Alfama ist eines der alten Viertel in Lissabon, das in den letzten Jahren einen rasanten Wandel mitgemacht hat. Sein charakteristischer Charme, eine Mischung aus derb und romantisch, weicht immer mehr der schönen, glänzenden Welt des Tourismus. Eine Fotoreportage.
Von Eva Gür
Als ich im Herbst 2012 nach Portugal ging, wusste ich nicht, dass ich dieses Land einmal meine zweite Heimat nennen würde. Ich kam, als die Krise ihren Höhepunkt erreichte und habe den rasanten Wandel der letzten Jahre miterlebt, mit allen Höhen und Tiefen. Ich kam in einem deprimierten Land an, in dem vor allem meine Generation ihre Zukunft verschenkt sah. Viele junge Menschen verließen das Land, als ich entschied zu bleiben und manchmal fühlte ich mich, als würde ich gegen den Strom schwimmen. Ich lebte in Alfama, einem Viertel, das dieses Gefühl stark widerspiegelte. Ich lebte in Alfama, das es heute, sechs Jahre später, so nicht mehr gibt.
Veränderungen rufen in den Menschen oft zwiespältige Gefühle hervor: Die einen sagen, früher sei alles besser gewesen, die anderen sind glücklich darüber, dass es eben nicht mehr so ist, wie es früher einmal war. In Alfama ist das ganz ähnlich. Historisch gesehen war Alfama immer schon ein armes Viertel mit sozialen Schwierigkeiten und früher riss sich niemand darum, dort zu leben. Zum einem freut man sich darüber, dass wieder mehr Leben im Viertel ist. Zum anderen scheint es, als sei nicht mehr viel Platz für Anwohner und deren Bedürfnisse. Denn das Viertel wandelt sich mit der Nachfrage der Touristen. Preise steigen, kleine typische Cafés weichen schicken Bars und Restaurants, es wird überall luxussaniert und neue Ferienwohnungen überschwemmen den Markt.
Änderungen im Mietrecht und Airbnb machten es für Wohnungsbesitzer und Großinvestoren einfacher denn je, ihr Eigentum als Ferienwohnung anzubieten. Dadurch wurde bezahlbarer Wohnraum immer geringer, denn an Gästen mangelt es nicht: Die wachsende Angst vor Terrorismus hatte negative Auswirkungen auf viele beliebte Reiseziele. Die nächste attraktive Alternative war Portugal, das vor der Krise ein günstiges Land zum Reisen war und es aufgrund der Krise und der Sparpolitik der Troika zunächst auch blieb. Zudem machen Klima und geografische Lage Portugal zu einem perfekten Land für den Tourismus-Boom. Und so hat sich alles geändert.
Die Bildergalerie zeigt einige der Veränderungen in Alfama infolge der oben beschriebenen Entwicklungen in der letzten Dekade.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Kaum wiederzuerkennen ist die Promenade zwischen Tagus und Alfama. Vor einigen Jahren flanierte man hier noch auf abgesenkten Gehsteigen aus brüchigem Kopfsteinpflaster an traditionellen Cafés und Restaurants vorbei. Düstere Ecken, die in Gassen führten, die man als Tourist nicht betreten würde. Zwischen „alt“ und „neu“ steht in Alfama der Tourismus.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Jeden Tag besuchen unzählige Touristen das Viertel Alfama. Ihnen wird ein besonderes Erlebnis versprochen. Von der Fado-Show bis zum Gastronomieangebot: Man wird nett angelächelt und auf Englisch eingeladen, die typische portugiesische Küche zu genießen.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Nicht renovierte Häuser und Ruinen prägten jahrelang das Bild von Alfama. Heute ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Gebäude von Investoren und großen Immobilienfirmen gekauft und luxussaniert werden. Die Bewohner müssen dann meist ihre Wohnungen verlassen, da die sanierten Unterkünfte an Touristen oder zu unbezahlbaren Preisen vermietet werden.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Nicht selten sieht man ganze Gebäude, die nur noch aus Ferienwohnungen bestehen. Wo vor einigen Jahren noch Familien und Menschen aus dem Viertel lebten, verbringen heute Gäste aus der ganzen Welt ihren Kurzurlaub. Auch das Haus, in dem ich jahrelang gelebt habe, besteht heute zu 90 % aus Ferienwohnungen.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
An sich fehlt es jedoch nicht an Wohnraum. Viele Gebäude in Alfama und in ganz Lissabon stehen immer noch leer. Als Lissabons Ruf als sicheres Pflaster für Immobilien-Investments sich verbreitete, kauften Investoren von außerhalb ganze Gebäudeblöcke zu günstigen Preisen, renovierten diese aber nicht. Ihr einziges Ziel ist es, diese Gebäude in einigen Jahren mit Profit zu verkaufen.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Müll auf der Straße war leider immer schon ein großes Thema in Alfama. Man sollte meinen, dass der Vermüllung im Zuge der allgemeinen Verschönerung für den Tourismus Einhalt geboten wurde. Leider Fehlanzeige! Überfüllte Mülleimer und offene Müllsäcke auf den Straßen sind auch eine Folge des Tourismus-Booms. Im Urlaub wird oft rücksichtsloser mit Müll umgegangen. Nicht zuletzt oft auch aus Unwissen, wie oder wo der Müll entsorgt werden soll.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Alte Mütterchen verkaufen auf der Straße Kirschschnaps an Touristen, um ihre geringe Rente aufzustocken. Oft sitzen sie einfach in ihrem Hauseingang und warten, bis die Kunden kommen.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Baustelle Alfama! An jeder Ecke wird renoviert! In diesem Haus leben bisher noch die alten Mieter. „Was nach den Renovierungsarbeiten mit ihnen passiert, wissen sie noch nicht!“, erklärt mir ein Nachbar. „Aber es ist doch sowieso schon alles entschieden, nur sagen wollen die uns das noch nicht. Als ob das etwas ändern würde ...“. Gleichgültigkeit, Frust und Hilflosigkeit machen sich unter den Anwohnern breit.
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Foto: Goethe-Institut © Eva Gür
Mit Street-Art und Demonstrationen versuchen die Bewohner, gegenzusteuern und ihre Meinung öffentlich kundzugeben. Auf den Druck der am weitesten links stehenden Parteien reagierte die Stadtverwaltung mit einem „Airbnb-Stop“ in den historischen Vierteln. In Zukunft sollen keine neuen Ferienwohnungen registriert werden dürfen.