In ihrem Programm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hat die UNESCO siebzehn globale Nachhaltigkeitszeile formuliert. Goethe-Institute in aller Welt entwickeln nun Ideen, welchen Beitrag der Deutschunterricht hier leisten kann. Der Standort São Paulo setzt auf studentische Wettbewerbe, ein Brettspielset und eine Kooperation mit Universitätslehrkräften.
Die Zerstörung des Regenwaldes, die Förderung erneuerbarer Energien, die nachhaltige Stadtentwicklung… Das sind einige der Themen, die Brasilien in Sachen Ökologie beschäftigen, unter anderem in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Deutschland. Auch an brasilianischen Schulen haben Umweltschutzthemen schon seit Jahrzehnten Raum. „Lehrkräfte beschäftigen sich beispielweise im Biologie- oder Geografieunterricht mit Themen wie Mülltrennung und Recycling. Auch in vielen Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache gibt es einzelne Kapitel dazu“, erzählt Dr. Renato F. Silva, Beauftragter für Bildungskooperation Deutsch am Goethe-Institut São Paulo.
Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit
Anders sieht es mit sozialen Aspekten der Nachhaltigkeit aus. Zwar sind beispielsweise der Schutz von Indigenengebieten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie der Kampf gegen Hunger Themen, die die Menschen in dem größten Land Südamerikas beschäftigen. So gibt es beispielsweise ein großes Bewusstsein dafür, dass Frauen weniger verdienen als Männer, dass People of Color schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und dass die Armut ein großes Problem darstellt, weil viele Brasilianer*innen im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung, auch bedingt durch die Coronapandemie, ihre Arbeit verloren haben. „Die Menschen lesen davon in der Zeitung und sehen vor der eigenen Haustür ganze Familien, die obdachlos geworden sind und in improvisierten Zelten schlafen“, erzählt Renato Silva. „Doch: Die meisten Brasilianer*innen verbinden solche Probleme nicht unbedingt mit dem Begriff der Nachhaltigkeit, der in den Köpfen nach wie vor eng an die Ökologie geknüpft ist.“
Das mag auch daran liegen, dass diese Themen im brasilianischen Schulunterricht bisher nur selten eine Rolle spielen. Dabei können alle Fächer einen Beitrag zur Bildung für die nachhaltige Entwicklung leisten, auch die Fremdsprachen. „Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema, nicht nur für Deutschland und nicht nur für Brasilien, sondern für die ganze Welt. Wir möchten unsere Kontakte zu Lehrkräften, Schulen und Verbänden nutzen, um das Thema voranzutreiben und den Deutschunterricht dadurch interessanter zu gestalten“, sagt Renato Silva und gibt ein Beispiel: „Wenn im DaF-Unterricht über Essen und Trinken gesprochen wird, können Lehrkräfte auch unabhängig vom Lehrwerk an aktuelle Probleme anknüpfen und thematisieren, dass viele Menschen in Brasilien Hunger leiden.“
Über Fächergrenzen hinweg
Das Goethe-Institut in São Paulo hat seit vergangenem Jahr erste Ideen entwickelt und umgesetzt, um diesen Prozess anzustoßen. Ein wichtiges Ziel dabei ist es, angehende Deutschlehrkräfte für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu sensibilisieren. Im vergangenen Jahr wurde mit der UNESCO der Wettbewerb „Gemeinsam für mehr Bildung für nachhaltige Entwicklung“ organisiert, der auf großes Interesse stieß. DaF-Studierende waren dazu aufgerufen, in Teams mit Kommiliton*innen aus anderen Studiengängen wie beispielsweise Geschichte, Biologie oder Wirtschaftswissenschaften fächerübergreifende Lehrskizzen zu entwerfen. In Online-Seminaren vermittelte die UNESCO ihnen dafür Know-how zum Thema Nachhaltigkeit und das Goethe-Institut zur Planung des DaF-Unterrichts.
„Ziel des Unterrichtsentwurfs sollte es sein, die deutsche Sprache zu vermitteln und gleichzeitig interessante Themen zu behandeln“, erklärt Renato Silva. Fast einhundert Studierende von allen brasilianischen Universitäten, die DaF-Lehrkräfte ausbilden, nahmen an dem Wettbewerb teil und entwickelten spannende Ideen. Renato Silva gibt zwei Beispiele: „In einer Skizze ging es darum, naturwissenschaftliche Experimente durchzuführen, um die Qualität des Wassers und der Erde zu untersuchen. Ein anderer Entwurf beschäftigte sich mit Wegbeschreibungen, die in fast jedem DaF-Lehrwerk auftauchen, und ergänzte dieses Thema um die Frage, ob bestimmte Wege auch mit einem Rollstuhl genutzt werden können“. Die Organisatoren sind so begeistert von den Ergebnissen, dass sie 2022 einen ähnlichen Wettbewerb für die Region Südamerika durchführen werden.
© Goethe-Institut São Paulo
Eine bessere Welt erspielen
Darüber hinaus entwickelt das Goethe-Institut São Paulo auch selbst konkrete Ideen und Materialien, um Nachhaltigkeitsthemen in den brasilianischen Deutschunterricht zu tragen. Basierend auf einer Idee der UNESCO hat das Goethe-Institut São Paulo Spiele zu den siebzehn Nachhaltigkeitszielen entworfen, die auch für Lernende auf einem niedrigen Sprachniveau geeignet sind. Die sechs Spiele können einzeln genutzt oder auch als Stationen für die Kleingruppenarbeit im Klassenzimmer eingesetzt werden. Jede Schule in Brasilien, die Deutschunterricht anbietet, wird ein kostenloses Exemplar dieser Spiele erhalten. In Online-Fortbildungen will das Goethe-Institut den Lehrkräften auch Ideen an die Hand geben, wie sie die Materialien im DaF-Unterricht einsetzen können.
Gemeinsam mit der UNESCO hat das Goethe-Institut São Paulo also bereits erste Schritte getan, um Nachhaltigkeitsthemen in Deutschunterricht zu integrieren. Jetzt tritt die Organisation auch stärker in den Kontakt zu Universitätsdozent*innen – mit dem Ziel, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung als fester Bestandteil des Curriculums Eingang in die Deutschlehrer*innen-Ausbildung findet und damit auch bei der Entwicklung neuer Lehrwerke berücksichtigt wird.