Bangladesch - Der stille Vorreiter des Modekreislaufs
Obwohl umweltfreundliche, ethische und nachhaltige Mode erst in jüngster Zeit eine Entdeckung für die globale Modeindustrie war, ist Bangladesch seit mehreren Generationen ein stiller Verfechter dieser Praxis.
Von Mahenaz Chowdhury
Die Werte der nachhaltigen Mode, Slow Fashion oder Upcycling sind nichts Neues. Uns ist eine Weltanschauung, die der Erhaltung, Rettung und Achtung der Natur Rechnung trägt, von klein auf vertraut.
Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen, in der die Wieder- bzw. Weiterverwendung von abgetragenen Kleidern (handed down) schon immer Usus gewesen war. Das war offensichtlich, da ich meine Großmutter, Mutter und Tanten die voneinander abgetragenen Saris und Blusen tragen sah. Sie bewunderten sich gegenseitig und, obwohl sie es damals nie zugaben, machte es jeden abgetragenen Sharara um so einiges spezieller. Als ich herangewachsen war, begann meine Tante, die Modemodel und Schauspielerin war, mir Kollektionen aus ihrer Garderobe anzuvertrauen. Nun besitze ich einen Kleiderschrank, der wie eine Zeitmaschine ist, aus der ich einige der interessantesten Original-Trachten der letzten vier Jahrzehnte entnehmen kann.
Das galt für die meisten Haushalte damals. Gehen Sie in der Zeit zehn Jahre zurück: Da benutzten wir alte Saris, um jeden Winter Kanthas zu sticken oder Quilts zu fertigen, sowie alte aber ohne weiteres verwertbare wunderbare Stücke neu zu verarbeiten. Ehrlich gesagt, war eines unserer wichtigsten handwerklichen Erbeigenschaften gerade das Nähen für unsere Familie. Eine Gemeinschaft durch Handwerk und Tradition zu weben, war keine leichte Aufgabe. Das Quilten selbst gibt es schon seit Jahrhunderten. Von der Zeit der Pharaonen bis zu den Kreuzzügen Europas im 12. Jahrhundert und von den amerikanischen Großmüttern des 18. Jahrhunderts bis zu meiner Großmutter war Quilten eine Kunstform, um die Wesenszüge und die Geschichten großer Zivilisationen und kleiner Familien gleichermaßen einzufangen. Der von uns gewebte Stoff ist nicht nur eine Ware oder ein Statement, den wir von einem Designer-Geschäft gekauft haben, sondern es ist genau das Gewebe, das uns miteinander verbindet. Zerrissene Saris und althergebrachte Traditionen haben Gemeinschaften und Kulturen im Laufe der Zeit vereint – überzeugen Sie sich selbst!
Die weltweite Textilproduktion stößt jährlich 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgase aus. Bangladesch produziert bis zu 350,000 Tonnen Stoff-Abfälle, was einem Viertel der Produktion entspricht, das auf einer Deponie entsorgt bzw. verbrannt wird (Reverse Research 2017). Bangladesch ist weltweit der zweitgrößte Hersteller von Konfektionskleidung. Erfordert das nicht, dass wir auch unserer Verantwortung Rechnung zu tragen haben? Im vergangenen Jahr haben globale Marken wie Burberry, Gap, H&M, Kering, Levi's und Inditex beschlossen, eine Reihe unternehmerischer Sorgfaltspflichten einzugehen, u.a. mit dem Ziel der Reduzierung von Treibhausgasemissionen um 30 Prozent bis zum Jahr 2030. (Vogue, 2019)
Deshalb wollte ich als Modedesignerin aus Bangladesch und Inhaberin meiner eigenen Circular Fashion Modemarke – Broqué – meine Verantwortung wahrnehmen und meine Kultur und althergebrachte Traditionen in Ehren halten, indem ich mich im kalten Winter auf die Reise zu einem der schönsten und historisch wichtigsten Gebiete Bangladeschs begab, und zwar in den Norden, von Dinajpur bis Rangpur und zurück.
Als ich im Flugzeug saß, hatte ich keine Ahnung, was ich auf dieser Reise, auf eigene Faust, machen wollte, außer der Tatsache, dass ich einen roten Faden finden musste, der meine Masterarbeit über nachhaltige Textilien in Bangladesch mit der Recherche über die Kultur in Bangladesch für das Feature-Vorhaben des Goethe-Institut verbindet sowie eine ethische vertikale Integrationsmöglichkeit für Broqué realisiert. Also grenzte ich meine Recherche ein. Zum Schwerpunkt wurden nun die Kunststickerei und historische Entwicklung der Herstellung von Naturfarbstoffen für Textilien in Rangpur.
Die Kunsthandwerker des Nordens
Blick in eine Halle mit Handwebstühlen für Satranji in Rangpur | © Mahenaz Chowdhury Der Norden ist die Heimat von erstaunlichen Handwerkern, die die Kunst und Geschicklichkeit des Quiltens und der Handstickerei an viele, viele Generationen weitergegeben haben. Rajshahi, Rangpur, Dinajpur, Lalmonirhat und Saidpur sind einige der Regionen, die ich bereisen konnte oder anhand der Interviews mit Menschen, die ich unterwegs traf, erfassen konnte.Die Vielseitigkeit in der Handwerkskunst und der Form der Tätigkeit, die ich in einer knappen Woche erlebte, war schlichtweg faszinierend und vielversprechend.
Satranji ist eine aus dem Jahr 1830 stammende Form des traditionellen Webens am Handwebstuhl zur Herstellung von Matten und Läufern, die ein Kernelement des Handwerks von Rangpur darstellt.
Wiederbelebung einer verlorenen Kunst
Der Norden ist seit jeher ein integraler Bestandteil Bangladeschs in Bezug auf den Anbau einer zur Familie der Hülsenfrüchtler (legume) angehörenden Pflanze. Diese Pflanze wird dann verarbeitet, um den natürlichen Indigofarbstoff (natural indigo dye) zu gewinnen. Während der britischen Kolonialzeit wurde den Bauern und Bäuerinnen für den Anbau von Hülsenfrüchten eine hohe Steuer auf die Pacht für das Anbauland sowie Saatgut auferlegt. Andererseits wurden sehr niedrige Preise für den Indigofarbstoff (indigo dye) angeboten. Das führte zu einem Teufelskreis für die Bauern und Bäuerinnen, denn ihre Schulden stiegen an. Sie schlossen sich zusammen und entschieden, die Gewinnung des Farbstoffs einzustellen und sich somit ab dem Jahr 1940 von der Verschuldung zu befreien. Wir hatten diesen Farbstoff seit einer gewissen Verkettung von Ereignissen vor einem Jahrzehnt nicht mehr hergestellt.Färbeverfahren mit Indigo | © Mahenaz Chowdhury In der Region Rangpur hatten viele Generationen keine Erinnerung mehr an die Indigo-Farbstoffproduktion und an die Missstände einer unter der Kolonialherrschaft stehenden Region. Murtaza, Projektleiter von Living Blue Bangladesh und ein stolzer Einheimischer, sitzt mir gegenüber im Hauptsitz der Organisation Care Bangladesh in Dhaka, und während wir Tee trinken, bereichert er meinen Horizont mit der unglaublichen Geschichte einer verlorenen Kunst und wie sie eine wichtige Rolle bei der Wiederbelebung des Nordens gespielt hat. Wie beiläufig nahm mein Rechercheauftrag des Goethe-Institut’s Form an.
Sona - die Finalistin für die Auszeichnung Loewe Craft Prize 2017 für ihr weißes auf weißem Pfauen-Quilt-Muster. Es dauert 2 bis 3 Monate, bis eine Kantha (eine Decke in voller Größe) fertiggestellt ist. | © Mahenaz Chowdhury Der beste Teil meiner Reise war, die außergewöhnlich begabten Weberinnen zu erleben, die wunderschöne Designs und Gewebe kreieren und somit zur Erhaltung dieser Kultur ihren Beitrag leisten. Traditionell trugen die Frauen des Hauses zum Einkommen der Familie bei, indem sie Kantha-Stickereiarbeiten aus der Nachbarschaft in Auftrag nahmen. Jede dieser zu bewundernden Persönlichkeiten verfügte über ein hohes Maß an Ausdauer und Erfahrung und teilten gerne mit mir ihre Praktiken. Sie erzählten wie sie immer noch den gesamten Haushalt versorgten und doch auch ihre Kantha-Stickereiarbeiten weiterentwickelten. Sie waren sehr stolz auf ihre Tätigkeit, aber besorgt, dass die junge Generation, d.h. ihre Kinder und Enkelkinder, kein Interesse an der Handwerkskunst zeigte und nichts mit dem Kulturerbe zu tun haben wollte.
Sie wollen bessere Arbeitsplätze in der Stadt und grelle importierte indische und chinesische Kleidung tragen.
“Ausländer*innen und im Ausland lebende Bangladescher*innen kümmern sich mehr um unsere Traditionen und das Kunsthandwerk als die Menschen in unseren eigenen Gemeinschaften", sagt die warmherzige und mitfühlende Sona Rani, mit der ich mich sofort verbunden fühlte, als ich den pinkfarbenen Nagellack auf ihren Fingernägeln sah.
Zu meiner Überraschung hatte jede der Frauen tatsächlich ihre eigenen und individuellen Mode-Statements, trugen Stoffdrucke und Muster aus den verschiedenen Regionen des Nordens. Überrascht deswegen, weil internationale Mode heutzutage mehr oder weniger die Norm und die moderne Identität ein globalisiertes Füllhorn an Ideen und Überzeugungen sind. Dass die Menschen so sehr in der einheimischen Kultur verwurzelt sein können, war für mich als Stadtmädchen enorm beeindruckend, das in der weiten Welt ihren Platz an der Sonne suchte. Alle Ehre!
Als nächstes konnte ich einen kurzen Rundgang durch die Living Blue-Einrichtungen machen, was mir die Gelegenheit gab, die dort vorhandenen nachhaltigen Praktiken zu überprüfen. Sie produzierten atemberaubende Farben für ihre schönen Stoffe aus den unerwartesten Quellen – Eukalyptus, Betelnuss, Banane und Zwiebel, um nur einige zu nennen. Die Wasserspeicher für die Färbepflanzen werden den Bauer*innen in der Gegend zur kostenlosen Wiederverwendung für die Bewässerung ihrer Nutzpflanzen zur Verfügung gestellt. Der organische Charakter des Ansatzes ermöglicht eine solche nahtlose Integration.
Meine Reise endete nun mit der herrlichen Erlebniswelt der Region, die eine Palette von wohlschmeckenden, lokalen Leckerbissen, kulinarischen, nur in Rangpur erhältlichen, Spezialitäten anzubieten hatte. Ich genoss Chingri Chops (frittierte Garnelen), Kebabs in einem Brötchen an einem Straßenstand und heißserviertes shidol, das lokale shutki – Gericht (sonnengetrocknete Fische) aus der Küche von Living Blue. Mit einem vollen Herzen, frischem Geist und gefülltem Magen, kehrte ich ins fröhliche, alte Dhaka zurück.
Ich denke, der Faden, der alles verbindet und zusammenhält, ist Kultur – ein kulturelles Erbe des Handwerks gegenüber einer Kultur des Profits, eine Kultur der Tradition gegenüber einer Kultur der Modernisierung, aber vor allem die Kultur der Nachhaltigkeit. Die Traditionen und Werte, die wir haben, sind entscheidend für die Bildung bewusster Generationen der Zukunft. Ich hoffe, dass unsere Geschichten über das Erbe und dessen Erhaltung als Träger der Hoffnung und des Zukunftspotenzials weitervermittelt werden.
Eines ist offensichtlich: Wir müssen unser Erbe der Kantha-Stickerei, die natürlichen Färbestoffe und Stoffe von Handwebstühlen schützen und bewahren. Es hat Auswirkungen nicht nur für die örtlichen Lebensbedingungen, sondern auch für die künftigen Generationen und ist richtungsweisend für die Kultur und Werte unserer Gemeinschaften.