C& América Latina
Der Kampf um Sichtbarkeit

Cover der aktuellen Print-Ausgabe von C&
Das Cover der aktuellen Print-Ausgabe von C& | Foto: Will Furtado

Seit 2013 ist Julia Grosse Chefredakteurin des im Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) initiierten Online-Magazins „Contemporary And (C&)“ für zeitgenössische Kunst aus Afrika und der Diaspora. Nun bringen das ifa und Goethe-Institut gemeinsam das neue Magazin „C& América Latina“ heraus, mit dem erweiterten Fokus auf die Verbindungen zwischen Afrika, Afro-Lateinamerika und der Karibik. Im Interview spricht Grosse über Vorurteile gegenüber der schwarzen Kunstszene und Fragen der Identität.​

Mit „Contemporary& America Latina“ (C&AL) haben Sie ein von „Contemporary&“ (C&) unabhängiges Online-Magazin gestartet. Wie kam es dazu?
 
Seit der Gründung von C& lag unser Fokus immer auf zeitgenössischer Kunst aus Afrika und der globalen Diaspora. In den vergangenen fünf Jahren haben wir immer regelmäßig auch über die große afro-lateinamerikanische und karibische Kunstszene berichtet, aus Puerto Rico, Kolumbien, aber vor allem auch Brasilien. Zur São Paulo Biennale 2016 haben wir dann zum ersten Mal beschlossen, eine gesamte C&-Print-Ausgabe zu machen, die sich afro-brasilianischen Perspektiven widmet. Der Launch fand in einem Kulturzentrum mitten in São Paulo statt und es kamen rund 400 Menschen.
 
Solche Veranstaltungen der schwarzen Kunstszene mitten im Zentrum der Stadt gibt es normalerweise während eines großen Kunstevents wie der Biennale nicht, solche Events würden eher in Randbezirken stattfinden. Diese Tatsache hat uns natürlich nachdenklich gemacht. Fragen von Sichtbarkeit und eben vor allem auch Nicht-Sichtbarkeit drängten sich auf. Dabei gibt es diese umfassende afro-brasilianische Kunstszene. Das hat uns motiviert, eine eigene Seite auf Portugiesisch, Spanisch und Englisch mit Fokus auf Afro-Lateinamerika und der Karibik zu starten.

Launch von C& América Latina Launch von C& América Latina | Foto: Will Furtado

Hoher Erklärungsbedarf

Wieso findet während einer solchen Biennale in São Paulo keine größere Veranstaltung für schwarze Künstler und Künstlerinnen statt?
 
Die weiße Kunstszene in Brasilien ist dominant und sehr ausschließlich. Schwarze Künstlerinnen und Künstler fühlen sich zu Recht ausgegrenzt. Sie müssen um Sichtbarkeit kämpfen. Das hat uns zum Denken angeregt: Statt immer mal wieder Künstlern partiell eine Stimme zu geben, haben wir uns dafür entschieden, eine eigene Plattform für sie zu schaffen. Und wir haben in mehreren Ländern gemerkt, wie hoch der Erklärungsbedarf ist. In Peru haben wir zum Beispiel Kommentare gehört wie: „Ist ja super, was ihr da macht, aber bei uns gibt es gar keine Afro-Künstler.“
 
Wie gehen Sie mit ignoranten Kommentaren um?
 
Wir sehen sie als Herausforderung. Denn es geht uns nicht in erster Linie darum, der Kunstwelt zu zeigen, was es alles an afro-lateinamerikanischer Kunst gibt. Wir wollen die Netzwerke der Künstler und Kuratoren sichtbar machen und die Plattform etablieren, damit sich kreative Akteure aus afrikanischen Perspektiven vernetzen können.

Eine Performance von Jota Mombaça im Rahmen des Launchs von C& América Latina Eine Performance von Jota Mombaça im Rahmen des Launchs von C& América Latina | Foto: Will Furtado

Fragen zum Begriff der Identität

Welche redaktionellen Schwerpunkte gibt es in „Contemporary&“ und „Contemporary& América Latina“?
 
In der jetzigen Printausgabe von C&, die auf der Berlin Biennale vorgestellt wurde, geht es um eine „Global Diaspora“ und Fragen zum Begriff der Identität. Ansonsten gibt es bei uns demnächst weitere Fokusthemen wie zum Beispiel das Jahr 1968, das jetzt 50 Jahre zurückliegt, und die Frage, wie eine Diaspora es in Deutschland erlebt hat. Bei C& América Latina war es zunächst einmal wichtig, Marken zu setzen, Fragen zu stellen. Was ist der Status quo? Wie sichtbar ist eine schwarze Diaspora in Peru? Oder wie ist der Umgang mit Argentiniens schwarzem Erbe? Diese Art Themen wollten wir gleich zu Beginn einführen, um ein paar wichtige, grundlegende Situationen genauer anzuschauen, bevor man sich vor allem auf die visuelle Kunst konzentriert.
 
Sie beschäftigen sich auch verstärkt mit dem Thema Identität. Was bedeutet Identität für Sie persönlich?
 
Ich versuche, das Wort „Identität“ zu vermeiden, obwohl ich natürlich davon geprägt bin. Das sind wir am Ende alle. Es ist schön, ein Magazin zu machen, bei dem das Kernteam selbst einen Bezug zur Diaspora hat, Teil von ihr ist. Und das ist vielleicht auch ein Aspekt des Erfolges.