Ingenieurin, IT-Fachkraft, Arzt – das sind Berufe, die vielen jungen Südamerikaner*innen attraktiv erscheinen. Lucia Alt vom Goethe-Institut São Paulo erklärt, warum es sich auch lohnen kann, die Fremdsprache Deutsch für das Lehramt zu studieren.
Die deutsche Sprache gilt als sehr schwer. Ist das der Grund, warum es in Südamerika an Deutschlehrkräften fehlt?
Dieses Vorurteil gibt es tatsächlich. Aber der Mangel an Deutschlehrkräften hat vor allem strukturelle Gründe. Bis vor zwei bis drei Jahrzehnten gab es in den Bildungssystemen vieler Länder in Südamerika kaum Möglichkeiten oder Ressourcen um in den Ausbau des Fremdsprachenunterrichts bzw. im Angebot mehrerer Fremdsprachen in der schulischen Ausbildung konsequent zu investieren. Daher wird auch häufig dieser Beruf mit wenig Karrierechancen und einer geringeren Bezahlung assoziiert - was aber so nicht mehr wirklich der Realität entspricht. Im Gegenteil.
Was hat sich konkret verändert?
Ich möchte das am Beispiel Brasilien verdeutlichen: Bis vor ca. 15 Jahren war in Brasilien der Zugang zum Deutschunterricht im schulischen Kontext noch sehr gering. Der Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht wurde ausschließlich an relativ wenigen Schulen in von der deutschen Einwanderung geprägten Regionen Südbrasiliens angeboten, in den großen wirtschaftlichen Ballungszentren wie São Paulo, Rio de Janeiro und Curitiba und das in der Regel eher an privaten Schulen. Inzwischen hat sich dieses Szenario grundlegend geändert: das Angebot an Fremdsprachenunterricht gibt es inzwischen landesweit und an öffentlichen und privaten Schulen. Die Bildungsministerien der verschiedenen Bundesstaaten haben großes Interesse am Ausbau bzw. an der Ausweitung dieses Angebots im öffentlichen Schulsystem und setzen sich auch kontinuierlich dafür ein. Im privaten Sektor steigt die Zahl von Schulen ständig, die das Goethe-Institut für Beratungen in diesem Sinne aufsuchen. Aktuell wird an ca. 400 Schulen in Brasilien Deutsch als Unterrichtsfach angeboten. In dieser Situation findet eine sprachlich und fachlich gut qualifizierte Lehrperson fast unmittelbar und jederzeit einen Arbeitsplatz. Die Fremdsprachen Englisch und Spanisch behalten weiterhin eine größere Bedeutung – auch in der curricularen Verankerung -, doch Deutsch macht hier in Brasilien eine enorme Entwicklung durch.
Der Aufwärtstrend der letzten Jahre von Deutsch im schulischen Kontext sowie zahlreiche Werbemaßnahmen für den DaF-Lehrkräfte-Beruf führen schrittweise dazu, dass in die Ausbildung von Fremd- bzw. DaF-Lehrkräften, Lehramtsanwärter*innen gelangen, die bereits Deutschvorkenntnisse haben. Die große Mehrheit aber, die Interesse an Deutsch haben, beginnt heute immer noch an der Universität damit, diese Sprache zu lernen und den Lehrberuf in diesem Kontext perspektivisch zu entdecken. Somit wird sich in Konsequenz mittelfristig qualitativ und quantitativ gesehen, eine sprachliche und fachliche Entwicklung einstellen.
Das heißt also, dass es positive Aussichten für den aktuell noch spürbaren Mangel an DaF-Lehrkräften gibt.
Hat die geringe Bedeutung von Fremdsprachen in Südamerika Tradition?
Prinzipiell ja. Die meisten Länder verstanden sich in diesem Kontinent – aus historischen oder geopolitischen Gründen - über Jahrzehnte als monolingual, auch ohne die autochthonen Sprachen zu berücksichtigen. Erst ganz allmählich kam hier ein neuer Trend auf. Indigene Sprachen, die das öffentliche Leben in südamerikanischen Ländern mitprägen, werden zunehmend in die schulische Bildung integriert, sodass der bilinguale Unterricht in vielen der betroffenen Regionen oder Ländern inzwischen schon weitgehend konsolidiert ist und kontinuierlich wissenschaftlich begleitet wird. Mit der Globalisierung und der zunehmenden Feststellung, dass der Zugang zur Forschung auf internationaler Ebene dieses erfordert, gewinnen Fremdsprachen – insbesondere Englisch – an Bedeutung. Auch die Zahl der Schulen, an denen Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wird, nimmt nun allmählich aber kontinuierlich zu – u.a. durch die Erkenntnis, dass die deutsche Sprache gerade für Studium und Berufsperspektiven ein großes Potential hat.
Mit welchen Maßnahmen und Projekten versucht das Goethe-Institut, junge Menschen für den Beruf der Deutschlehrenden zu gewinnen?
Wir waren uns schon immer dessen bewusst, dass überzeugte und motivierte Deutschlehrkräfte am besten erklären können, warum es sich lohnt, ihren Beruf zu ergreifen. Wir haben sie also zunächst in einem Wettbewerb dazu aufgerufen, über ihre Erfahrungen zu berichten. Anschließend haben wir auf Facebook Live-Gesprächsrunden mit diesen und anderen Deutschlehrkräften veranstaltet, aus denen Kurzvideos und auch eine Online-Plakat-Ausstellung entstanden sind. Die Ergebnisse waren überwältigend, auch für uns Mitarbeiter*innen des Goethe-Instituts. Diese Erfahrungen aus erster Hand erreichen junge Menschen in Südamerika zum Beispiel über die sozialen Medien und Informationen auf unseren Internetseiten. Wir erreichen damit – auch in Zusammenarbeit mit den Deutschlehrerverbänden und den Hochschulen – potentielle Interessent*innen an Schulen, Hochschulen sowie Entscheidungsträger*innen von Bildungsbehörden.
Foto: ©Goethe-Institut São Paulo – Chico Audi
Was zeichnet die Erfahrungen von Deutschlehrkräften in Südamerika aus?
Den Berichten aus dem Wettbewerb zufolge war das Erlernen an sich der zunächst so fremden deutschen Sprache eine so bereichernde Erfahrung, dass sie beschlossen, selbst diese Sprache zu unterrichten. Nicht zu vernachlässigen, die Tatsache, dass das Deutsche ihnen neue Möglichkeiten sowohl als Lernenden als auch als Lehrenden eröffnet, weil gerade Institutionen wie das Goethe-Institut, der Deutsche Akademische Austauschdienst oder die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen viele spannende Angebote bereit halten für die vergleichsweise kleine Gruppe der Deutschlernenden und -lehrenden in Südamerika – von der Deutscholympiade bis zum Stipendium für ein Jugendcamp in Deutschland. Austauschprojekte für Schüler*innen und Studierende werden als sehr prägend empfunden. Und auch nach dem Studium stehen DaF-Lehrkräfte nicht alleine da: Sie können zum Beispiel mit vielseitigen Fortbildungsangeboten des Goethe-Instituts rechnen und sich auf Kongressen, Symposien und Tagungen mit Kolleg*innen aus dem eigenen Fach austauschen, die an anderen Schulen und Hochschulen, an anderen Orten und in anderen Ländern tätig sind.
Was motiviert junge Menschen dazu, sich für diesen Beruf zu entscheiden?
Wir kennen sehr viele Geschichten von Deutschlernenden und -lehrenden, die ursprünglich eher zufällig ihre Faszination für diese Sprache entdeckt haben.
So zum Beispiel vom Klang und der Bedeutung eines bestimmten zufällig gehörten Wortes. Andere erzählen, dass sie eigentlich Englisch oder Französisch lernen wollten, an der Universität aber nur einen Studienplatz für Deutsch ergattern konnten. Und viele wurden dann von Dozent*innen für Deutsch unterrichtet, die sie motivieren – und die ihnen zum Vorbild für ihre eigene Zukunft wurden.
Welche Entwicklungsperspektiven haben Deutschlehrer*innen in Südamerika?
Auch das ist sehr vielfältig. Zunächst einmal kann man sagen, dass Menschen, die auf einem guten Niveau Deutsch sprechen, in der Regel eine zufriedenstellende Arbeit finden, durchaus attraktive Gehälter erzielen und sehr gute Arbeitsbedingungen haben können. Das ist hier in Südamerika allerdings viel zu wenig bekannt. Eine Teilnehmerin an dem Wettbewerb für Deutschlehrkräfte beispielsweise ist in einer nordbrasilianischen Landeshauptstadt als Lehrkraft tätig, wo vor fünfzehn Jahren noch niemand Deutsch lernen konnte. Sie hat das Fach dort an einer privaten allgemeinbildenden Schule so attraktiv gemacht, dass es ins Curriculum integriert wurde und inzwischen die ersten Absolvent*innen zum Studium nach Deutschland gegangen sind. Einige DaF-Lehrkräfte werden zu Fortbilder*innen, übernehmen später Koordinationsrollen oder auch Leitungen von Schulen. Andere haben sich nach einigen Jahren im Bildungsbereich zum Beispiel dafür entschieden, an der Universität zu forschen und in diesem Bereich Hochschuldozent*innen zu werden. Es gibt also viele interessante Möglichkeiten für gut qualifizierte DaF-Lehrkräfte in Südamerika.