Fahrradfreundliche Städte
„Es sollte normal sein, dass James Bond Fahrrad fährt“
Die Hansestadt Bremen steht weit oben auf der Liste der fahrradfreundlichsten Städte der Welt, noch vor Bogotá und Tokyo. Aber wie schafft man es, eine Auto-Stadt zur Fahrrad-Stadt zu machen? Michael Glotz-Richter aus der Stadtverwaltung Bremen erklärt, worauf es ankommt.
Von Eleonore von Bothmer
Michael Glotz-Richter engagiert sich seit 1996 als Referent für nachhaltige Mobilität bei der Stadtverwaltung Bremen dafür, dass die Stadt immer fahrradfreundlicher wird.
| Foto (Detail): © Glotz-Richter/Stadt Bremen
Herr Glotz-Richter, Bremen hat in den letzten Jahren viele Maßnahmen ergriffen, um den Verkehr fahrradfreundlicher zu gestalten. Hat die Strategie Erfolg gehabt?
In Bremen bewegen sich sehr viele Menschen per Fahrrad fort, und zwar egal ob Mann oder Frau, arm oder reich, Student*in oder Bankdirektor*in. Jede vierte Wegstrecke wird per Rad zurückgelegt, in der Innenstadt sind es sogar noch mehr. Neu ist dies jedoch nicht: Die Stadt hatte immer eine Radfahrkultur und somit war auch die Infrastruktur immer schon geeigneter als in anderen Städten. Das ist wie in den nahen Niederlanden, wo Radfahren total normal ist.
Wo steht Bremen im internationalen Vergleich?
Bremen steht auf Platz 11 des internationalen Copenhagenize-Index, der Städte nach Fahrradfreundlichkeit rankt. Die ersten Plätze belegen Kopenhagen und Amsterdam, auch Frankreich liegt mit Straßburg, Bordeaux und Paris vor den deutschen Städten. Das sind zunächst alles europäische Städte, aber direkt nach Bremen kommt Bogotá und bald darauf auch Tokio.
Wie prägt diese Fahrradfreundlichkeit das Stadtbild?
In der gesamten Innenstadt gibt es inzwischen viele Fahrradstraßen. Diese dürfen zwar auch Autos befahren, aber die Radfahrer*innen haben Priorität. Und es gelten bestimmte neue Regeln, zum Beispiel, dass man ausdrücklich nebeneinander radeln darf. Autofahrer*innen mussten sich erstmal an das neue Tempo gewöhnen. Es geht aber nicht darum, politisch zu polarisieren zwischen Autofreund*innen und Autohasser*innen – sondern einfach um einen anderen Umgang, bei dem nicht automatisch das Auto Vorrang hat.
Auf Fahrradstraßen gelten eigene Regeln: Nebeneinander radeln ist hier ausdrücklich erlaubt.
| Foto (Detail): © Glotz-Richter/Stadt Bremen
An was muss man alles denken, wenn man eine Stadt so „umrüstet“?
Tatsächlich gibt es einiges zu berücksichtigen. Das fängt an bei ausreichenden Abstellplätzen für Fahrräder; hier haben sich die Bremer Fahrradbügel bewährt, an denen man das Rad sicher anschließen kann. Für eine bessere Befahrbarkeit haben wir Kopfsteinpflaster gegen Asphalt ausgetauscht. Wir mussten auch Überquerungen an Straßenbahnstrecken planen – verwaltungstechnisch sehr aufwendig, aber es lohnt sich. Seit fast 20 Jahren gibt es an Mobilpunkten Carsharing, auch das ist sehr wichtig als Alternative zum Autobesitz. Außerdem haben wir mehrere Luftpumpstationen, Aufladestellen für E-Bikes und sogar ein Fahrrad-Repair-Café. 2020 wurde in Bremen die erste Fahrradzone Deutschlands eingerichtet. Das alles macht unsere Stadt fahrradfreundlich, aber natürlich gibt es auch hier in Bremen noch einiges zu tun.
Sie arbeiten seit Jahrzehnten daran, das Fahrrad zum wichtigsten Fortbewegungsmittel zu machen. Warum?
Das eigene Auto sollte einfach nicht mehr zentral sein. Es geht um Klimaschutz und um Platz, aber auch um vieles mehr. Autos werden immer größer und parken in den Städten die Straßen zu. Zugleich spielen viele Kinder nicht mehr draußen: kaum Platz und dazu Verkehrsgefahren. Wenn man seine Alltagswege auf dem Rad zurücklegt, spart das Zeit und Geld. Es gibt weniger Stau für alle. Man kauft eher im Laden um die Ecke ein als im Einkaufszentrum, unterstützt also zudem den lokalen Einzelhandel. Es ist auch einfach gesund und entspannend, sich zu bewegen, das tun die meisten ohnehin zu wenig. Je fahrradfreundlicher eine Stadt ist, desto weniger braucht man ein eigenes Auto.
Ziehen denn da alle willig mit oder gibt es auch Widerstände?
Natürlich sind wir nicht „everybody´s darling“. Das Auto ist in Deutschland extrem emotional besetzt, viele Städte trauen sich daher kaum, das Thema anzugehen. Im Grunde stellen wir gerade ein Paradigma auf den Kopf – anders als bisher räumen wir dem Radverkehr Vorrang ein und stürzen damit auch alte Privilegien. Wir wollen, dass gilt: „Mit dem Auto bin ich Gast.“ Bisher ist es meist genau andersherum. Das Wichtigste ist, den Mut zu haben, an diesen Vorstellungen zu drehen. Viel findet ja in den Köpfen statt. Es dominieren bestimmte Ideen darüber, wie Mobilität auszusehen hat. Wir wollen weg vom Mobilitätsbild der 1960er- bis 1980er-Jahre und hin zu einem Bild der Nachhaltigkeit für 2030.
Wo fängt man da an?
Infrastruktur und Mobilitätskultur haben immer etwas mit Einstellungen zu tun. Und die ändern sich nicht über Nacht. In alten Filmen wurde überall selbstverständlich geraucht – heute ist das kaum vorstellbar. Heutzutage ist das Auto in den Filmen immer präsent. Wenn wir in 20 Jahren den Tatort anschauen, schütteln wir vielleicht den Kopf darüber, welche Rolle Autos da gespielt haben. Um hierzulande das Image des Fahrradfahrens zu verbessern, sollte man zum Beispiel im Tatort die Kommissare auch per Rad oder Carsharing-Auto ermitteln lassen. Das habe ich für die Bremer Kommissarin schon angeregt, aber leider habe ich mir daran die Zähne ausgebissen. Es sollte normal sein, dass ein James Bond Fahrrad fährt – dann wäre die Basis für eine zukunftsfähige Mobilitätskultur geschaffen.
Bremen ist weit vorne – wie sieht es denn sonst aus in Deutschland?
Im ganzen Land tut sich viel, in großen wie in kleinen Städten. In Berlin gibt es bereits Pop-up-Radwege, Stuttgart bemüht sich auch – muss es auch, um die Luftqualität zu verbessern. Je mehr Radverkehr, desto weniger Stau.
Wie raten Sie anderen Städten vorzugehen?
Weltweit nach Vorbildern zu schauen. Mutig zu sein. Nicht nur zu reden, sondern zu machen. Sich mit Menschen auszutauschen. Widerspruch auszuhalten, sich durch Konflikte nicht ausbremsen zu lassen – denn solche Veränderungen laufen selten geräuschlos ab.
Projekt fahrradfreundliches Bremen
In Bremen gibt es zwei Fahrradmodellquartiere: ein Altbaugebiet am Rande der Innenstadt, die Alte Neustadt, sowie ein eher peripher gelegenes Neubaugebiet, den Ellener Hof. Beide Quartiere sind fahrradfreundlich gestaltet. In der Alten Neustadt wurden 12 Straßen mit zusammen rund 2,5 Kilometern Länge im Juli 2020 zur ersten deutschen Fahrradzone.
Bremen arbeitet zudem an einem Netz von „Fahrradpremiumrouten“, die die Stadtteile verbinden. In den Stadtteilen ergänzen Fahrradstraßen das Netz, überall gibt es Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Bei Neubaumaßnahmen müssen immer auch Fahrradparkplätze vorgesehen werden. Als Alternative zum Autobesitz ergänzt Carsharing die Strategie. Von den aktuell rund 20.000 Carsharer*innen in Bremen haben über 6.000 ein Auto aufgegeben oder gar nicht erst angeschafft – was den Straßenraum in Bremen um rund 30 km abgestellte PKW entlastet.