Interview mit Dr. Hannelore Vogt
Immer einen Schritt voraus - über den Erfolg neuer Bibliothekskonzepte
Dr. Hannelore Vogt, Leiterin der prämierten Stadtbibliothek Köln, spricht mit uns über die Relevanz von Bibliotheken im digitalen Zeitalter, ob der Begriff Bibliothek noch angemessen ist und über das Erfolgskonzept ihrer Bibliothek.
Öffentliche Bibliotheken in Deutschland bieten ihren Kunden zunehmend neue Dienstleistungsangebote, die über die kuratierte Sammlung hinausgehen an. Ist die Bezeichnung „Bibliothek“ überhaupt noch zeitgemäß?
Naja, nicht so ganz, denn die Bibliothek ist eigentlich mehr. Doch zumindest haben Bibliotheken weiterhin mit Büchern zu tun und der Begriff Bibliothek ist positiv besetzt. Die Menschen verbinden damit Vertrauen und Zuverlässigkeit. Da es in Deutschland kein wirklich passendes Wort gibt für das, was die Bibliothek heute darstellt, ist es sinnvoll beim „Branding“ Bibliothek zu bleiben.
„Wer Inhalte sucht braucht keine Bibliothek mehr“, meinte der Leiter der Bibliothek der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Rafael Ball kürzlich in der NZZ. Was tragen die deutschen Bibliotheken im digitalen Zeitalter dazu bei, weiterhin relevant zu bleiben?
Bibliotheken haben nie nur Informationen vermittelt. Die reine Information kann ich mir vielleicht in bestimmten Fällen wirklich einfach im Internet besorgen. Aber Bibliotheken leisten viel mehr. Sie vermitteln Zusammenhänge, Bildung und generieren Wissen. So stellen wir fest, dass die Bibliothek zunehmend als Ort genutzt wird, wo Menschen gemeinsam lernen und sich austauschen. Das geht weit über die reine Information hinaus und betrifft auch ganz unterschiedliche Aspekte des Lernens – nicht nur das klassische Lernen aus Büchern und E-Learning, sondern Lernen durch Inspiration und Spontanität, durch Austausch und eigenes Handeln. Insofern ist der Ort nach wie vor relevant.
Bei bestimmten Veranstaltungsformaten ist der Besucher nicht mehr nur „Konsument“ oder Teilnehmer, sondern wird selbst zum Akteur, indem er sein Wissen an Dritte weitergibt. Beispielsweise in der Digitalen Lernwerkstat oder bei Workshops im so genannten Makerspace, wo Schüler als „Junior Experts“ ihr Wissen an Erwachsene weitergeben. Veranstaltungsreihen, wie etwa unser Science Slam, tragen ebenfalls zu neuen Arten des Lernens bei und gehen weit über herkömmliche Lernformate hinaus.
Ihre Bibliothek, die Stadtbibliothek Köln, wurde 2015 zur Bibliothek des Jahres ernannt – worauf beruht ihr erfolgreiches Bibliothekskonzept?
Teil unseres Innovationsmanagements ist, dass wir nicht warten wollen, bis etwas etabliert ist – wir handeln proaktiv. Unsere jungen Kollegen beobachten die Szene in der Stadt, und wir halten uns außerdem über Trendberichte und Messen aus unterschiedlichen Branchen, der Technologiebranche beispielsweise, auf dem Laufenden. Wir orientieren uns an Zukunftstrends und entwickeln daraus Angebote für unsere Bibliothek. In der Jury-Begründung für unsere Auszeichnung wurde besonders anerkannt, dass wir unsere innovativ-kreativen Ansätze stets in eine klare und stringente Strategie einbinden und den Mut haben, Neues auszuprobieren. Zwar immer mit dem Risiko, auch einmal einen Fehler zu machen, aber zumindest sind wir stets einen Schritt voraus. Die Partnerschaft mit ungewöhnlichen Partnern ist dabei Teil unseres Erfolgskonzeptes. Wir kooperieren mit coworking-spaces, mit FabLabs, also offenen Werkstätten, mit Schulen, die iPad Klassen haben oder mit Minirobotern arbeiten.
Ihre Bibliothek wird immer mehr auch zu einem sozialen Ort. Wie fallen dabei die Reaktionen Ihrer Geldgeber und Ihres Publikums aus?
Die Geldgeber werfen heute natürlich eine ähnliche Frage wie Herr Ball auf: braucht man die Bibliothek als Ort noch? Dabei ist die Bibliothek als sozialer Ort eine wichtige Komponente für unsere Stakeholder. Soziale Interaktion, die generationenübergreifend, inklusiv – auch für Migranten – und partizipativ ist, macht die Bibliothek zu einem sozialen und zutiefst demokratischen Ort und das ist eine wichtige Komponente für uns und unsere Kunden. Wir argumentieren deshalb auch nicht mehr mit Ausleihzahlen, sondern mit Besucherzahlen, die uns in einen Kontext mit anderen Kultureinrichtungen stellen. In Köln hat die Bibliothek mehr Besucher als alle städtischen Museen zusammen. Geldgeber und Politiker wollen neben unseren inhaltlichen Aktivitäten immer auch Statistiken und Zahlen sehen. Wenn ich unsere Besucherzahlen vorlege, wirkt das sehr überzeugend.
Soeben wurden Sie im Rahmen der Europawoche 2016 zum Themenkreis „Ankommen in Deutschland“ ausgezeichnet. Wofür tritt die Bibliothek hier ein?
In Deutschland kommen gerade sehr viele Flüchtlinge an. Das ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema, ein wichtiges Thema in unserer Stadt. Wir sind Teil dieser Stadt, also greifen wir dieses Thema auch auf und bringen uns ein. Sprache und Sprachvermittlung ist zudem ein wichtiger Teil unserer Arbeit und von daher sind wir prädestiniert dafür.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Das ist ganz schwierig zu beantworten, weil wir mindestens zehn neue Projekte haben. Etwa im Bereich E-Learning – Apple möchte Inhalte für seine E-Learning Plattform mit uns entwickeln. Geplant sind auch Projekte für den Spracherwerb – wir wollen beispielsweise eine App für Flüchtlingskinder zum Deutschlernen und eine App für Klassenführungen entwickeln. Bei dem Projekt „Väter lesen vor“ geht es wiederum ganz klassisch um das Vorlesen. Hierbei sollen Väter aus Gesellschaften, in denen das Vorlesen keine Tradition hat, einbezogen werden.
Zuletzt noch eine Frage zum Bibliothekspersonal: Wie kann die Bibliotheksleitung durch die Personalentwicklung hier die nötigen personellen Voraussetzungen für Veränderungsprozesse schaffen?
Neben den Partnerschaften mit anderen Einrichtungen tragen unsere Mitarbeiter erheblich zu dem Erfolgsfaktor der Bibliothek bei. Da man ja in der Regel mit einem festen Personalstamm arbeitet, ist es wichtig, alle Mitarbeiter in die Veränderung mit einzubeziehen. Für die Projektentwicklung stellen wir zunächst ein Innovationsteam zusammen das hierachieübergreifend arbeitet. Neue Projekte werden dann dem gesamten Team vermittelt und geschult. Dazu benutzen wir auch interne Blogs und Wikis. Partizipation, Kommunikation, Information sind ganz wichtige Elemente, um Veränderung zu implementieren. Wenn die Mitarbeiter nicht mitziehen, dann bringt das auch die Bibliothek nicht nach vorne.