Frauencharaktere in Games
Vom Opfer zur tragischen Heldin
Die Gamesbranche verzeichnet nicht nur immer mehr Kundinnen, sie hat in den vergangenen Jahrzehnten auch eine Vielzahl einprägsamer Heldinnen hervorgebracht. Trotzdem dominieren Geschlechterklischees bis heute.
Von Benedikt Plass-Fleßenkämper und Daniel Wendorf
Digitale Spiele waren in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren fast ausschließlich an männliche Spieler adressiert; viele Spielhallen-Automaten warben mit muskelbepackten Abziehbildchen bekannter Actionstars à la Arnold Schwarzenegger aus dem Film Terminator. Frauen kamen in diesen Spielen meist nur in passiven Rollen vor. Frauen „können Opfer sein, Trophäen oder auch mögliche Romantikoptionen. Sie selbst handeln aber seltener als Männer“, erklärte die deutsche Spielejournalistin und -entwicklerin Nina Kiel in einem Interview, die in ihrem Buch Gender In Games (2014) die geschlechtsspezifischen Rollenbilder in zeitgenössischen Action-Abenteuerspielen untersucht hat. Ein Blick in die Spielehistorie bestätigt Kiels Einschätzung: Selbst in Klassikern wie Donkey Kong (1981) und Super Mario Bros. (1985) war es stets das Ziel, eine Frau vor bösartigen Kreaturen zu retten. Weibliche Rollen waren schmückendes Beiwerk, Objekt der Begierde oder Spielziel.
Ausnahmen gab es nur wenige. Eine der ersten Heldinnen tauchte im Jahr 1981 mit dem Spielhallen-Automaten Ms. Pac-Man auf. Die titelgebende Spielfigur war eine gelbe Kugel – ähnlich dem ursprünglichen Pac-Man – mit Schönheitsfleck und pinker Schleife. Und wer das 1986 erschienene Videospiel Metroid in unter zwei Stunden absolvierte, erlebte eine weibliche Überraschung: Die Hauptfigur Samus Aran, die im Spiel bis dahin nur im Raumanzug zu sehen war, zeigte sich am Ende in einem Bikini. Erst jetzt stellten die meisten Spieler fest, dass der Held des Spiels eine Frau war.
Die wohl erste Games-Heldin überhaupt war Ms Pac-Man: Ein Mädchen sitzt vor einem Ms Pac-Man-Spieleautomaten.
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Schlagfertig und sexualisiert: Actionheldinnen seit Lara Croft
Das Abenteuerspiel The Secret of Monkey Island etablierte 1990 einen neuen Frauentyp: Elaine Marley war schlagfertig und hatte nichts gemein mit dem Klischee der Jungfrau in Nöten. Die Gouverneurin einer Pirateninsel wartete nicht auf einen Retter, sondern nahm ihr Schicksal selbst in die Hand. Sie war zwar nicht spielbar, trug jedoch zu wichtigen Teilen zur Handlung bei. Ohne Elaine, die sich in der rauen Piratenwelt behauptete, hätte das humorvolle Spiel vermutlich nicht funktioniert. Schlagfertig im Wortsinne treten weibliche Charaktere bis heute auch in Kampfsportspielen gegen Männer an. Bekannte Reihen wie Street Fighter und Tekken erschufen starke Frauencharaktere. Laut Nina Kiel zeigt sich hier jedoch „eine stark sexualisierte Darstellung von Weiblichkeit“.Das gilt im gleichen Maße auch für die prominenteste Spieleheldin der 1990er-Jahre: Lara Croft. In Tomb Raider (1996) bestritt sie ihr erstes Abenteuer, zahlreiche Sequels folgten. Dabei bemühte sich der Entwickler nur bedingt, Lara Croft als Figur weiterzuentwickeln. Geld verdienen ließ sich auch anders: Croft modelte für das Automobilunternehmen Seat, spielte im Musikvideo Männer sind Schweine der Band „Die Ärzte“ mit und himmelte ein Brautkleid im Fernsehspot einer Frauenzeitschrift an. Nach Lara Crofts jahrelanger Präsenz im öffentlichen Raum stellte die Spielejournalistin Nora Beyer 2016 fest: „In zwanzig Jahren haben wir Lara Croft als eine äußerlich hyper-attraktive, quasi-unbesiegbare, unnahbare und irgendwie ziemlich unhöfliche Frauengestalt kennengelernt.“
Angetrieben von diesem Erfolg schuf die Gamesbranche weitere Frauenfiguren nach dem gleichem Muster. Jill Valentine (Resident Evil, 1996) oder Cate Archer (No One Lives Forever, 2000) beispielsweise sind kompetent und schlagfertig, aber über alle Maßen sexualisiert. Sie wurden von Serienteil zu Serienteil immer weiter idealisiert.Auf die Spitze trieb diese Bemühungen das Actionspiel Heavy Metal F.A.K.K. 2 aus dem Jahr 2000: Es bot eine aufreizende Heldin, die die Verkörperung eines Starlets der Erwachsenen-Filmszene darstellte und als beliebtes Covergirl von Spielemagazinen diente.
Lara Croft aus „Tomb Raider“ in den 1990er-Jahren. | Foto: © picture alliance / The Advertising Archives
Neues Selbstbewusstsein für starke Frauenfiguren
Mit solchen Figuren zielte das Marketing weiterhin auf Männer ab, obwohl Frauen zunehmend den Zugang zum Spiele-Universum fanden. Gut die Hälfte aller Tomb-Raider-Käufer war weiblich, die Branche nahm sie aber weiterhin als Randgruppe wahr. Erst in den 2000er-Jahren, als die Videospielumsätze schwächelten, wurden sie plötzlich zu einer begehrten Zielgruppe.An der klischeebehafteten Darstellung von Frauencharakteren änderte das zwar zunächst nichts, diese wurde jedoch zunehmend hinterfragt und diskutiert. In einer mehrteiligen Youtube-Dokumentation analysierte die Medienkritikerin Anita Sarkeesian im Jahr 2014 Rollenbilder in digitalen Spielen aus feministischer Perspektive. Damit traf sie den Nerv der Zeit: Rund 150.000 US-Dollar sammelte sie zuvor über Crowdfunding, um ihre Arbeit zu finanzieren. In ihren Videos kritisiert Sarkeesian die sexistische Darstellung von Frauenfiguren und die Tatsache, dass diese nur als schmückendes Beiwerk für die männlichen Protagonisten dienten. Das Ergebnis gab Anlass für die bis heute leidenschaftlich geführte Gamergate-Debatte, in der es nicht nur um die Darstellung von Frauen in Spielen geht, sondern auch darum, wie viel kritische Betrachtung dessen erlaubt sein sollte.
Erst in den vergangenen Jahren verabschiedeten sich Spielemacher größtenteils von der idealisierten Frauendarstellung. Statt übertriebener Schönheitsideale legen sie nun mehr Wert auf charakterliche Tiefe. So wurde beispielsweise die einst ikonische Lara Croft im Jahr 2013 neu erfunden.Das neue Tomb Raider spielt zeitlich vor dem ersten Spiel und beleuchtet, wie sich Lara Croft zu jener Person entwickelt hat, die der Gaming-Welt seit den 1990er-Jahren bekannt ist.
Der Neustart der Marke führte übrigens auch zu ihrem kommerziellen Höhepunkt, was anderen Studios den Mut gab, es ebenfalls mit komplexeren Heldinnen zu versuchen. Ein besonders positives Beispiel ist Life is Strange aus 2015 – eine wundervolle Geschichte rund um die Probleme des Erwachsenwerdens, in deren Zentrum die 18-jährige Fotografiestudentin Max Caulfield steht. „Es zeichnet sich aber gleichzeitig ein neues Stereotyp ab, das der tragischen Heldin“, beobachtet Nina Kiel. „Diese Wandlung hat auch Lara Croft durchgemacht. Die anfangs unverletzliche Actionheldin ist jetzt eine Figur, die viel Tragisches erlebt hat. [...] Die Frau, die erst gebrochen werden muss, um über sich hinauszuwachsen.“