die Kilometer an ihm vorbeiziehen. Seine Leidenschaft für Bikerclubs in Serbien und später auch in München gab er irgendwann auf – sein Beruf frisst zu viel Zeit. Mittlerweile lebt Sascha seit drei Jahren in Deutschland. Mit seiner Frau und seinem Kind wohnt er in Allershausen, einer Gemeinde im oberbayrischen Landkreis Freising. Seitdem fährt er nur noch kürzere Autobahnstrecken innerhalb Deutschlands. „Ich komme jeden Abend nach der Arbeit nach Hause“, betont er, „so sollte es auch sein.“

Die ersten sechs Monate in Deutschland verbrachte Sascha anders als heute permanent auf der Autobahn. In den Nächten schlief er im Fahrerhäuschen; an Wochenenden kam er häufig in Hostels unter. „Wenn du nächtelang in deiner Fahrerkabine schlafen musst, hast du nur deine Vorhänge, die dir Ruhe geben“, erinnert er sich. „Wenn du sie schließt, hält alles um dich herum an.“ Die nötige Abschottung birgt gleichzeitig eine Kehrseite des Berufs, denn während sich die ersten Nächte anfühlen wie Camping, wird es für LKW-Fahrende auf längere Zeit oft einsam. Sascha erzählt, dass er in diesem halben Jahr mit Depressionen zu kämpfen hatte. „Außerdem wirst du schnell nervös und fühlst dich unter Druck gesetzt.“

40 Tonnen Verantwortung

Das größte Problem für LKW-Fahrende: Zu wenig Parkplätze auf den Raststätten, findet Sascha. Oft sieht er, wie andere Trucker am Seitenstreifen der Autobahn parken, um zu schlafen und Pausenzeiten einzuhalten. Vor allem in Deutschland sind die Raststätten überfüllt und der Verkehr überlastet. Das Freiheitsgefühl verbindet der LKW-Fahrer schon lange nicht mehr mit der Autobahn. Viele seiner Tage sind stressig, jede Sekunde am Steuer muss er wach, vorsichtig und schnell sein. „Ich fahre 40 Tonnen durch die Gegend. Das ist viel Verantwortung.“ Gleichzeitig verbindet Sascha auch viele schöne Erlebnisse mit seiner Zeit auf dem Beton. Viele Orte, die er durchquert hat, erinnern ihn an freundliche Begegnungen, die er hatte. „Im Truck ist jeder Tag ein Abenteuer.“
 

Kathleen Andersohn, Straßenwachtfahrerin

Straßenwachtfahrerin Kathleen Andersohn mit ihrem ADAC-Auto Foto: Fabian Steiner

Auch Kathleen kennt die Autobahn gut. Sie ist Straßenwachtfahrerin beim ADAC für die Region Berlin/Brandenburg, nahe der Autobahn, und das bereits seit elf Jahren. In dieser Woche im April gestaltet sich ihre Arbeit anders als sonst: Sie gibt ihren Kolleg*innen eine nichttechnische Schulung am ADAC-Stützpunkt. Sonst verbringt sie rund 80 Prozent ihrer Arbeitszeit in ihrem Auto auf den Straßen. „Für mich ist das meine mobile Werkstatt“, sagt Kathleen. Einen Nine-to-five-Job in einer klassischen Werkstatt kann sie sich nicht vorstellen – zu wenig Kontakt mit Kund*innen. Bei Kathleen ist jeder Arbeitstag anders. „Wenn ich meinen Dienst antrete, weiß ich noch nicht, was mich erwartet: Welche Menschen erwarten mich? Welche Panne erwartet mich? Welcher Ort erwartet mich?“, erzählt die Straßenwachtfahrerin. Zwischen fünf und 13 Pannen sind es täglich, davon viele auf der Autobahn. Die häufigste Ursache ist eine kaputte Autobatterie. Manchmal ist auch eine ausgiebige Fehlersuche nötig: „Das freut uns Straßenwachtfahrende, wenn der Fehler nicht direkt ersichtlich ist und dadurch Abwechslung aufkommt.“

Bei der Frage, was ihr skurrilster Einsatz auf der Autobahn war, schmunzelt Kathleen. „Ich hielt am Seitenstreifen an. Dort erwartete mich eine Familie, die gemütlich auf Campingstühlen hinter und auch vor der Leitplanke ihren Kaffee trank. Es war eine niederländische Familie, die mit ihrem Camper liegen geblieben war.“ Am Ende ging alles gut aus und Kathleen konnte die Familie sicher zu einer Ausfahrt bringen. Manchmal wird es aber auch sehr gefährlich, „weil es oft so eng auf dem Seitenstreifen wird.“

Die Autobahn löst oft nur den einen Gedanken aus: möglichst schnell weg.

Lieber mag Kathleen die Pannen auf dem Land. „Ich persönlich fühle mich da etwas freier und habe nicht das Gefühl, jemandem im Weg zu stehen und auf engem Raum zu sein“, überlegt die Straßenwachtfahrerin. Die Enge begegnet Kathleen vorwiegend auf ihren Autobahneinsätzen. „Autobahnpannen unterscheiden sich stark von anderen“, erzählt sie. „Durch die vorbeirasenden Autos ist man schnell in Lebensgefahr.“ Die Autobahn löst in Kathleen deshalb oft nur einen Gedanken aus: möglichst schnell weg. Das aufkommende Adrenalin hilft ihr dabei, zügig zu handeln. „Da ändert man schnell seinen Ton und wird lauter, nicht nur, weil man auf der lauten Autobahn steht, sondern, weil man schnell alle in Sicherheit bringen möchte.“ Wenn Kathleen an die Zukunft der Autobahn denkt, fällt ihr zuerst das hohe Verkehrsaufkommen ein: „Je enger es auf unseren Autobahnen wird, desto brenzlicher wird es.“

Dass die Autobahn früher nur zwei Spuren hatte, und sie heute schon auf drei Spuren ausgelastet ist, findet die Straßenwachtfahrerin erschreckend. Hinzu kommt das nicht vorhandene Tempolimit. „Dass es immer wieder schwere Unfälle gibt, wird sicherlich weiterhin so bleiben“, sagt sie. Gerade auf der Autobahn ist die Straßenwachtfahrerin dazu angehalten, immer die Augen offen zu halten und den Menschen zu helfen. „Deshalb heißen wir Straßenwacht.“

Jonas Korn, Umweltaktivist

Umweltaktivist Jonas Korn Foto: Laura Riedner

Ich treffe Jonas vor dem Sonja-Barthel-Haus in Lüneburg. Sein Fahrrad parkt er schräggegenüber im kleinen Park, der von den frisch sprießenden Aprilblättern der Bäume eingefärbt wird. Am Sonja-Barthel-Haus zieren verschiedene Fotos und Plakate die großen Fensterscheiben – unter anderem hängt dort ein Fahrraddemo-Plakat gegen die A39. Jonas‘ erste Erinnerung an die Autobahn ist seine Reisekrankheit, die er als Kind häufig bei langen Autofahrten bekam. Doch nicht nur das: „Ich habe tendenziell negative Erfahrungen gemacht, auch, weil ich den Autoverkehr immer eher als laut, störend und gefährlich wahrgenommen habe.“ Heute ist Jonas Umweltaktivist, er beschäftigt sich vor allem mit der Verkehrswende und der Klimagerechtigkeit. „Ich möchte mich für Strukturen einsetzen, die es unserer Gesellschaft ermöglichen, mobil zu leben, auch ohne Auto und neu gebaute Autobahnen.“

Ein eigenes Auto hat Jonas nicht. „Es gibt viele Gründe, warum Menschen kein Auto haben. Nur einem Teil der Gesellschaft ist es überhaupt möglich, automobil unterwegs zu sein“, erklärt er. Jonas lebt in Lüneburg, hier hat er auch Nachhaltigkeitswissenschaften studiert. Nachdem er schon viele Jahre für den Klimaschutz aktiv und im Vorstand des Verkehrsclubs Deutschland (VcD) für die Region Lüneburg, Uelzen und Harburg ehrenamtlich tätig war, beschäftigt ihn seit 2019 das Thema Verkehrswende. „Ich bin dann dem KlimaKollektiv in Lüneburg beigetreten. Damals ist das Thema Autobahn dort gerade neu aufgekommen“, erzählt er. „Durch den lokalen Bezug zu der A39 ist sie unser Hauptthema geworden.“

Mit dem Fahrrad auf der Autobahn

Mindestens eine Fahrraddemo im Jahr organisiert Jonas mit dem Kollektiv gegen den Neubau von Autobahnen, speziell gegen die A39. Diese soll von Wolfsburg nach Lüneburg hin ausgebaut werden und als Lückenschließung dienen. „Diese Lückenschließung würde über 100 Kilometer neu gebaute Autobahn bedeuten. Viele Menschen würden ihr Zuhause verlieren; Natur müsste zerstört werden. Gleichzeitig gibt es dort schon andere Infrastrukturen, wie den Elbe-Seitenkanal oder Schienen“, betont er. In ein paar Tagen wird Jonas zusammen mit hunderten anderen Menschen aus Lüneburg wieder auf die Autobahn fahren – mit dem Fahrrad. Das ist zumindest der Plan für die Fahrraddemo Keine A39. „Bisher wurde uns das Befahren des Streckenabschnitts auf der A39 immer kurz vorher verboten, obwohl wir schon mal vor dem Verwaltungsgericht gewonnen haben“, kritisiert Jonas. Somit fuhr er mit den anderen Demonstrierenden bisher immer auf dem Schnellweg bis hin zur Autobahn. Jonas hofft, dass sie dieses Mal mehr Erfolg haben und die gesamte Route fahren dürfen.

Zukunft und zerschnittene Orte

„Eine automobile Gesellschaft darf angesichts der Klimakrise nicht unsere Zukunft sein“, davon ist Jonas überzeugt. Gemeinsam mit anderen Umweltaktivist*innen hört er nicht auf, bei der Verkehrswende für ein Umdenken in der autozentrierten Verkehrspolitik zu kämpfen. „Für mich zerschneidet die Autobahn Orte“, sagt er. Für die Zukunft wünscht er sich lebenswerte Städte, in denen Menschen gut und sicher Fahrradfahren, öffentliche Verkehrsmittel nutzen und zu Fuß gehen können. Ich frage Jonas, ob er seine ehrenamtliche Arbeit von seiner Freizeit trennt. Er sagt „Nein“ und erklärt, „Ich habe in meinem Leben entschieden, mich für das einzusetzen, was ich wichtig finde. Da gibt es keine Trennungen.“