Wohl kaum eine andere Kunstschule hat es zu einem derartig umfassenden Weltruhm in Kunst, Architektur und Design des 20. Jahrhunderts gebracht, wie das 1919 von Walter Gropius gegründete Bauhaus. 1925 zog das Bauhaus von Weimar nach Dessau und erhielt ein eigenes Gebäude mit Werkstätten, Lehr- und studentischen Wohnräumen sowie Wohnhäusern für die Professoren, die „Meister“ hießen. Heute ist das Bauhaus mit diesen Meisterhäusern in Dessau-Roßlau Unesco Welterbe.
Mensch und Technik, die Verbindung von Industrie und Wissenschaft und die Modernisierung der Stadt Dessau, das waren die neuen Leitbilder der 1920er-Jahre, die Politiker, wie den liberalen Oberbürgermeister Fritz Hesse, dazu brachten, die aus Weimar vertriebene Kunstschule in Dessau willkommen zu heißen. 1924 wurden die ersten Vorgespräche für den Umzug mit Bauhausdirektor Walter Gropius und dem Meisterrat geführt. Ein Jahr später begann bereits der Lehrbetrieb in Dessau, und im Dezember 1926 erfolgte mit über 1.000 Gästen die Einweihung des neuen Schulgebäudes.
Kühnheit und Transparenz
Die Stadt Dessau hatte als Bauherrin das Geld zur Verfügung gestellt, sowohl für das Grundstück, das sich auf einem freien Gelände im Nordwesten der alten Residenzstadt in der Nähe des Bahnhofs befand, als auch für den Neubau des Schulgebäudes und den Bau der Meisterhäuser. Bis heute ist die Stadt Eigentümerin der gesamten Bauhausgebäude. Die Planung für den Neubau lag in den Händen des Büros von Walter Gropius, als leitende Mitarbeiter waren die Architekten Carl Fieger und Ernst Neufert am Entwurf beteiligt.
Bauhausgebäude Dessau | Walter Gropius | 1925-26
| Foto: Tadashi Okochi © Pen Magazine | 2010 | Stiftung Bauhaus Dessau
Endlich hatte Gropius die Chance erhalten, einen Schulbau nach seinen Vorstellungen zu errichten. Die Kühnheit und technisch-elegante Transparenz des Erstlingswerks, dem Fagus Werk in Alfeld, das Walter Gropius und Adolf Meyer mit einer sogenannten curtain wall, einer vorgehängten gläsernen Fassade versehen hatten, zeichnet auch das Bauhausgebäude in Dessau aus. Geometrisch klar und ruhig gliedert sich die gesamte Anlage zu einem fließenden Übergang aus vertikalen und horizontalen Verbindungen, aus verputzten Flächen, Fensterbändern, Lochfassaden und großflächigen Glaswänden.
Bauhausgebäude Dessau | Walter Gropius | 1925-26
| Foto: Tadashi Okochi © Pen Magazine | 2010 | Stiftung Bauhaus Dessau
Dabei gibt es keine zentrale Hauptansicht. Um den Bau vollständig zu begreifen, muss man ihn durchschreiten und umkreisen. Prägnant wirkt besonders der verglaste, dreigeschossige Werkstattflügel. Dieser ist über eine zweigeschossige Brücke, in der Büro- und Verwaltungsräume untergebracht waren, mit einem gleich hohen Gebäudetrakt für die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule verbunden. Ein eingeschossiger Bautrakt mit Mensa, Aula und Bühne vermittelt zwischen Werkstattflügel und fünfgeschossigem Ateliergebäude, dem sogenannten Prellerhaus, mit seinen prägnanten und herauskragenden Balkonen. Hier waren ursprünglich 28 Wohnateliers für Studierende und Jungmeister untergebracht. Für die Innengestaltung aller Gebäude wurden die Werkstätten des Bauhauses einbezogen.
Kunst und Industrie
Einige ehemalige Schüler aus Weimar übernahmen in Dessau als Jungmeister die Werkstätten: Herbert Bayer leitete zum Beispiel die Werkstatt für Druck und Reklame, Marcel Breuer die Tischlerei. Daneben gab es die Metallwerkstatt, Weberei, Wandmalerei, Plastische Werkstatt und die Bühne. Das Bauhaus verfolgte in Dessau ein verändertes Programm, bei dem Industrie und Wissenschaft für die Gestaltung an Bedeutung gewannen. Die Schule bemühte sich, die neu entwickelten Produkte in Serie fertigen zu lassen.
Meisterhaus Muche/Schlemmer | Dessau | Walter Gropius | 1925-26
| Foto: Yvonne Tenschert | 2011 | Stiftung Bauhaus Dessau
Der politische Wandel mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Sachsen-Anhalt führte aber erneut zum abrupten Ende des Hochschulbetriebs. Bereits 1931 sollte das Bauhaus als „Brandfackel Moskaus“ (Alexander von Senger) geschlossen und abgerissen werden. 1932 lagerte man den Schulbetrieb nach Berlin aus und vollzog 1933 nach einer Aktion der Geheimen Staatspolizei die Auflösung.
Das Bauhaus lebt
Das Bauhaus in Dessau blieb stehen, wurde aber durch die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Erste Pläne für eine Rekonstruktion durch den Bauhäusler Konrad Püschel in den 1960er- Jahren kamen über das Papierstadium nicht hinaus. 1974 wurde das Bauhausgebäude als historisches Monument von nationaler und internationaler Bedeutung in die Denkmalliste der DDR eingetragen und zwei Jahre später eine umfassende Rekonstruktion eingeleitet. Mit dem Aufbau eines wissenschaftlich-kulturellen Zentrums begann die Wiederbelebung des Bauhausgedankens, daran konnte die Stiftung Bauhaus bei ihrer Gründung 1994 anknüpfen. 1996 erfolgte die Eintragung des Bauhausgebäudes in Dessau zusammen mit den Meisterhäusern sowie den Bauten in Weimar in die Welterbeliste der UNESCO.
Die Stiftung Bauhaus verfolgt einen künstlerisch-wissenschaftlichen Auftrag und widmet sich der Erforschung, Sammlung und Vermittlung der Bauhausidee und dem Dialog von Architektur, Design und Kunst im 21. Jahrhundert. Über 100.000 Besucher aus allen Teilen der Welt sind jährlich zu Gast in Dessau.
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